Die Herstellung von Papier gehört zusammen mit dem Schießpulver, dem Kompass und der Kunst des Buchdrucks zu den vier großen antiken Erfindungen Chinas. Der erste, der die Technik des Papiermachens beherrschte, war der Chinese Cai Lun. Im Jahr 105 unserer Zeitrechnung stellte er auf der Basis von Baumholz, abgenutzten Stoffen und Fischnetzen Papier her. Bis heute sind in den abgelegenen Dörfern in Südwest China Papierherstellungsmanufakturen erhalten geblieben, in denen Papier auf traditionelle Art und Weise hergestellt wird. Die knapp 2000 Jahre alte Technik ist seit der Reform und Öffnung Chinas vor mehr als 20 Jahren wieder belebt worden. Die Einwohner des Dorfes Longjing im Kreis Zhenfeng in der südwestchinesischen Provinz Guizhou beherrschen auch heute noch diese uralte Technik.
Das Dorf Longjing und seine Nachbardörfer Banpo, Yangzhai und Ganjiawan sind für die Produktion von sogenanntem weißen Seidenpapier bekannt. In rund 500 Haushalten sind traditionelle Papiermanufakturen erhaltengeblieben. Als Rohmaterial wird Baumholz genutzt. Für die Herstellung sind 72 Arbeitsgänge erforderlich, und der gesamte Prozess dauert 30 Tage.
Liu Shiyang, selbst ein Papierhersteller, weiß darüber viel zu erzählen: „In unserem Dorf wird seit über 400 Jahren Papier hergestellt. Die Herstellung erfordert ganze 72 Arbeitsgänge. Zuerst wird das Rohmaterial in Wasser eingeweicht, dann wird es mit Kalk versetzt. Nach dem Gären und Dämpfen wird die Rohmasse in der Sonne gebleicht. Anschließend wird sie gewaschen, geschnitten und zu einem Brei verarbeitet. Danach wird mit einer Matrize aus dem Papierbrei das Papierblatt geformt, dass schließlich getrocknet wird.“
Das Papier-Formen- und Trocknen sind die wichtigsten Arbeitsgänge und technisch sehr anspruchsvoll. Zum Papierformen wird ein über 1 Meter langer und über einem halben Meter breiter Holzrahmen benutzt. In ihm wird ein feiner Bambusvorhang eingelegt. Mit dem Holzrahmen in der Hand schöpft der Papiermacher die breiige Papiermasse aus dem Trog. Dann schüttelt er den Rahmen leicht und rhythmisch hin und her, um das Wasser zu entfernen. Zurück bleibt auf dem schwarzen Bambusvorhang eine dünne Schicht der hellgelben Papiermasse, das ist die embryonale Phase des Papiers. Das Papierformen erfordert viel Geduld. Der Papiermacher vollführt den ganzen Tag lang nur eine einzige Bewegung, diese aber ist entscheidend für die Qualität des Endprodukts. Das Papier wird zu dünn, wenn nicht genug Papierbrei aus dem Trog geschöpft wird. Bei zu viel Papierbrei wird das Blatt zu dick. Beim Schöpfen des Papierbreis müssen die Arme 20kg Gewicht tragen, erzählt ein erfahrener Papierhersteller.
Die Papiermanufakturen in der Region sind fast ausnahmslos Familienbetriebe. Um Papier bester Qualität herzustellen, müssen die Familien gut zusammenarbeiten. Für die Frauen ist das Papierformen körperlich zu schwer, und so übernehmen sie normalerweise die Arbeit des Papiertrocknens. Der Papierschöpfer ist Lehrling, der Trockner ist Meister, so meinen Leute in der Gegend. Das Papier sieht gut aus und ist gut zu verkaufen, wenn es ausreichend in der Sonne getrocknet wird. Das ist eine Arbeit, die große Sorgfalt und Geduld erfordert. Und sie ist nicht gerade leicht. Man legt dabei täglich lange Strecken zurück, obwohl man die Haustür nicht verlässt.
Die Papierherstellung im Kreis Zhenfeng geht auf die Regierungszeit des Qing-Kaisers Qianlong zurück. Im Jahr 1794 flüchteten der Papierhersteller Long und seine Familie aus der Nachbarprovinz Sichuan vor einer Naturkatastrophe nach Zhenfeng und haben sich schließlich dort angesiedelt. Dabei übte die Familie Long ihren alten Beruf weiter aus. Als die Töchter der Familie Long in andere Dörfer verheiratet wurden, brachten sie den Dorfbewohnern die Technik des Papiermachens bei. So verbreitete sich die Technik sehr schnell.
