Die Mogao-Grotten

Während der Regierungszeit des Kaisers Ming Di (58-75) der Östlichen Han-Dynastie (25-220) erreichte der Buddhismus, eine in Indien gestiftete Religion, China auf dem Weg der Seidenstraße. Der Buddhismus und die in seinem Gefolge entstandene Kunst entwickelten sich beispiellos schnell. Klöster, Schreine und Höhlen entstanden entlang der Seidenstraße. Die berühmtesten Höhlen sind die von Mogao südöstlich von Dunhuang im Westteil der Provinz Gansu, auch als "Tausend-Buddha-Höhlen" bekannt, mit deren Bau man im vierten Jahrhundert begann. Jahrhundertslang war Mogao eine buddhistische Pilgerstätte.

Generationen von Künstlern und Handwerkern füllten die ursprünglich 1.000 Höhlen, wovon rund 550 erhalten blieben, mit dekorativen Steinbildhauereien, Holzschnitzereien, Malereien, Wandmalereien und Plastiken. Heilige Texte und Inschriften, Geschenke der Gläubigen, die Werke zahlloser unbekannter Künstler machten diesen Ort zu einer wahren kulturellen Schatzkammer. Bis heute sind in diesen Höhlentempeln Fresken und Skulpturen aus dem 5. bis 14. Jahrhundert erhalten. Diese meisterhaften Werke vermitteln ein unvergleichliches Bild vom Leben des Volkes und geben Aufschluss über den Lebensstandard der verschiedenen Bevölkerungsschichten.

Insgesamt 492 Höhlen verschiedener Größe sind nach der Bauzeit nummeriert und durch Galerien miteinander verbunden. Durchläuft man sie, erhält man einen vollständigen und systematischen Überblick über die buddhistische Kunst aus dem Zeitraum zwischen 366 und 1368, der späten Periode der Östlichen Jin-Dynastie, der Sui-Dynastie, der Tang-Dynastie, der Fünf Dynastien, der Song- und der Yuan-Dynastie – also aus einer Periode von 1.000 Jahren.

Faszinierende Wandmalereien bedecken die Höhlenwände und Gewölbe. Skulpturen in Schreinen, Nischen und Korridoren, die zu den Grotten führen, wirken äußerst lebensecht und würdevoll. Erzählt werden Schakjamunis Leben, andere religiöse Geschichten, aber auch das alltägliche Leben des Volkes. Dargestellt sind Gläubige, Beamte, Kaufleute, Durchschnittsbürger und Frauen bei verschiedenen Arbeiten.

Die Wandmalereien und farbigen Skulpturen in den Mogao-Höhlen erreichten ihren höchstes künstlerisches Niveau in der Tang-Dynastie (618-907). Form, Gestaltung und Farbgebung harmonieren ausgezeichnet. Der chinesische Stil kommt charakteristischer als in den früheren Perioden zum Ausdruck. Die damaligen Bildhauer verfügten über große Fähigkeiten und Fertigkeiten und verstand es, auf Grundlage der Wirklichkeit phantasievolle Werke zu schaffen.

In der alten Gesellschaft bedeutete beinahe jeder Machtwechsel für Dunhuang eine Katastrophe. Galerien und Wandgemälde wurden beschädigt oder zerstört. Die bis heute erhaltenen Fresken bedecken immerhin noch mehr als 45.000 qm. Über 2.300 der rund 3.000 Skulpturen aus verschiedenen Perioden sind unversehrt. Die kleinsten der Skulpturen sind nur 10 Zentimeter groß, die größten messen über 30 Meter. Es sind meist Darstellungen von Buddha, Bodhisattwas und Kriegern. Der Stil und das künstlerische Niveau dieser Skulpturen sind je nach der Zeit ihrer Entstehung sehr unterschiedlich.

