Der Tempel der Prinzessin Wen Cheng

Geht man vom Regierungssitz des Tibetischen Autonomen Bezirks Yushu aus südwärts den Batang-Fluss entlang, so gelangt man nach etwa 20 km zur malerischen Schlucht von Baianggou, wo steile Berggipfel ragen und muntere Bäche murmeln. Es geht die Sage, Prinzessin Wen Cheng von Tang sei hier von der lokalen Bevölkerung von ganzem Herzen gebeten worden zu bleiben; tatsächlich soll sie hier Station gemacht haben. Auf ihr Geheiß hin hätten ihre Handwerker hier Buddhafiguren in die steilen Felswände eingemeißelt, gleichzeitig der Bevölkerung aber auch verschiedene Techniken beigebracht, z. B. die Technik zur Urbarmachung des Landes, die Methode der Feldbestellung für Qingke-Gerste und das Weben, aber auch medizinische Kenntnisse, Singen und Tanzen. So habe sie mit den dortigen Menschen eine tiefe Freundschaft geschlossen.

Dem Wunsch des tibetischen Königs Songtsan Gampo entsprechend, verheiratete Tai Zong, Kaiser der Tang-Dynastie (618-907), im Jahre 641 die Tang-Prinzessin Wen Cheng mit ihm, um die Freundschaft mit Tibet zu verstärken. In Begleitung des höfischen Zeremonienmeisters Li Daozong reiste die Prinzessin mit ihrer Eskorte von Chang'an (Xi'an) durch Qinghai nach Tibet. Von ihren 108 Aufenthaltsorten ist der nach ihr benannte Tempel zu einer bedeutenden Kultstätte geworden.

In Baiangguo fällt ein dreistöckiger Tempel im Stil der tibetischen Architektur ins Auge. Er ist mit einer roten Mauer umgeben und besteht aus drei Hallen. Zwei quadratische Säulen tragen das Dach, zwei weitere einen im obersten Stock befindlichen lotosförmigen Ständer, auf dem Buddhafiguren stehen. In der Andachtshalle befindet sich als Altar eine Reihe von sechs Tischen mit den feinen Linien, die bei Tibetern so beliebt sind. Auf dem Altar sind Butterlampen in verschiedener Größe aufgestellt, Hada (Stolen aus tibetischem Brokat, meistens als Geschenk verwendet) hängen von der Decke, Nahrungsmittel und Bonbons liegen ebenfalls auf den Tischen.

In der vorderen Felswand in der Andachtshalle sind neun große Buddhafiguren eingemeißelt, die Hauptfigur in der Mitte ist acht Meter hoch. Alle sind majestätisch gestaltet, ihr Aussehen lässt auf ein schlichtes und ehrliches Temperament schließen. Ihre prachtvolle Hoftracht aus Seide und ihre Hüte sind durch die Art ihrer bildhauerischen Bearbeitung leicht als tangzeitlich zu erkennen. Jede Figur steht auf einem lotosförmigen Sockel und trägt einen massiven ovalen Heiligenschein hinter dem Kopf. An beiden Seiten der Buddhafiguren sind drei Meter breite Borten im tibetischen Stil eingearbeitet, in den Zwischenraum zwischen der Hauptfigur und den Schülern sind Blätter und eine Linde mit zwei Ästen eingeschnitten. Über ihnen sind sechs Sanskrit-Buchstaben zu sehen, ebenfalls gemeißelt. An dem Gesicht der Hauptfigur entzündet sich stets von neuem eine immer gleiche Auseinandersetzung: Der einen Auffassung nach soll es ein Bildnis der Prinzessin Wen Cheng während ihrer Jugend sein, die andere hält dafür, dass es sich wohl eher um eine Nachbildung der Prinzessin Jin Cheng handele, die sechzig Jahre später mit dem Enkel des tibetischen Königs Tride Zutsan eine Ehe schloss und sich ebenfalls hier aufgehalten haben soll. Aber hinsichtlich der alten tibetischen Schriftzeichen, des verwendeten Stils und der Zeitangaben scheint dieser Tempel in der gleichen Zeit erbaut worden zu sein wie die Mogao-Grotte aus der Tang-Zeit, die bei Dunhuang in der Provinz Gansu zu finden ist.

Der Tempel der Prinzessin Wen Cheng von Tang steht seit Ende der 50er Jahre als wichtige Sehenswürdigkeit unter staatlichem Schutz. Zur Erleichterung für Reisende und Pilger führt eine Landstraße hierher.

(China Heute/China.org.cn, 30. März 2004)