Die Terrassenfelder in Yuanyang

Der Kreis Yuanyang liegt in Honghe, dem Autonomen Gebiet des Hani- und des Yi-Völkerstammes in der Provinz Yunnan. Vor tausenden von Jahren schaffte das Hani-Volk hier ein Wunder, indem es große Flächen an Terrassenfeldern an den Bergen und in den Tälern anlegte. Heutzutage nähren diese Terrassenfelder noch immer die Angehörigen Volkes, sowohl materiell als auch spirituell.

Die Felder bilden die Nahrungsgrundlage für 35.000 Menschen. Die 64.000 Hektar Wald in den Bergen liefern das Brauchwasser für dan Alltagsleben und für die Bewässerung der Felder. Das Wasser wird über insgesamt 4.653 Wassergräben und -kanäle zu den Terrassenfeldern geleitet. Die Felder spielen auch eine wichtige Rolle in den religiösen Zeremonien der Hani.

Nicht so wie die historischen Altertümer, von denen viele ihre Funktion längst verloren haben, wie beispielsweise die Große Mauer, die Verbotene Stadt, das Mausoleum des Ersten Kaisers Qin Shi Huang, die Ägyptischen Pyramiden oder der Taj Mahal in Indien, nicht wie Naturschutzgebiete wie z.B. der Taishan-Berg, das Huangshan-Gebirge oder die Niagarafälle, auch nicht wie Stätten, die von rein kulturellem Interesse sind, wie der Konfuziustempel in Qufu, der Potalapalast in Lhasa oder der Sommerpalast in Beijing - sind die Terrassenfelder in Yuanyang Zeuge einer harmonischen Beziehung des Hani-Volkes mit dem Ailao-Gebirge, Zeuge einer geglückten Verbindung von Mensch und Natur. In der Tat sind es die Terrassenfelder und die pilzförmigen Häuser, die die Besucher in Yuanyang besonders faszinieren.

Yuanyang liegt am Fuße des Ailao-Gebirges am Südufer des Honghe-Flusses im Süden der Provinz Yunnan, südlich des Wendekreis des Krebses. Unter den vielen Hügeln und Bergen dieses Gebirges finden sich zwei Berge namens Guanyin (Göttin der Barmherzigkeit). Diese beiden Berge sind mit dichtem Wald bedeckt und an beiden Seiten befinden sich fruchtbare Felder. Hinzu kommt, dass hier reichlich Regen fällt alles in allem eine ideale Gegend für Terrassenfelder.

Vor langer Zeit gingen die Vorfahren der fleißigen und gutmütigen Hani tief in die Berge, um sich vor einem Krieg zu schützen. Dort haben sie dann ein Wunder geschaffen: In Tausenden von Jahren hat das Volk der Hani zusammen mit den Völkern der Yi, Han, Dai, Miao, Yao und Zhuang auf einem insgesamt 2.189 Quadratkilometer großen Stück unkultivierten Berglandes 13.000 Hektar Terrassenfelder angelegt und die Reispflanzkultur auf Terrassenfeldern ins Leben gerufen.

Das Volk der Hani bezeichnet die Terrassenfelder in Yuanyang als "Leitern zum Himmel". Diese weisen vier Charakteristika auf: Zunächst sind sie sehr ausgedehnt. Kleine Terrassenfelder in unterschiedlichen Formen sind miteinander verbunden und bilden größere Felder, wovon jedes ungefähr 0,6 Quadratkilometer groß ist. Zweitens befinden sie sich an steilen Hängen mit einem Gefälle zwischen 15 und 75 Grad. Das ist einmalig auf der Welt. Drittens gibt es sehr viele Terrassen. Die Anzahl der Terrassen eines einzigen Hügels kann 3.000 übersteigen. Viertens liegen sie sehr hoch. Sie erstrecken sich vom Flussufer 2.000 Meter die Berge hinauf, die höchstmögliche Höhe, in der Reis gerade noch wächst.

Steht man auf einem 1.600 Meter hohen Berg und schaut herab, überwältigt einen die Ausstrahlung dieser Terrassenfelder. Doch zur gleichen Zeit wundert man sich, wie das Volk der Hani das Wasser für die Bewässerung und den Alltag auf eine solche Höhe bringen kann.

Es gibt ein Sprichwort bei den Hanis, das besagt, dass Wasser genau so hoch gelangen kann, wie ein Berg hoch ist. Die Fähigkeit der Hani, Wasser genau dorthin zu bringen, wo sie es benötigen, lässt einen über ihre Weisheit staunen. Die Orte, wo sie ihre Dörfer bauen und ihre Terrassenfelder anlegen, sind geschickt ausgewählt zwischen Wäldern und Flusstälern. Oberhalb des Dorfes befinden sich dichte Wälder. Diese Wälder als auch kleine Waldgebiete als Symbol des Dorfgottes, die zu dem jeweiligen Dorf gehören, sind streng geschützt. Benötigen die Bewohner Holz, muss vor jedem Fällen erst eine Genehmigung eingeholt werden.

Weiter unten befinden sich Flusstäler. Aufgrund der hohen Temperaturen in den Tälern verdampft das Wasser und bildet Wolken und Nebel. Wenn die Wolken und der Nebel bis zu den Wäldern auf den Bergen aufsteigen, kühlen sie durch die Baumblätter und Zweige zu Wassertröpfchen ab. Zahlreiche Tröpfchen verbinden sich und werden zu Rinnsalen, die bergab fliessen. Das Hani-Volk leitet diese Rinnsale für den alltäglichen Gebrauch in seine Dörfer und kanalisiert das aus den Dörfern wieder herausfließende übrige Wasser zur Bewässerung auf der Terrassenfelder. Wälder, Dörfer, Terrassenfelder und Flusstäler bilden zusammen ein Ökosystem, das sich schon über einen langen Zeitraum bewährt hat.