Seit Beginn des Maschinenzeitalters wird das handgemachte Papier aus Zhenfeng nicht mehr zum Schreiben benutzt. Doch wegen seiner speziellen Eigenschaften ist es für bestimmte Zwecke unabdingbar. Auf Daumenbreite und 33 Zentimeter Länge geschnitten, wird es beispielsweise zum Einbinden von Banknoten benutzt, da das Papier geschmeidig, aber auch reißfest ist. Das Papier wird außerdem zur Herstellung von symbolischem Geld benutzt, das bei der Totenfeier verbrannt wird. Damit soll das Leben des oder der Verstorbenen in der anderen Welt abgesichert werden. Ferner dient das Papier zur Herstellung von Papierdrachen.
Dank der Reform- und Öffnung Chinas hat das handgemachte Papier aus Zhenfeng auch Märkte im Ausland erobert. Im Sommer 1990 empfing das Dorf Longjing die ersten ausländischen Touristen. Seitdem kommen jedes Jahr mehrere ausländische Reisegruppen in das Dorf, das nur 120km vom berühmten Wasserfall Huangguoshu in der Provinz Guizhou entfernt ist.
Das Interesse ausländischer Touristen an der 2000 Jahre alten Papierherstellungstechnik ist groß. Der Papiermacher Liu Shiyang kann sich noch gut an seinen ersten Kontakt mit Ausländern erinnern: „Eines Tages kam eine Reisegruppe unser Dorf besichtigen. Unter den Touristen war auch eine alte Frau aus den USA. Der Reiseleiter bat damals meinen Vater, den ausländischen Gästen das Verfahren der Papierherstellung zu erklären. Danach waren die Touristen bei uns zu Hause zu Gast. Dabei stellten wir den Gästen unsere besten Produkte vor. Zu unserer Überraschung interessierte sich die alte Dame aus den USA für eine Art grobfasriges gelbes Papier, das für uns wertlos war. Die Dame hielt den Daumen hoch und sagte „Ok, Ok!“. Vom Dolmetscher erfuhren wir erst, dass sie lange Zeit nach einem derartig präparierten Papier gesucht hat. Dafür hatte sie bereits mehrere chinesische Provinzen aufgesucht. Das gelbe grobfasrige Papier, das in den Augen der Papierhersteller als Ausschuss galt, war für die alte Dame so wertvoll, dass sie auf einmal 20.000 Stück bestellt hatte. Der Liefervertrag dauert bis heute an.“
Trotz dieser Erfolge ist die Perspektive des „weißen Seidenpapiers“ von Zhenfeng nicht gerade erfreulich. Denn die Nachfrage im Inland ist nicht sehr groß. Das Seidenpapier wird hauptsächlich in die Provinz Guizhou und in die Nachbarprovinzen Yunnan und Sichuan verkauft. Dabei ist der niedrige Preis der einzige Marktvorteil des handgemachten Papiers aus Zhenfeng. Ein Kilo Bindepapier für Banknoten kostet beispielsweise nur 20 Yuan. Der Nachteil des handgeschöpften Papiers ist, dass dessen Qualität nicht so stabil ist wie das von Maschinenpapier.
In den Papiermanufakturen des Dorfs Longjing wird Papier noch genau wie vor 2000 Jahren hergestellt, mit den gleichen traditionellen 72 Arbeitsgängen. Doch hat es in dieser Zeit auch Veränderungen gegeben. Zum Beispiel wurde das Rohmaterial traditionell mit Asche von Gräsern und Holz versetzt. Heute wird dazu Kalk benutzt. Da die Asche alkalisch schwächer als Kalk ist, dauerte dieser Arbeitsgang früher 1 bis 2 Tage. Mit Kalk wird heute nur noch eine Stunde gebraucht. Früher wurde die Papierrohmasse in einer Steinmörse zu Brei gemacht. Heute benutzt man dazu eine elektrische Stoffmühle. Das erhöht die Zugfestigkeit des handgeschöpften Papiers.
Papierhersteller Liu Shiyang gesteht ein, dass die Qualität des handgeschöpften Papiers im Vergleich zu früher gesunken ist: „Das Papier von früher war von extrem hohem Standard. Mit modernen Mitteln ist die Produktivität zwar erhöht worden, doch ist die Qualität des Papiers gesunken. Das muss man zugeben.“
Trotzdem ist die Existenz der 2000 Jahre alten Papierherstellungstechnik in Zhenfeng an sich ein Wunder der Zeit. Für Zhenfeng ist die Papierherstellung eine touristische Attraktion. Derzeit ist eine Autobahn im Bau, die die abgelegenen Dörfer im Kreis Zhenfeng mit den nächstgelegenen Städten verbindet und so noch mehr Touristen und potentielle Kunden in die Gegend bringt.
(CRI/China.org.cn, 26. November 2003)