China und Deutschland - Von den Flitterwochen zur partnerschaftlichen Ehe

Von Wang Jiannan

Von 21. bis 23. Mai 2006 war die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zu ihrem ersten Staatsbesuch nach ihrem Amtsantritt in China. Sie wurde von einer 40-köpfigen Delegation begleitet, der auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, Vertreter aller Parteien des Bundestags sowie Wirtschaftsvertreter angehörten. Ihr Besuch in Beijing und Shanghai dauerte 38 Stunden. Für Merkel war der China-Besuch ein Studienaufenthalt und eine Politik- und Wirtschaftsreise. Der Aufenthalt war von der merkel'schen Diplomatie geprägt und sollte neue Schwerpunkte in der deutschen China-Politik setzen.

19 Verträge – neue Impulse für die Wirtschaftskooperation

Das bilaterale Handelsvolumen zwischen China und Deutschland ist höher als das gesamte Handelsvolumen zwischen China und Großbritannien, Frankreich sowie Italien und macht rund ein Drittel des Handelsvolumens zwischen China und den 25 EU-Ländern aus. 2005 lag das bilaterale Handelsvolumen bei über 60 Milliarden US-Dollar. China ist Deutschlands größter Handelspartner in Asien und Deutschland ist Chinas größter Handelspartner in Europa. Die Wirtschafts- und Handelskooperation hat ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht.

Der Schwerpunkt der China-Besuche der verschiedenen deutschen Bundeskanzler lag auf dem Ausbau der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Merkel ist dabei keine Ausnahme. In Anwesenheit der beiden Regierungschefs wurden in Beijing 19 bilaterale Kooperationsdokumente unterzeichnet. Darunter finden sich ein Memorandum über Gütertransport-Kooperation zwischen dem chinesischen Eisenbahnministerium und der Deutschen Bahn AG, eine Rahmenvereinbarung zwischen dem selben Ministerium und der Siemens AG zur Technikkooperation bei Elektroloks, ein Memorandum für den Schutz des geistigen Eigentums in der chinesischen und deutschen Textilindustrie sowie andere Kooperationsabkommen in den Bereichen Technologie, Finanz, Kommunikation, Energie, Kultur und Biologie.

Die größten Gewinner auf deutscher Seite sind Siemens und der Energielieferant STEAG. Siemens und der chinesische Partner schlossen eine Rahmenvereinbarung zur gemeinsamen Produktion von 500 Lokomotiven. Das Vertragsvolumen beträgt mehr als 300 Millionen Euro. Außerdem wird Siemens China Mobile die Handynetztechnologie GSM bereitstellen. STEAG stellt China Sicherheitstechnik für Minen zur Verfügung. Der Softwarehersteller SAP unterzeichnete eine Vereinbarung über Software für mittelständische chinesische Unternehmen. Lufthansa vereinbarte mit Air China, die chinesischen Luftlinien in das Luftverkehrsbündnis Star Alliance aufzunehmen.

Im Vergleich zu den China-Besuchen anderer deutscher Bundeskanzler fällt auf, dass während Merkels China-Reise einige Transaktionen trotz intensiver Verhandlungen in letzter Minute nicht unter Dach und Fach gebracht werden konnten. Da die chinesische Seite noch die technische Machbarkeit überprüft, konnte die Verlängerung der Transrapid-Strecke bis nach Hangzhou noch nicht festgelegt werden. Die Gesamtlänge der Strecke würde rund 200 Kilometer betragen. Dazu sagte Merkel lächelnd: "Für so eine ausgezeichnete Technologie ist 200 Kilometer noch nicht zu lang." Sie deklarierte den Wunsch zur Kooperation in diesem Bereich und sagte, sie hoffe, während eines späteren China-Besuchs mit der Magenetschwebebahn von Shanghai nach Hangzhou fahren zu können. Trotzdem unterzeichneten beide Seiten eine Absichtserklärung, in der festgehalten wurde, dass beide Seiten das milliardenschwere Verlängerungsprojekt durchführen wollen. Das weltgrößte Chemieunternehmen BASF und sein chinesischer Partner konnten sich jedoch nicht auf den Ausbau der Chemiefabrik in Nanjing einigen.

