Die Dazu'er Grotten -- Schatzkammer der Steinbildhauerkunst  
 

In der Geschichte der Steinbildhauerei Chinas nehmen die Steinskulpturen in dem ehemaligen geschichtlichen Gebiet Bashu (heute die Provinz Sichuan und die Stadt Chongqing) einen wichtigen Platz ein. In alten Zeiten war das Gebiet Bashu nicht nur ein wirtschaftlich und kulturell hoch entwickeltes Gebiet, sondern auch eines der Gebiete, in das der Buddhismus am frühesten Einzug hielt und in dem über einen längsten historischen Zeitraum neue buddhistische Grotten geschaffen wurden. In mehr als 50 Kreisen in der weiteren Umgebung der Stadt Chongqing gibt es an 200 Stellen buddhistische Grotten. Die Anlegung von Grotten begann in den Südlichen und Nördlichen Dynastien (420-589) und zog sich über die Sui- (581-618), die Tang- (618-907), die Fünf Dynastien (907-960) sowie die Song- (960-1279) bis zur Ming- (1368-1644) und Qing-Dynastie (1644-1911) hin. Diese Grotten können sich mit den Grotten Longmen bei Luoyang, Provinz Henan, den Grotten Yungang bei Datong, Provinz Shanxi, und den Grotten Mogao bei Dunhuang. Provinz Gansu, messen.

Unter den Grotten im Verwaltungsgebiet der regierungsunmittelbaren Stadt Chongqing und der Provinz Sichuan sind die Grotten im Kreis Dazu am umfangreichsten. Die Kunst ihrer Steinskulpturen ist am höchsten entwickelt. Sie werden als ,,Heimat der Steinbildhauerei" und ,,Schatzkammer der Kunst" bezeichnet. Die Dazu'er Grotten liegen 165 km von Chongqing entfernt. An mehr als 40 Plätzen im Kreis Dazu stehen insgesamt über 50 000 Steinskulpturen. Die Grotten an den Hängen der Berge Beishan (Nordberg) und Baodingshan (Schatzkammerberg) sind am bekanntesten. Die Arbeiten an diesen Grotten begannen Ende des 9. Jahrhunderts und endeten in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Von der Kreisstadt Dazu bis zum Nordberg sind es nur zwei Kilometer. Im 1. Jahr der Regierungsperiode Jingfu (892) der Tang-Dynastie ließ Wei Junjing, Gouverneur des Bezirkes Changzhou, an der Stelle Fowan (Buddhaschlucht) des Nordberges Buddhafiguren hauen. In der Folgezeit veranlassten hohe Regierungsbeamte, andere einflussreiche Personen sowie bekannte Mönche und Nonnen über mehrere Generationen die ständige Fertigung neuer Skulpturen und somit Ausdehnung der Grotten. Die Arbeiten in diesem Grottenbereich erstreckten sich über ca. 250 Jahre. Mit der Stelle Fowan als Zentrum verteilen sich Grotten über den ganzen Nordberg. Die dort zu sehenden nahezu 10 000 buddhistischen Steinskulpturen widerspiegeln die unterschiedlichen Stile der einzelnen Generationen ihrer Schöpfer.

Die Grotte Nr. 136 heißt Xinshenche. Sie ist die am vollständigsten erhaltene und größte Grotte. Ihre Skulpturen vertreten den Stil der Song-Dynastie. Die Figuren Bodhisattwa Guanyin und andere Bodhisattwas sind freundlich und sanft. Unter diesen sind der Bodhisattwa Manjusri, der auf einem brüllenden Löwen sitzt, und der Bodhisattwa Samantabhadra, der auf einem weißen Elefanten reitet, am auffallendsten.

Die Skulpturen des Bodhisattwa Guanyin weiter zurückliegender Zeiten sind männlichen Geschlechts dargestellt. Sie sehen würdevoll und ernst aus. Doch die Guanyin-Figuren ab der Spätzeit der Tang-Dynastie (Ende 9. Jh.) sind weiblichen Geschlechts. Sie sind weltlich und als weibliche Schönheiten gestaltet.

