Die chinesische Kampfkunst – Taijiquan

Taijiquan ist eine Jahrhunderte alte in China entwickelte Kampfkunst. Es verbindet in einzigartiger Weise die Aspekte Selbstverteidigung, Gesundheit und Meditation. Das Wort setzt sich zusammen aus Taiji, zu deutsch "bis zur Grenze", und Quan, zu deutsch "Faust". Es gibt heute viele Geschichten und Theorien über den Ursprung und auch über den Begründer des Taijiquan. Die am meisten verbreitete Legende ist die eines Alchimisten und Wunderheilers namens Zhang Sanfeng, der im 12. Jahrhundert zunächst die "äußeren" Kampfkünste (Kong Fu) erlernt hatte und auf seiner Suche nach Vollendung auf dem Wudang-Berg in Hubei einen taoistischen Gelehrten traf, der ihn in taoistischen Übungen und Praktiken, den "inneren Künsten", unterrichtete. Später beobachtete er einen Kampf zwischen einer Schlange und einem Kranich. Diese Beobachtungen sowie die Zusammensetzung der Künste, die er hatte lernen dürfen, sollen die Basis dessen sein, was später einmal Taijiquan genannt wurde.

Kang Gewu, Leiter des wissenschaftlichen Forschungsinstituts der chinesischen Wushu-Gesellschaft, glaubt diese Legende jedoch nicht: "Die Legende über die Entstehung des Taijiquan, wie zum Beispiel über die Beziehungen zwischen Zhang Sanfeng und Taijiquan, ist an den Haaren herbeigezogen und ist deshalb völlig unsinnig. Man erfand diese Geschichte, um den Leuten zu zeigen, dass Taijiquan schwer zu lernen ist, um dann mehr Geld zu verlangen, wenn jemand Taijiquan erlernen möchte. Ich möchte betonen, dass Taijiquan vom arbeitenden Volk geschaffen wurde, und es entwickelte sich weiter aus praktischen Übungen. Nach den verfügbaren historischen Quellen entstand Taijiquan gegen Ende der Ming-Dynastie in Chenjiagou in Henan. Der Begründer heißt Chen Wangting. Es gibt gegenwärtig verschiedene Stile von Taijiquan. Der Yang-Stil, der Wu-Stil und der Sun-Stil sind am populärsten, sie sind alle aus dem Chen-Stil entwickelt worden."

Die Gegend in Chenjiagou hatte oft unter den Feldzügen der Mandschus zu leiden, andererseits erhoben sich auch hier die aufständischen Bauern. Beides waren Gründe, die Kampfkünste zu fördern. Auf der Suche nach neuen Wegen der körperlichen Auseinandersetzung mit und ohne Waffen entstand dabei eine neue Form des Boxens. Waren bisher immer schnelle Bewegungen und kräftige Schläge und Stöße bevorzugt, machte sich der neue Stil einige Prinzipien aus der chinesischen Philosophie zu eigen. "Das Starke und Harte wird durch das Schwache und Weiche überwunden", "Anpassung an den Stil des anderen, um ihn mit den eigenen Waffen zu schlagen" und "die Wucht von einer Tonne mit wenigen Unzen überwinden" sind einige davon. Allgemein gesagt gibt es sowohl energische als auch sanfte Bewegungen, schnelle und langsame, wobei eine Bewegung der anderen in einem nicht abreißenden Fluss von Rhythmus und Harmonie folgt.

Da Taijiquan ursprünglich aus acht Grundhaltungen für die Hände und fünf Grundformen für die Körperhaltung bestand, ist es auch unter dem Namen "13 Formen" bekannt. Bekannt ist es weiterhin auch als "Changquan", langes Boxen also, da es dem endlosen Fließen des Yangtse gleicht, der auf chinesisch Changjiang heißt.

Das letzte Jahrhundert sah große Veränderungen in der Ausführung des Schattenboxens. Viele explosive und kraftbetonte Bewegungen verschwanden ebenso wie das wilde Stampfen mit den Füßen, übrig blieben entspannte, weiche und beinahe zärtliche Bewegungen, eher Schäfchenwolken als das Donnerwetter, das der Gegner vielleicht erwartet hätte. In dieser Gestalt ist Taijiquan nicht nur Kämpfern und Sportlern zugänglich, sondern auch Kindern, Alten und Gebrechlichen.