Wie tief das Volk der Hani mit seinen Terrassenfeldern verwurzelt ist, mag ein einfacher Brauch verdeutlichen: Die traditionelle Zeremonie der Namensgebung bei den Hanis. Ist ein Kind geboren worden, hält die Familie eine Zeremonie ab. Zuerst wird ein Viereck auf den Boden des Wohnhofes gemalt, das ein Terrassenfeld symbolisieren soll. Wenn das Baby ein Junge ist, tritt ein sieben- bis achtjähriger Junge auf das gezeichnete Feld und gibt vor, dort zu pflügen und der Feldarbeit nachzugehen. Ist das Baby ein Mädchen, tritt ein sieben- bis achtjähriges Mädchen auf das Feld und gibt vor, Schnecken und Aale herauszupicken. Danach erhält das Kind offiziell seinen Namen und ist Mitglied der Dorfgemeinde geworden. Die Hani arbeiten ihr ganzes Leben auf den Terrassenfeldern und nach ihrem Tod werden sie neben ihren Feldern begraben, damit sie ihr Land aus der anderen Welt besser betrachten können.

Bei der Kultivierung ihrer Terrassenfelder haben die Hani eine ganze Reihe wissenschaftlicher und rationaler Methoden angewendet. In der Regel wählen sie sonnige und feuchte Gebiete an leicht ansteigenden Hängen für ihre Felder aus. Hier kann die Ernte starken Winden und Insekten- und Vogelplagen besser widerstehen. In den ersten drei Jahren nach Anlegen des Feldes werden Pflanzen gepflanzt, die nicht extra bewässert werden müssen. Ab dem vierten Jahr wird dann ein Bewässerungskanal zum Feld gelegt und das Feld wird zu einem Reisfeld. Die Oberfläche der Reisfelder muss möglichst eben sein, doch früher gab es keine Messinstrumente. Wie bewältigten dies nun die Vorfahren der Hani? Sie ließen ganz einfach das Wasser für sich arbeiten, das Wasser wusch ihnen im Laufe der Zeit ihre Felder ganz eben. Dies belegt die große Weisheit und Kreativität dieses Volkes.

Nach dem Wasser ist der Dünger ein wichtiger Faktor für den Reisanbau. Dafür haben die Hani unter Berücksichtigung des Aspektes, dass die Dörfer immer über den Feldern liegen, eine arbeitssparende Methode für die Verteilung des Düngers erfunden. Jedes Dorf hat Öffentliche Düngerbehälter, in denen die Exkremente der Haustiere der Bewohner gesammelt werden. Im Frühling, wenn die Leute beginnen, ihre Felder zu bearbeiten, graben die Bauern die Düngerbehälter aus und leiten den Dünger durch einen Kanal zu den Terrassenfeldern. Damit der gesamte Dünger reibungslos auf die Felder gelangt, haben sich die Dorfbewohner am Kanal aufgestellt und baggern mit Hacken und Rechen den Kanal aus. Dieser Moment wird im ganzen Dorf mit großer Freude gefeiert. Die Dorfbewohner - ganz gleich ob Mann oder Frau, ob alt oder jung - sind aufgeregt und es herrscht überall Feststimmung. In der Tat tragen viele Bewohner ihre Festtagskleidung.

Gewöhnlich lassen die Hani ihr Vieh, ihre Pferde, Schweine und Schafe an den Berghängen weiden, wo sich in der Regel viele Exkremente ansammeln. Im Juni und Juli ist Regenzeit und dann werden diese durch das Regenwasser nach unten auf die Terrassenfelder gespült. Gerade zu dieser Zeit wächst auch der Reis und muss gedüngt werden.

Das Volk der Hani lebt im Einklang mit der Natur und bezeichnet sich selbst als Söhne Gottes. In den letzten Jahrtausenden hat es seine eigenen kulturellen und religiösen Feste und Zeremonien entwickelt, so z.B. das Aimatu-Fest im zweiten Monat nach dem Mondkalender, wo dem Schutzgott Aima geopfert wird und sich die Leute auf die kommende Frühlingssaison mit der Kultivierung ihrer Felder vorbereiten.

Im sechsten Monat nach dem Mondkalender wird das Kuzhazha-Fest gefeiert, auch als Neujahr des sechsten Monats bezeichnet, wo man sich körperlich und geistig auf die kommende Ernte und das Opfer für die Götter vorbereitet.

Während des Zalete-Festes, das Neujahr des Zehnten Monats, wird die Ernte gefeiert und es wird den Ahnen geopfert. Dabei ist die Hauptattraktion das "Straßenbankett", das fünf bis sechs Tage dauert. Zu Beginn des Festes tötet jede Familie einen roten Hahn im Hof und kocht ihn. Gemäß der Tradition darf man ihn nicht mit ins Haus nehmen. Jedes Familienmitglied, ausgenommen junge Mädchen, die im Begriff stehen zu heiraten, isst davon. Dann kocht die Familie drei Reisbälle und Fleisch, welches der Älteste der Familiensippe zu essen gereicht bekommt. Das "Straßenbankett" ist der wahre Höhepunkt des Festes. Jeden Tag sind annähernd hundert Tische aneinandergereiht, die wie ein Drache aussehen. Aus diesem Grunde wird das Bankett auch "Langer Drachen-Bankett" genannt. Jede Familie präsentiert ihre besten Gerichte. Bevor das Bankett eröffnet wird, wird den Ahnen geopfert und den Alten der Respekt erwiesen. Schließlich prostet man sich zu, um die Ernte ausgiebig zu feiern.

(China im Bild/China.org.cn, 21. August 2003)