Gegenüber der neunstöckigen Pagode befinden sich fünf Höhlen aus der frühen Song-Dynastie. Die geschnitzten Stütz- und Trägerbalken tragen Dachtraufen und sind fest miteinander verbunden. Fragmente einer leuchtend bunten Zeichnung mit lebensnahen Darstellungen fliegender Musikerinnen und Tänzerinnen erinnern stark an den architektonischen Stil der Tang-Zeit. Zur Blütezeit des Buddhismus während der Tang-Dynastie waren die meisten Höhlen mit hölzernen Dachtraufen versehen und durch Galerien miteinander verbunden. Die Inschrift über einer renovierten Höhle aus der Tang-Dynastie besagt: "Steinhöhlen mit übereinander geschichteten Dachtraufen gleichen Pagoden, regenbogenförmige Galerien mit Geländern ziehen sich von Süd nach Nord hin. Der vorbeifließende Fluss spiegelt die Bauten wider." Von all dem blieb nichts übrig, nur Löcher für Balken in den Felsen.

Im Jahre 1965 wurden vor den Höhlen auf einer 380 Meter langen Strecke auf der ersten Ebene mehr als ein Dutzend große Tempelruinen ausgegraben. Größe und Anordnung der Balkone aus Ziegelsteinen, der Freitreppen, der runden Säulensockeln und Wandreste lassen Rückschlüsse zu, wie erhaben diese Bauten aus der Tang- und Song-Dynastie waren. Nachbildungen davon sind im Dunhuanger Forschungsinstitut für Kulturdenkmäler ausgestellt. Besichtigt werden können auch folgende Funde: etwa hundert tönerne Teller mit Farbrückständen von Zinnober, Malachit, Azurit und anderem – die Farben sind immer noch frisch – ein Kürbis mit Roterde, zwei Lampen mit eingetrocknetem schwarzem Öl, mit Blumenmustern verzierte Wasserkrüge und große Wasserbehälter aus Ton. Dies alles wurde in Höhlen auf der ersten Ebene entdeckt. Unter den im Jahre 1900 entdeckten Dokumenten und buddhistischen Schriften, "hinterlassene Bücher von Dunhuang" genannt, wurde ein Pachtvertrag gefunden, den ein Bildhauer unterzeichnet hatte. Nach diesem Vertrag hatte er seinen Sohn für 20 Pikul Weizen und 20 Pikul Hirse verpfändet. Viele ähnliche Dokumente über Menschenhandel werden im Forschungsinstitut aufbewahrt. Unter den Funden aus dem Jahre 1965 waren auch zwei Stickereien und einige Gegenstände aus Seide. Die beiden Stickereien, wenn auch brüchig und unvollständig, sind sehr fein gearbeitet und von leuchtenden Farben. Sie zeigen fünf betende Frauen. Die Gebete sind in einer eleganten Handschrift geschrieben. Nach dem Schnitt der Kleider und den Inschriften zu urteilen, stammen sie aus dem Jahr 487. Bis heute wurden nur wenige Seidenstickereien dieser Art entdeckt. Die meisten Gegenstände aus Seide sind Gebetsfahnen verschiedener Größen, wie sie beispielsweise in buddhistischen Versammlungshallen aufgehängt werden. Alle stammen aus der Blütezeit der Tang-Dynastie (713-762).

Die besten Werke in den Mogao-Grotten stammen aus der Wei-Dynastie (386-556) und der Tang-Zeit (618- 907). Der größte Teil der Götterstatuen wurde während der Wei-Dynastie geschaffen. Diese Figuren haben einen feinen Körperbau, breite Stirn, hohe Nasen und lange Augenbrauen. Buddha trägt eine bis zu den Fersen reichende Kutte. Die Oberkörper der Bodhisattwas sind teilweise unbedeckt. 670 der Skulpturen in Mogao stammen aus der Tang-Zeit. Sie zeigen üppige Figuren und sind prächtig gekleidet. Typisch dafür sind die Statuen in der Höhle Nr. 45, die zur Blütezeit der Tang-Zeit entstanden. Buddha, Boddhisattwas und ranghohe Mönche sind überaus realistisch und sehr würdevoll dargestellt. Besonders eindrucksvoll ist eine Buddha-Statue in der Höhle Nr. 259. Sie erinnert an eine anmutige Frau mit sanften Gesichtszügen und schönen Augen.

