Die Jiming-Poststation

Es geschah am frühen Morgen eines sonnigen Frühlingstages in einem kleinen Bauernhof im Norden der Provinz Hebei.

Ein Hahnenschrei weckt mich auf. Ich schiebe das Fenster auf, das sich nur mit Mühe und quietschend bewegen lässt. Etwas verschlafen blinzle ich in die Sonne. Es ist bereits hell. Auf dem Bauernhof herrscht reges Treiben. Der Boden des Hofes ist zur Hälfte mit Birnenblüten bedeckt. Der Regen in der Nacht hat die weißen Blüten von den Birnenbäumen herunterregnen lassen. "Zao shang hao" "Guten Morgen", ruft Meng, der Hofbesitzer zu mir herüber. Meng ist ein älterer Mann, der gern Pfeife raucht. Er raucht sie auch, während er auf mich im Hof wartet. Ich beeile mich, schnappe meine Sachen, und dann nichts wie los. Denn Meng will mich heute zur alten Jiming-Poststation führen.

Jiming-Poststation, das heißt auf Deutsch so viel wie Poststation vom Hahnenschrei. Niemand im Dorf weiß genau, wann die Station errichtet wurde. Aus der Charakteristik des Gebäudes lässt sich folgern, dass die Poststation in der Yuan-Dynastie (1271-1368 n.Chr.) ungefähr im 13. Jahrhundert errichtet wurde. Aus einem Buch mit dem Titel "Die Geschichte der altchinesischen Postkommunikation" erfahre ich, dass das heutige Beijing in der Yuan-Dynastie das politische Zentrum des Reiches war. Von der kaiserlichen Hauptstadt führten vier Hauptpostwege in alle vier Himmelsrichtungen. Einer davon führte nach Norden über die Kreise Changping, Longqing, Huailai und Xuanhua in die mongolische Wüste. Allein im Kreis Xuanhua gab es damals 11 Poststationen. Die Jiming-Poststation befand sich auf der Strecke zwischen Xuanhua und Zhangjiakou.

Das System der Postwege und -stationen entstand in China bereits in der Zhou-Dynastie vor rund 2200 Jahren. In der Qin-Dynastie (221-202 v.Chr.) vor 2000 Jahren wurde das landesweite Netz von Postwegen und -stationen weiter vervollkommnet. Ab der Qin-Dynastie wurde das Postsystem in China kontinuierlich verstärkt und ausgebaut. Das Postsystem war stets ein wichtiger Bestandteil der zentralisierten Macht und hatte eine strategische Bedeutung für die politische, wirtschaftliche und militärische Sicherheit des Kaiserreiches. In China ist das Postsystem eine seit mehr als 3000 Jahren funktionierende Lebensader.

Die Jiming-Poststation gleicht einer Festung. Sie besitzt Mauern und gewaltige Tore. Die Wege in die Postation hinein und heraus waren mit grünen Steinen gepflastert. Die Poststation war eine unausweichliche Station für jeden Eilboten und Händler, der aus der Stadt Beijing in Richtung Wüste fuhr.

Die viereckige Festung der Poststation ist im Inneren durch eine Hauptstraße in einen westlichen und einen östlichen Teil gegliedert. Die Poststation hat zwei Tore - eines im Süden und ein anderes im Norden. Beide Stadttore wurden nicht auf derselben Achse errichtet, damit wurde der kaiserlichen Macht Respekt gezollt. In der Feudalzeit durfte nur die Kaiserstadt symmetrisch angeordnete Tortürme haben.

Beide Tortürme funktionierten zugleich als eine Art Uhr. Ein Torturm fungierte als Glockenturm, der andere als Trommelturm. In der Feudalzeit war Pünktlichkeit entscheidend für Eilboten. Wer sich verspätete, dem drohte eine extrem harte Strafe.

Das wichtigste Gebäude der Postfestung befindet sich am südlichen Ende der Achse-Straße. Hier am Hofe der Poststation empfing der Direktor der Poststation wichtige Mandarine, die unterwegs auf Dienstreise waren.

Im Hof stehen zwei Dattelbäume. An den Zweigen sehe ich Knospen sprießen. Ich bewundere die Holzschnitzereien an den Festerrahmen, die den amtlichen Status der Poststation andeuten. Die Blickschutzwand hinter dem Hoftor ragt hoch empor, die feinen Dekorationen sind nicht mehr zu sehen. An der Größe und der Höhe der Schutzwand lässt sich heute die Wichtigkeit des Hofes vor einigen Jahrhunderten erkennen.

Eine weißhaarige ältere Frau erzählt mir, dass die Kaiserwitwe Cixi auf ihrer Flucht von Beijing nach Xian hier in diesem Hof Halt machte.

(China.org.cn, 28. September 2005)