Die Statue der Guanyin in der Grotte Nr. 125, die mehrarmig gestaltet ist und als Göttin der Barmherzigkeit bezeichent wird, gilt als die beste unter den Skulpturen in den Grotten auf dem Nordberg. Sie wird auch ,,die reizende Guanyin" genannt. Diese Statue mit einer Höhe von nur einem Meter hat einen wohlproportionierten, jugendlichen Körper und steht auf einer Lotosblume. Sie trägt am ganzen Körper wertvollen Schmuck. Über ihr Gesicht, das hübsch und zart ist, huscht ein Lächeln, ein Symbol der östlichen Schönheit, so dass sie von einigen Malern und ausländischen Touristen die ,,Venus des Ostens" genannt wird.

In der ,,Grotte der Inkarnation des Ksitigarbha" sind vier Skulpturen aus der Song-Dynastie zu sehen, die Inkarnationen Ksitigarbhas darstellen. Sie sind bewundernswert kunstfertig und phantasievoll gearbeitet.

Der Berg Baodingshan liegt 15 km von der Kreisstadt Dazu entfernt. Die Arbeiten an den Grotten hier begannen auf Initiative des berühmten Mönches Zhao Zhifeng aus der Song-Zeit und sind über einen Zeitraum von mehr als 70 Jahren fortgesetzt worden. Diese Grotten bestehen somit seit ca. 800 Jahren. Auch hier gibt es insgesamt etwa 10 000 Skulpturen. Die meisten davon stehen an einem 500 m langen hufeisenförmigen Abhang mit dem Namen Dafowan (große Buddhaschlucht). Diese sehr feierlich und majestätisch wirkenden Figuren wurden in Anpassung an die Berggestalt direkt aus freien Felswänden oder in Grotten gehauen.

Die Figur eines liegenden, in das Nirvana eingehenden Schakjamuni gehört zu den bemerkenswertesten und schönsten Skulpturen des Berges Baodingshan. In China gibt es viele liegende Schakjamuniskulpturen in voller Körpergröße. Die Besonderheit des liegenden Schakjamuni am Berg Baodingshan besteht darin, dass, obwohl 31 Meter lang, nur der Oberkörper aus der Felswand herausragt. Dieser Schakjamuni hat ein gütiges Gesicht und seine Augen sind ein wenig geöffnet, was seine Stimmung vor dem Eingang ins Nirvana höchst anschaulich darstellt.

Die Skulpturengruppe ,,Die Geburt Schakjamunis", auch ,,Neun Drachen baden Schakjamuni" genannt, ist ein seltenes Meisterwerk. Aus der Felswand strecken sich neun Drachenköpfe heraus. Aus dem Maul des Drachens in der Mitte fließt klares Wasser in die Badewanne, in der der eben geborene Schakjamuni sitzt. Die ganze Skulpturengruppe wirkt sehr natürlich und lebendig.

In der höchsten Nische am Berghang Dafowan stehen die ,,Drei Heiligen der Sekte Huayuan", einer Sekte des chinesischen Buddhismus. Die Figur, die in der Mitte steht, stellt Vairocana, den Begründer dieser Sekte, dar. Links und rechts von ihm sind Manjuris und Samantabhadra zu sehen. Diese drei Skulpturen haben je eine Höhe von sieben Metern.

Die Skulptur einer ,,Tausendarmigen Guanyin" mit 1007 Armen ist drei Meter hoch. Sie streckt ihre Arme nach oben, rechts und links, so dass sich das Bild eines Pfauenrades ergibt. Jede Hand ist fein herausgearbeitet. In den Händen hält sie unterschiedlichste Gegenstände. Keine Hand gleicht einer anderen. Diese Steinskulpturen und deren Nebenfiguren sind aus einer 88 Quadratmeter großen Felswand ausgehauen worden.

Die Skulpturen am Baodingshan und Nordberg weisen eine Vielfalt der Gestaltung auf und zeugen von dem hohen Niveau der damaligen Bildhauerkunst. Es gibt auch Skulpturenreihen, die die Lebensgeschichte Schakjamunis oder andere religiöse Legenden darstellen. Manche Figuren und Darstellungen sind dem täglichen Leben entnommen.

Am 1. Dezember 1999 wurden die Dazu'er Grotten in die ,,Liste des Welterbes" der UNESCO aufgenommen.