Dies zeigt, beide Seiten gehen in den Handelsbeziehungen mehr vom gegenseitigen Nutzen und der praktischen Umsetzbarkeit aus und werden immer objektiver und pragmatischer. Ein anderer Unterschied zu früher ist, dass die deutschen Unternehmen weniger Verträge mit überwiegenden Vorteilen auf ihrer Seite unterzeichneten. Inhaltlich legen sie mehr Wert auf die Zusammenarbeit zwischen Partnern.

Urheber- und Menschenrechte – die Hauptanliegen von Merkel

In der deutschen China-Politik gibt es ein altes und ein neues sensibles Thema: das alte sind die Menschenrechte und das neue das geistige Eigentum. Diese zwei Rechte sind die Hauptthemen, die von Merkel während ihres Besuchs am stärksten betont wurden.

Für Merkel steht die wirtschaftliche Beziehung zwischen China und Deutschland weiter an oberster Stelle, aber anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder will sie auch die anderen Bereiche nicht aufgeben. Entsprechend der diplomatischen Strategie ihrer Partei CDU sollte sie die wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen von Deutschland mit der chinesischen Innenpolitik, wo noch Probleme beständen, verknüpfen.

Merkel zeigte Interesse an den gesellschaftlichen Problemen und den Formen der Beteiligung des Volkes an politischen Angelegenheiten in China. Sie unterstrich die westlichen Wertvorstellungen und die Menschenrechte stärker als ihr Vorgänger. Bei der Menschenrechtsfrage war sie direkt und ohne Umschweife – ganz im Gegensatz zu Schröder, der heimliche Diplomatie bevorzugte. Bereits am Anfang des Besuchs brachte sie deutlich zum Ausdruck, dass die Menschenrechtsfrage ein untrennbarer Bestandteil der Kooperation zwischen beiden Ländern ist. Nach dem Treffen mit Ministerpräsident Wen Jiabao erklärte Merkel, dass sie ganz offen über die Menschenrechtsfrage diskutiert hätten. Deutschland und China sind Mitglieder im neuen UN-Menschenrechtsrat und tragen deshalb Verantwortung gegenüber anderen, sagte Merkel. Erfreulicherweise könne in China nun immer offener über Menschenrechte gesprochen werden. Freilich gäbe es zwischen beiden Ländern noch Meinungsverschiedenheiten in dieser Hinsicht, aber Hauptsache ist, dass das Thema nicht vom Tisch gewischt wird. Merkel wird auch in Zukunft auf dieses Thema eingehen.

Gleichzeitig betonte sie, dass der Austausch und die Kooperation zwischen beiden Ländern verbreitert werden sollten, vor allem in den Bereichen Jugendaustausch, Kultur und dem nichtstaatlichen Bereich. Mit diesem Ansinnen im Hintergrund traf sie auf dem Abendempfang an der deutschen Botschaft mit Volksvertretern und in Shanghai mit Vertretern aus religiösen Kreisen zusammen. Sie betonte, dass die Menschenrechtsfrage, einschließlich der Religionsfreiheit, im Dialog mit China eine wichtige Stellung nimmt. In den politischen Kreisen in Deutschland herrscht im Allgemeinen die Meinung, dass der Menschenrechtsdialog zwischen China und Deutschland heute zwar bedeutend, aber noch nicht zufriedenstellend ist. Der Schutz der Menschenrechte beinhaltet auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Mit der China-Offensive deutscher Unternehmen haben alle Parteien in Deutschland dazu aufgerufen, die Arbeitsbedingungen in deutschen Unternehmen zu verbessern.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, trat dafür ein, dass die deutschen Unternehmen bei ihren Niederlassungen in China noch höhere Standards für den Schutz der Arbeitnehmerrechte anwenden als die chinesischen, um eine Vorbildrolle zu spielen. Die Merkel-Regierung hat daher in der Menschenrechtsfrage deutlichere Stellungnahmen abgegeben als die von Schröder. Bei ihren Staatsbesuchen in den USA und in Russland kritisierte Merkel die dortigen Verhältnisse, die den Menschenrechten zuwiderlaufen, ebenfalls scharf. Ihre klare Stellungnahme über die Menschenrechtsfrage in China bestätigte erneut, dass sie konsequent großen Wert auf die Menschenrechte legt.

