38 Stunden im Zeichen der "Merkel'schen Diplomatie"

Ein halbes Jahr nach ihrem Amtsantritt ist die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, am Abend des 21. Mai zu ihrem ersten China-Besuch als Bundeskanzlerin in Beijing eingetroffen.

Für ein tieferes Verständnis des ersten China-Besuchs von Angela Merkel interviewte die Shanghai Evening Post den Vizedirektor des Institutes für Deutschland-Studien an der Tongji-Universität, Professor Li Lezeng.

Keine Zusammenkunft mit der Presse - der weibliche Charakter?

Merkel hat einen vollen Terminkalender, ihr Aufenthalt in China dauert insgesamt nur 38 Stunden.

Aus Zeitmangel ließ Merkel den Vortrag an der deutschen Botschaft und die Pressekonferenz mit chinesischen und deutschen Journalisten ausfallen. Sie bleibt für das chinesische Volk, das erwartet, die Bundeskanzlerin besser kennen zu lernen, sehr mysteriös.

Dazu meinte Professor Li, dies sei der umsichtige Stil von Merkel. Er sagte, seitdem sie vor mehr als zehn Jahren die politische Bühne betreten habe, verhalte sich Merkel immer umsichtig und überlegt. Sie lege eine politische Sorgfalt an den Tag, die Männern fehlt.

Professor Li erinnerte an den "Medienkanzler" Gerhard Schröder. Li beschrieb Schröder als extravertiert. Er habe bei diplomatischen Anlässen häufig improvisiert. Dass Merkel kein Treffen mit Journalisten abhielt, zeigt ihren ruhigen Stil.

Der Besuch soll das gegenseitige Verständnis vertiefen

Zwar war Staatspräsident Hu Jintao während seines Besuches in Deutschland am 11. November letzten Jahres bereits mit Merkel zusammengetroffen, aber dieses erste Treffen war voller Höflichkeitsfloskeln. Damals war Merkel gerade dabei, Ex-Bundeskanzler Schröder nach seiner Niederlage bei der Bundestagswahl abzulösen, erklärte Professor Li. Der jetzige China-Besuch von Merkel als Bundeskanzlerin hat das Ziel, eine vertrauensvolle Beziehung mit den chinesischen Staatsspitzen aufzubauen.

Wie Schröder wird auch Merkel von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet. Neben der Unterzeichnung diverser Vereinbarungen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit schenkte Merkel dem Schutz des geistigen Eigentums große Aufmerksamkeit. Nach einer Prognose von Professor Li werden China und Deutschland in Bezug auf diese Frage konstruktive Beratungen abhalten. Seiner Meinung nach könnten sich die bilateralen Beziehungen zwischen China und Deutschland unter der Merkel-Regierung zwar mehr oder weniger verändern, aber die China-Politik im Allgemeinen wird keiner großen Veränderung unterliegen. Historisch gesehen wurde die China-Politik sowohl unter Helmut Kohl als auch unter Gerhard Schröder mit fortschreitender Amtszeit immer freundlicher.

Aktive Diplomatie – Zahlreiche Besuche im ersten halben Jahr

Seit dem Amtsantritt vor mehr als einem halben Jahr traf Merkel mehrmals mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac zusammen. Zweimal reiste sie in die USA und führte Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie dem englischen Premierminister Tony Blair. Nach Beobachtung von Professor Li zeichnet sich nun allmählich der eigene Stil der "Merkel'schen Diplomatie" ab.

Die deutsch-französischen Beziehungen weiter zu festigen, die Beziehung mit den USA wieder zu verbessern und sich gleichzeitig ein wenig von Russland zu distanzieren, all diese diplomatischen Handlungen zeichnen sich in vieler Hinsicht von denen ihres Vorgängers ab. Dies tut sie nicht mit bestimmter Absicht, sondern es handelt sich dabei um die außenpolitische Strategie der Union hinter Merkel.

Aufgrund der schwerwiegenden innenpolitischen Probleme, für die es keine kurzfristige und einfache Lösung gibt, sind die diplomatischen Aktionen von Angela Merkel selbstverständlich sehr charakteristisch, sagte Professor Li.

(China.org.cn, Shanghai Evening Post, 24. Mai 2006)