Somit rückte der therapeutische Wert und die gesundheitsfördernde Funktion von Taijiquan mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Von den verschiedenen Schulen, die das Taijiquan selbst hervorbrachte, erwies sich die Yang-Schule bald als die beliebteste. Ihren Namen trägt sie nach Yang Chengfu, der diesen Stil ordnete und systematisierte. Sie zeichnet sich durch natürliche und gestreckte Positionen, langsame und gleichmäßige Bewegungen, einen stetigen Fluss des Bewegungsablaufes und einen schwingenden Gesamtablauf aus. Sie trägt auch den Namen Da Jia, "Großer Rahmen" also.

Die Schule mit der längsten Geschichte ist die Chen-Schule. Außer langsamen Bewegungen, die stets so aussehen wie ein Kampf unter Wasser, zeigt sie auch Sprünge, Hüpfer und plötzliche Ausbrüche konzentrierter Kraft. Sie trägt auch den Namen Lao Jia, "Alter Rahmen".

Ein weiterer Stil namens Zhong Jia, "Mittlerer Rahmen", oder Wu-Stil, ist verwandt mit der Yang-Schule. Wie in der Chen-Schule bewegen sich die Ausführenden langsam im Kreis, wobei sie eher gemäßigte Haltungen einnehmen. Ihre leichten Bewegungen sind dafür aber um so enger verwoben.

Wir verfügen heute noch über einige Handbücher über die "13 Formen" und das "Changquan", aus denen hervorgeht, dass diese Boxkunst große Ähnlichkeit mit der Stilrichtung aufweist, die im Quanjing, dem "Buch des Boxkampfs", beschrieben ist. Dieses Kompendium, geschrieben von Qi Jiguang, einem berühmten General der Ming-Dynastie, berichtet über sechzehn verschiedene Boxschulen. Es lässt sich daher wohl mit einigem Recht vermuten, dass das Taijiquan verschiedene Elemente dieser Schulen zu einer neuen Einheit zusammengefügt hat und dann weiter entwickelt wurde.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts fasste ein Meister der Kampfkünste namens Wang Zongyue zusammen, was dieser neue Stil hervorgebracht hatte. Er kam dabei zu dem Schluss, dass eine enge Beziehung zwischen dieser neuen Schule und der Philosophie des Yin und Yang besteht. Es gibt ein Zeichen für Taiji. Dazu sagte Kang: "Das Zeichen mit Yin und Yang heißt Taijibild und existiert in China schon seit langem. Yin ist das weibliche, dunkle und negative Prinzip in der alten chinesischen Philosophie, Yang sein Gegenteil und seine Ergänzung, es ist männlich, hell und positiv.“

Diese Lehre spielt in der Taiji-Philosophie eine große Rolle, weshalb Wang Zongyue diesem Boxstil in seinem Buch denn auch den Namen Taijiquan gab. In der Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich das Taijiquan von Henan aus rasch über das ganze Land zu verbreiten.

Ein weiterer Wu-Stil wurde von Hao Weizhen popularisiert, weshalb man ihn auch unter dem Namen Hao-Stil kennt. Auch er leitet sich aus dem Yang-Stil ab. Seine Abläufe sind eng miteinander verbunden und bestehen zum größten Teil aus schnellen Bewegungen mit kurzer Reichweite. Meist werden dabei die Arme geöffnet und wieder geschlossen, und womöglich heißt dieser Stil deshalb "kleiner Rahmen", Xiao Jia. Diese Schulen bilden den Hauptrahmen für das gesamte Taijiquan-System, zu jeder gibt es noch Unterarten.

Die positiven Auswirkungen des Übens werden mit längerer Übungspraxis immer stärker erfahrbar. Neben den angestrebten Kampfkunstfähigkeiten und der allgemein verbesserten Gesundheit stellt sich ein sehr intensives Körpergefühl ein, da der Energiefluss jetzt nicht nur während des Übens wahrgenommen wird. Die wohl auffälligste Veränderung dürfte die langsam aber stetig zunehmende Stille im Geist des Übenden sein. Diese wird - wie der Energiefluss - jetzt nicht nur während des Übens erfahren, sondern zur dauerhaften Eigenschaft des Übenden.

(CRI/China.org.cn, 2. Dezember 2004)