Aufschwung der TCM in Deutschland

In den 70er Jahren war es nur eine Handvoll Spezialisten, die die chinesische Medizin lehrten. Oft waren sie als "Wunderheiler" verpönt und ihre Medizin wurde als "Voodoo- Zauber" belächelt. Mittlerweile dürfte den meisten Kritikern das Lachen vergangen sein, denn in den vergangenen 20 Jahren erlebte die traditionelle chinesische Medizin (TCM) einen europaweiten Aufschwung. Und im Gegensatz zu vielen anderen alternativen Heilmethoden hat sie ihren Standpunkt festigen können und ist auf dem besten Weg, allgemein anerkannt zu werden.

Heute redet jeder von Akupunktur und Qigong, und einige haben diese Methoden auch schon angewendet. Viele Masseure, Therapeuten, Ärzte und Heilpraktiker haben inzwischen Zusatzausbildungen in der TCM oder zumindest einem ihrer Teilgebiete absolviert und zahlreiche Bücher klären auch den Laien über die traditionelle chinesische Medizin auf. Jährlich kommen 20 bis 30 neue TCM-Bücher auf den Markt, die Zahlen von TCM-Ausbildungen steigen immens, sechs Prozent der Deutschen, also rund vier Millionen, haben sich bereits "chinesisch" behandeln lassen und 37 Prozent würden es, im Falle einer Krankheit, ausprobieren.

Diese Zahlen hätten sich noch vor einigen Jahren kein Fachmann träumen lassen. Die TCM ist inzwischen ein Exportschlager der Volksrepublik China geworden. Jedes Jahr exportiert China eine große Menge von TCM-Produkten, vornehmlich Arzneien und Kräuter, nach Deutschland.

Diese "Marktlücke" haben längst auch die Deutschen erkannt. Gerade für Menschen, denen die Schulmedizin keine Hoffnung mehr bietet, ist die chinesische Medizin wie ein Licht am Horizont. "TCM kann bei chronischen Erkrankungen selten vollständig heilen, aber oft Linderung verschaffen", erklärt Dr. Stefan Hager von der TCM-Klinik in Kötzing. Mitten im Bayerischen Wald liegt sie, die erste offizielle deutsche Klinik für TCM, in der Dr. Hager als Chefarzt tätig ist. Durch die Kombination von TCM mit der westlichen Schulmedizin ist diese Klinik auch von den Krankenkassen anerkannt, das heißt, dass der Aufenthalt in der Klinik von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird.

Die Idee der Klinik basiert auf zwei Pfeilern: Zum einen auf der fundierten Basis der "Apparatemedizin" mit Diagnosen durch Kernspintomograhpie, Ultraschall und Röntgen, zum anderen auf der "sanften Alternative" der TCM. "Wir schauen uns den Patienten gewissermaßen durch zwei Brillen an", erzählt der Chefarzt, der außer den sechs deutschen Ärzten mit zehn chinesischen zusammenarbeitet.

Dabei besteht die "erste Brille" aus der sicheren Diagnose auf dem Boden der Schulmedizin, während die "zweite Brille" auf Befragung, Puls- und Zungendiagnostik baut. Hierbei fragt der Arzt in einem persönlichen Gespräch nach der Lebensweise, dem persönlichen Befinden, dem Schlaf usw., bezieht aber auch das gesamte Erscheinungsbild, wie die Gesichtsfarbe, die Haltung und den Körpergeruch mit ein. Anschließend wird der Puls gefühlt, was aber wesentlich komplexer ist, als das, was normalerweise unter Pulsmessen verstanden wird. Der Arzt unterscheidet Geschwindigkeit, Länge, Rhythmus, Kraft usw. und erfühlt somit das Befinden. Die Zungendiagnostik gibt Aufschluss über den Zustand der Organe, die sich laut TCM auf der Zunge widerspiegeln. Beurteilt werden die Form, der Belag, die Farbe, die Feuchtigkeit und vieles mehr. Aufgrund dieser Diagnose kommen dann die fünf klassischen Heilmethoden zum Einsatz: Akupunktur, Tuina-Massage, Arzneimitteltherapie, Qigong und Diätetik. Bei der Akupunktur werden mit feinen Akupunkturnadeln Punkte, die nach chinesischer Vorstellung auf sogenannten Meridianen liegen – Energieleitbahnen, die den ganzen Körper in unterschiedlichen Schichten netzförmig durchlaufen – in differenzierter Weise und Kombination gestochen, um Krankheitszustände positiv zu beeinflussen. Die Tuina-Therapie enthält Elemente aus der Akupressur, der Reflexzonenmassage und der Chirotherapie und nimmt so Einfluss auf Funktionsstörungen im Inneren des Körpers, während Qigong als eine Form konzentrativ-meditativer Atem- und Bewegungstherapie eher präventiv angewandt wird. Bei der Arzneimitteltherapie kommen überwiegend pflanzliche Stoffe, daneben auch Mineralien und tierische Bestandteile zur Anwendung, wobei die Diätetik Wert legt auf die Einhaltung von krankheitsbezogenen Ernährungsvorschlägen.

Die Erfolge sprechen für sich: Nach dem drei- bis vierwöchigen Aufenthalt kann man bei den meisten Patienten eine eindeutige Linderung der Schmerzen oder sogar eine Heilung erkennen. "Gerade bei Schmerzpatienten geben rund 50 Prozent eine gute und sehr gute Verbesserung ihrer Beschwerden an, die – nach wissenschaftlichen Erkenntnissen – auch noch nach einem Jahr anhält", sagt Dr. Hager. Die häufigsten Erkrankungen seien hierbei chronische Kopf- oder Rückenschmerzen, chronischer Bronchitis und Rheuma. Getreu dem Motto "Soviel chinesische Medizin wie möglich, soviel Schulmedizin wie nötig", werden dann die TCM-Methoden angewandt.

Wissenschaftlich nachgewiesen konnte die Wirkung eines teils der traditionellen chinesischen Medizin bisher noch nicht, für die Existenz von Qi und von Meridianen fehlt jeder Beweis. Zumindest ist aber belegt, dass das gekonnte Nadelstechen die Freisetzung von Neuro-Botenstoffen wie dem stimmungsaufhellenden Serotonin und anderer schmerzlindernder Stoffe auslösen kann. Auch konnte in Vergleichstests u.a. von Jenaer Wissenschaftlern festgestellt werden, dass Akupunktur hilft, unabhängig von einem Placeboeffekt. Für die anderen Therapieformen gilt, dass auch wenn die Wirkung nicht so eindeutig ist, der Placeboeffekt nicht verachtet werden sollte, der manchmal sogar mehr bewirkt als die beste Therapie.

Der Aufschwung der TCM wird also weitergehen, die Akzeptanz weiter steigen und vielleicht wird somit auch – egal ob wissenschaftlich erwiesen oder nicht – vielen kranken Menschen geholfen.

(China Heute/China.org.cn, 12. November 2004)