Zhenjiang

Am Morgen hängt Nebel über dem Jangtse-Fluss. Wie Schatten bewegen sich kleine Fischerboote und große schwer beladene Lastkähne vorwärts. Viele sind auf dem Weg nach Shanghai, der großen Hafenmetropole am Ostchinesischen Meer. Rund zweihundert Kilometer vor Shanghai taucht am Südufer des Jangtse die Silhouette einer Stadt auf. Weithin sichtbar die 30 Meter hohe Pagode des Jinshan Klosters - also des Klosters des Goldenen Hügels: Wir sind in Zhenjiang - in einer der aufstrebenden Städte in der Provinz Jiangsu. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts Hauptstadt der Provinz, stand Zhenjiang später eher im Schatten der unweit gelegenen neuen Provinzhauptstadt Nanjing.

Die ersten Sonnenstrahlen haben die 2,9 Millionen Einwohner zählende Stadt zu neuem Leben erwachen lassen. Bereits seit dem frühen Morgen werden im Hafen Getreide, Baumwolle, Öle und Holz umgeladen. Der Hafen in Zhenjiang ist ein wichtiges Bindeglied im Handel zwischen dem nördlichen Teil der Provinz Jiangsu sowie der Provinz Anhui und Shanghai. Jährlich werden hier 23 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen. Auf den Straßen im Stadtzentrum herrscht inzwischen morgendlicher Berufsverkehr. Tausende von Fahrrädern zwischen all den Autos auf dem Weg zur Arbeit. In den engen Seitenstrassen stehen Obsthändler und kleine Garküchen für ein schnelles Frühstück. Zhenjiang ist im Gegensatz zu der nur 60 km entfernten Provinzhauptstadt Nanjing keine Metropole, hier hat sich kleinstädtischer Charme erhalten.

Zhenjiang ist an drei Seiten von Bergen umgeben. Aber auch in der Stadt finden sich Hügel, auf denen sich Tempel und Klöster angesiedelt haben. Und überall jene kleinen Wälder, die der Stadt ihren poetischen Namen gaben, Nämlich "Stadt der Wälder und Hügel".

Um die Hügel ranken sich viele Legenden und historische Erzählungen. Die Legende von der Weißen Schlangenfrau hat den Jinshan Hügel, der sich an einem Ausläufer des Jangtse im Nordosten des Stadtzentrums erhebt, berühmt gemacht.

Die Weiße Schlangenfrau hatte sich in einen jungen Mann verliebt, und die beiden heirateten. Allerdings fand ein Mönch im Kloster die ganze Sache zutiefst sittenwidrig: Ein junger Mann und diese Schlangenhexe - nein. Also setzte der Mönch alles daran, die Ehe zu zerstören. Er entführte den jungen Mann in sein Kloster und versuchte ihn davon zu überzeugen, sich von der Schlangenhexe scheiden zu lassen. Die fand dies nun überhaupt nicht gut und sann auf Rache. Also fuhr sie in einem kleinen Boot auf dem Fluß an das Kloster heran und zauberte ein Hochwasser herbei. Kaum war der Zauber ausgesprochen, stieg das Wasser auch schon unaufhaltsam in die Höhe, bis das Kloster überflutet war...

Na, der einzige Ort der Rettung war da wohl die Cishou-Pagode, also die Pagode der "Mütterlichen Tugend und Langlebigkeit". Das Wahrzeichen des Klosters und der Stadt wurde vor mehr als 1.400 Jahren erbaut. Innen in der Pagode führen 113 Stufen einer Wendeltreppe hinauf in die Spitze. Oben hat man von der Pagode einen perfekten Überblick über den Jangtse-Fluss im Norden und die Innenstadt im Süden.

Etwas weiter im Nordosten der Stadt am Fuße des Yuntai Berges haben sich Reste des alten Stadtkerns aus der Periode der Sechs Dynastien erhalten. Durch den Torbogen mit dem Replikrat der weißen Pagode von Beijing, einem Produkt der Yuan-Dynastie, führt die alte und einen Kilometer lange Straße Xijin, gesäumt von geschichtsträchtigen Gebäuden verschiedener historischer Stile mit vielfältigen Verzierungen.

Der Verlauf des Jangtse hat sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts langsam nach Norden verlagert und das südliche Ufer des Flusses hob sich. Noch in der Qing-Dynastie, der letzten Monarchie in der chinesischen Geschichte, herrschte auf der Xijin-Straße Betriebsamkeit. Denn damals war hier eine Anlegestelle. Und damit die Fähren und die Kaufleute, die per Boot den Fluss hinauffahren wollten, auch eine sichere Reise hatten, wimmelte es an der Anlegestelle von Altären, Schreinen und anderen religiösen Stätten. Eine davon ist die Pagode auf dem Bogentor, denn für Buddhisten ist eine Pagode ein Symbol Buddhas. Eine weiße Pagode an der Anlegestelle würde den Kaufleuten und den Flussschiffern sichere Fahrt bringen, so der Volksglaube. Allerdings half der Buddha nicht immer - es kam nämlich häufig zu Unfällen. Also ging man dazu über, einen Rettungsdienst einzurichten, und zwar direkt an der Anlegestelle. Über die Geschichte des Rettungsdiensts sagt der Reiseführer Zhang: „In der alten Zeit kam es auf dem Jangtse häufig zu Unfällen. Die Kaufleute in Zhenjiang haben einen Rettungsdienst organisiert. Die Boote des Rettungsdienstes waren alle rot. Und diese roten Boote hatten damals auf dem Jangtse-Fluss Vorfahrt."

Auf dem Wege trifft man Straßenverkäufer, die alte Münzen und kleine Töpferwaren feilbieten. Oben auf dem Berg steht das gut erhaltene ehemalige britische Konsulat, in dem sich heute ein Museum befindet.

Südlich der Stadt erhebt sich eine wunderschöne bergige Landschaft, die viele chinesischen Maler und Schriftsteller inspiriert hat. Hier im staatlichen Waldschutzpark finden sich zahlreiche Tempel. In einem kleinen Park am Rande der Stadt gibt es eine kleine Quelle, die vor allem in der Tang- Dynastie für ihr Wasser berühmt war. Mit diesem Wasser zubereiteter Tee galt als der köstlichste in der ganzen Provinz Jiangsu.

(CRI/China.org.cn, 9. November 2004)