Die Wandgemälde der Höhlen in Mogao zeigen Motive aus buddhistischen Geschichten und religiöse Zeremonien, berichten aber auch über das alltägliche Leben der damaligen Bevölkerung. Die Künstler ließen ihrer schöpferischen Phantasie freien Lauf. So erscheinen die von ihnen geschaffenen buddhistischen Gottheiten in indischer oder persischer Tracht teils als Männer, teils als Frauen. Das aus der frühen Tang-Zeit stammende Wandgemälde von Guanyin, einer weiblichen Gottheit, hat nicht weniger als elf Gesichter.

Nach ihren Motiven lassen sich die Wandgemälde in Mogao in drei Kategorien einteilen:

1. Wandgemälde, die das Leben von Shakjamuni schildern. Shakjamuni habe, so heißt es, während seiner früheren Existenz in wechselnder Gestalt Wohltaten vollbracht - mal als König oder Prinz, mal als Brahmane, ja sogar in der Gestalt von Tieren: als Hirsch, als Pferd, Elefant oder Hase. In den frühen Höhlen in Mogao sind Wandgemälde zu sehen, deren Motive aus mehr als einem Dutzend Geschichten über Shakjamuni stammen. In der Höhle Nr. 254 aus der Zeit der Nördlichen Wei-Dynastie zum Beispiel ist dargestellt, wie Shakjamuni Fleisch vom eigenen Leib abschneidet und damit, um eine Taube vor einem Falken zu retten, einen hungrigen Falken füttert. In den späteren Höhlen ist häufig das Hauptthema oder auch der ganze Inhalt eines Gemäldes mit einer Inschrift erklärt. In der Höhe Nr. 257 aus der Zeit der Nördlichen Wei-Dynastie zum Beispiel wird die Geschichte "Der neunfarbige Hirsch" wiedergegeben. Ein übernätürlicher Hirsch (Shakjamuni) rettete eines Tages einen Mann vor dem Tode des Ertrinkens, doch der Mann erwies sich als überaus undankbar. Er verriet dem König, wo dieser prächtige Hirsch zu finden sei. Die Geschichte endet so, daß der König die Übernatürlichkeit des Hirsches erkennt und den Befehl erläßt, den neunfarbigen Hirsch zu schützen.

2. Wandgemälde, die nach buddhistischen Sutren entstanden. In den Höhlen in Mogao gibt es 1.117 solche Wandgemälde. Zwischen dem 6. und 7. Jahrhundert zogen viele chinesische Künstler im Landesinneren Motive aus buddhistischen Sutren und schufen im Stil der einheimischen Malerei Werke für Tempel. Nach und nach wurde diese Maltechnik nach Mogao gebracht. So sind die erwähnten 117 Wandgemälde größtenteils in einem Malstil geschaffen, wie er damals in Zentralchina gepflegt wurde. Die frühen Werke dieser Art sind technisch allerdings noch nicht ausgereift. Später, zur Tang-Zeit (618-907), wurde diese Stilrichtung vervollkommnet. Die Werke aus dieser Zeit zeichnen sich durch meisterhafte Linienführung und farbenfrohe Gestaltung aus. Auf einem Wandgemälde in der Höhle Nr. 112 aus der mittleren Tang-Zeit (781-848), dem die Aparimitayus-Sutra zugrunde liegt, wird mit viel Phantasie das Paradies des Buddhas Amitayus beschrieben. Die Lehre von der Aufnahme gläubig Ergebener ins Paradies entstand im Spätbuddhismus in Indien und wurde in China weiter ausgebaut. Das Bild zeigt einen goldfarbigen Palast mit mehreren Türmen und Pavillons vor einem üppigen Wald. In einer prächtigen Halle sitzt Amitayus, um ihn herum sieht man Tänzerinnen und Musiker, Feen schweben auf bunten Wolken vorbei…

