Das Feuerfest der Axi

Im Dorf Hongwan, westlich des Kreises Mile in der Provinz Yunnan, befindet sich die Ansiedlung des Axi-Stammes, eines Zweiges des Yi-Volkes. Die Yi sind ein Volk, das das Feuer anbetet. Der Überlieferung zufolge befanden sich die Axi auf der Jagd, als ihnen ihre Glut durch Wind und Regen ausging. Sie froren so, dass ihnen die Gliedmaßen taub wurden und sie am ganzen Körper zitterten. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich aneinander gekauert unter einen alten Baum zu setzen. Da trat eine Mann namens Mu Deng hervor und trat auf ein Stück morsches Holz. Er nahm einen Holzstock und bohrte ununterbrochen auf dem morschen Holz herum, ganze drei Tage und drei Nächte bohrte er so, bis schließlich am dritten Tag des zweiten Monats laut chinesischem Mondkalender ein Funke erschien und die Menschen wieder Feuer hatten, sich wärmen und wieder essen konnten. So wurde Mu Deng zu einem Helden des Axi-Stammes und spätere Generationen beteten ihn als Feuergott an. Man begann zum Ende des ersten Monats oder zu Beginn des zweiten das "Mu Deng-Feuerfest" zu feiern, bei dem in vielen Aktionen dem Feuergott geopfert wird, und feiert es noch bis heute.

Ganz früh bin ich nach Hongwan gekommen, um den Opferriten der Dorfbewohner zuzuschauen. Am Dorfeingang sah ich einen aus Koniferenzweigen aufgeschichteten Haufen, auf dem oben quer eine Schere aus zwei Holzmessern als Feuertor thronte. Dahinter lag ein Reisighaufen zum Abbrennen. Die Gäste, die von außerhalb kommen, um dem Opferfest beizuwohnen, müssen, wenn sie das Dorf betreten wollen, über das Feuer steigen, das symbolisiert, dass alles Böse vor dem Tor bleibt. Steigt man über das Feuer, stehen zu beiden Seiten zwei Reihen Axi-Frauen in Festkleidung, die zum Empfang der Gäste aus der Ferne auf Holzrohrtrompeten blasen.

Im Dorf verteilen die Bewohner Tannennadeln, die sie in den Bergen in ihre Bambuskörbe gesammelt haben, auf allen Dorfstraßen. Man sagt, das sei die Speisetafel für das Festessen auf den Straßen, kein kleines Vorhaben. Als mittags das Festessen in den gewundenen Straßen auf der "Tannenzapfen-Tafel" serviert wird, begeben sich Hunderte und Aberhunderte Bewohner und Gäste einander gegenübersitzend zu Tisch. Aufgetragen werden Delikatessen des Yi-Volkes: Tuotuo-Fleisch, zahlreiche unbekannte Wildgemüse und selbstgebrauter Reisschnaps. Hier stoßen die festlich gekleideten Frauen unter Trinkliedern auf die Gäste an, dort werden Saiteninstrumente gespielt und es wird auf Blättern, Flöten und Holzrohrtrompeten geblasen. Das ausgelassene Publikum unterhält sich, lacht, zecht und lässt es sich gut gehen.

Das festliche Straßenmahl löst sich langsam auf, die Männer und Frauen des Dorfes beginnen auf dem Dorfplatz Tänze des Yi-Volkes aufzuführen: einen inbrünstigen Löwentanz, einen betörenden Mondtanz, einen ungezügelten Messertanz; unablässig wird applaudiert und gejubelt.

Ich hatte gehört, dass die Männer, die an den Opferritualen für den Feuergott teilnehmen, alle geschminkt seien. Neugierig begab ich mich auf die Suche nach ihnen. Tatsächlich hatten sie sich an einen versteckten Ort in den Wäldern zurückgezogen. Sie bemalten sich gegenseitig den ganzen Körper in den fünf Erdfarben rot, gelb, schwarz, weiß und braun mit verschiedenen Mustern. Ihre sowohl traditionellen als auch individuellen Muster und ihre geschminkten Gesichter sagen viel über die Geschichte und Kultur des Yi-Volkes aus: einige offenbaren Tierverehrung, einige Ahnenverehrung, andere Götterverehrung.

Nachmittags um drei Uhr führt der Bimu, der Dorfbewohner mit dem höchsten Ansehen, der eine Ausbildung erhalten hat und über die Geschichte seines Volkes Bescheid weiß, einige ältere Dorfbewohner unter einen alten Baum. Dort steht eine gerade fertiggestellte Statue des Feuergottes, die in der linken Hand ein Dharmamesser und in der rechten eine Fackel hält. Das erste Ritual des Opferfestes wird hier durchgeführt, "Holz bohren - Feuer entfachen". Der Bimu beginnt auf dem Altar neben der Figur eine Trauerrede zu verlesen. Vier Personen meißeln mit einem ungefähr einem Meter langen Holzstock ein kleines Loch in das vertrocknete Holz und stecken von Zeit zu Zeit brennendes Gras in das Loch. Nach ungefähr fünf Minuten steigt ein zarter Rauch aus dem Loch auf. "Wir haben Feuer gebohrt! Feuer gebohrt!" jubeln die fleißig Meißelnden. Sie pusten das Feuer weiter an und legen immer mehr Brennholz nach.

Nach einer Weile ertönen Kuhhörner und die Opferzeremonie setzt sich unter der Führung des Bimu in Bewegung. Vorne bahnen zwei Leute mit Holzmessern den Weg und zwei andere tragen ein Gefäß mit neuen Fackeln. Hinten folgt die Statue des Feuergottes. Der Zug geht und bleibt immer wieder stehen und ich entdecke, dass hinter der Statue immer mehr geschminkte Männer auftauchen. Mit Palmenblättern haben sie sich Perücken am Kopf befestigt und sehen aus wie böse Geister oder wilde Tiere. Um die Taille sind Baumrinde und Blätter gebunden. Jeder hält eine Holzwaffe in der Hand, Messer, Gewehre oder Stöcke. Einige "reiten" noch auf aus Bambus und Palmenblättern angefertigten Pferden. Schreiend und hüpfend führen sie für die am Straßenrand Stehenden Freudentänze auf.

Aus ihren ursprünglichen Tanzbewegungen kann ich die immer noch tief im Axi-Volk verwurzelte Götteranbetung verspüren. Wohin sie auch gehen, verfolgt sie die jubelnde Menge.

Sie umrunden das Dorf und jede Familie erhält eine neue Fackel. Anschließend gehen sie zum Dorfplatz zurück. Das Feuer wird entzündet und man tanzt um es herum und die Waffen in den Händen der Tanzenden verschwinden allmählich im Feuer. Es wird getanzt und getanzt und immer wieder springt jemand über das Feuer hinweg.

Zufällig sehe ich, wie vier Leute langsam mit der Statue des Feuergottes den Dorfplatz verlassen. Ich gehe ihnen nach, sehe, wie sie die Figur aus dem Dorf tragen, am Wald abstellen, in den Wald rennen und dann jeder zu sich nach Hause zurückkehren. Die Axi glauben, dass der Feuergott alles Böse und alles Unheil mitgenommen und den Dorffrieden wieder hergestellt hat.

Derweil wird auf dem Dorfplatz noch bis zur Abenddämmerung weitergetanzt.

(China im Bild/China.org.cn, 21 November 2003)