3. Waldgemälde, die fromme Gläubige darstellen. In Mogao gibt es zahlreiche Bilder von Gläubigen, die Geld für den Bau der Höhlentempel spendeten: Kaiser, Regierungsbeamte und einfache Menschen, die zu verschiedenen Zeiten lebten. Die Darstellung ihrer politischen oder gewerblichen Tätigkeiten illustrieren die gesellschaftliche Situation im damaligen China sowie den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen dem Han-Volk und den Nomadenvölkern im Nordwesten. Ein Wandgemälde in der Höhle Nr. 156 aus der späteren Tang-Zeit (848-907) zeigt einen pompösen Ausflug eines lokalen Regierungsbeamten und seiner Frau. Der Präfekt Zhang Yichao hatte im 9. Jahrhundert den Westteil der heutigen Provinz Gansu zurückgewonnen und sich dadurch Verdienste um das damalige Reich der Mitte erworben. Auf dem Gemälde ist zu sehen, wie Zhang und seine Frau auf einer prächtigen Kutsche sitzen, begleitet von einer Kapelle, einer Leibwache und einer Ehrengarde. An der Spitze des Zuges marschieren Akrobaten und Tänzer. Ein anderes Wandgemälde zeigt die Hochzeitsfeier eines lokalen Beamten. Auch Karawanen, die Seide nach Westen transportierten und von dort Waren nach China zurückbrachten, sind dargestellt.

Zur Hochkultur in Dunhuang gehörten auch die Tanzkunst und Musik, die durch den kulturellen Austausch zwischen dem Han-Volk und anderen Völkern Mittel-, West- und Südchinas entstanden. Gemäß der buddhistischen Askese waren für Mönche und Nonnen Tanz- und Musikvorführungen eigentlich tabu. In der Höhle Nr. 323 zeigt ein Wandgemälde, wie ein Mönch sich nadeln in den Körper sticht - vielleicht eine Bestrafung für geheime Gedanken an derlei Vergnügungen Doch fast in allen Höhlen sind Wandgemälde zu finden, die Musiker und Tänzer zeigen. Beispielsweise ist auf einem Gemälde eine Tanz- und Musikvorführung für Buddha höchstpersönlich dargestellt.

Die in den alten Zeiten in Dunhuang gespielte Musik und die Tänze, wie sie die Wandgemälde in Mogao beschreiben, sind in eine religiöse und eine weltliche Kategorie einzuteilen. Weltliche Musik und Tänze waren zur Zeit der Sui- und der Tang-Dynastie stark von den nordwestlichen Nomadenvölkern beeinflusst, was viele der Wandgemälde belegen. Man sieht Trommel und Becken dieser Nomadenvölkern, ferner Konghou (ein harfenähnliches Instrument) und Pipa (Laute mit vier Saiten) aus Süd- und Westasien sowie die Xiao (Langflöte aus Bambus) und die Zheng (ein zitherähnliches, vielsaitiges Instrument) des Han-Volkes. Von den Tanzbewegungen und den Kostümen der Tänzer und Tänzerinnen zu urteilen, waren es Tänze des Han-Volkes und Tänze aus Mittelasien und Indien.

Bemerkenswert sind auch die dekorativen Ornamente in den Höhlen in Mogao. Die Sturze der Nischen, die Decken der Höhlen, die Altäre und ihrer Sockel sind mit verschiedenen Mustern verziert, darunter Ornamente von Baumzweigen, Blättern, Blumen, Wolken und Wellen.

Die in den Höhlen gefundenen Malereien auf Seide und Papier stammen aus dem Zeitraum zwischen dem 7. und 13. Jahrhundert. Viele solcher Funde wurden allerdings gestohlen und ins Ausland gebracht. Die Motive dieser Bilder entstammen meist buddhistischen Geschichten. Da die Seidenmalereien über die Jahrhunderte in den Höhlen verschlossen waren und kein Sonnenlicht an sie herankam, sind ihre Farben besser als die der Wandgemälde erhalten.

Die Hochkultur in Dunhuang entstand durch die Verbindung der einheimischen mit fremden Kulturen. Indische, persische, griechische und römische Kunstelemente waren dabei von entscheidenem Einfluss.

(China Heute/China.org.cn, 12. November 2004)