Mit der immer enger werdenden Verbindung im wirtschaftlichen Bereich werden die Klagen der deutschen Wirtschaft über technischen Diebstahl und die Produktimitation durch chinesische Unternehmen immer lauter. Die Schäden durch Raubkopien belaufen sich auf mehrere Milliarden Euro. Die chinesische Regierung müsse alle Mittel für den Kampf gegen die Verletzung geistiger Eigentumsrechte einsetzen. Als WTO-Mitglied müsse China seinen Pflichten nachkommen, betonte der Bundeswirtschaftsminister Glos. Merkel kritisierte ebenfalls mehrmals, dass China die geistigen Eigentumsrechte nicht respektiere und bei dem aktuellen China-Besuch bildet dies auch den Schwerpunkt der Gespräche.

Bei dem Gespräch mit Ministerpräsident Wen gab dieser offen zu, dass es in diesem Bereich noch Probleme bestünden. Er erklärte, dass China alles tun werde, um den Schutz des geistigen Eigentums zu verstärken. Während Merkels Besuchs schloss die chinesische Textilindustrie mit den deutschen Branchenspitzen eine Vereinbarung für den Schutz des geistigen Eigentums. Sie verpflichtet die chinesische Textilindustrie, harte Strafen gegen Raubkopierer zu verhängen und in Zukunft Unternehmen, die ohne Erlaubnis Produkte nachmachen, aus den Branchen auszuschließen.

Der Ex-Chef von Siemens und Vorstandsvorsitzender des deutschen Asien-Pazifik-Ausschusses, Heinrich von Pierer, zeigte sich zuversichtlich in Bezug auf den Schutz des geistigen Eigentums in China. Er glaube an Fortschritte auf diesem Gebiet, weil in China künftig Rechtsverletzungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden wird. Grund dafür ist, dass in China selbst immer mehr technische Innovationen hervorgebracht werden. Diese Innovationen müssten ebenfalls geschützt werden. Daher werde sich China selbst für einen besseren Schutz des geistigen Eigentums einsetzen.

Weniger Worte, mehr Taten

Der Namen der deutschen Bundeskanzlerin wird auf Chinesisch mit "Moke´er" wiedergegeben. Die erste Silbe "mo" bedeutet "introvertiert" und "schweigsam". Dies ist der Eindruck, den das chinesische Volk von der deutschen Bundeskanzlerin hat.

Merkels Stil ist tatsächlich "schweigsam". Der Kontrast zwischen ihr und dem ehemaligen Bundeskanzler Schröder ist groß. Im Vergleich zum extravertierten und bodenständigen Schröder verhält sich Merkel als Naturwissenschaftlerin introvertiert und überlegt. Sie handelt sachlich, pragmatisch, ruhig, ernsthaft und sorgfältig.

Schröder legte großen Wert auf die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in China. Merkel schenkte zwar dem chinesischen Markt auch Beachtung, meint allerdings, China solle neue Regeln ausarbeiten, um wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Dafür ging sie Debatten nicht aus dem Weg und kritisierte China ohne zu beschönigen. Experten im Umfeld von Merkel meinten, China solle weiterhin an Handelsvorschriften festhalten, gegen Rechtsverstöße vorgehen, die Menschenrechte schützen und den Umweltschutz fördern. Dies werde China Entwicklung und Zusatzwert bringen. Das Wort "Zusatzwert" entspricht der rationalen Denkweise von Merkel.

Die Devise des China-Besuchs von Merkel scheint "weniger Zustimmung, mehr Kritik" gelautet zu haben. Laut deutschen Medien sei die Zeit der vorbehaltlosen Zustimmung in den deutsch-chinesischen Beziehungen vorbei. Die liebevolle Zuneigung sei dem Alltag gewichen. Merkel legt im Vergleich zu Schröder mehr Wert auf die Lösung der Probleme und die Interessen Deutschlands und weniger auf die persönliche Freundschaft zu ihrem politischen Gegenüber. Sie hält die chinesischen Spitzenpolitiker im Gespräch etwas auf Distanz. Auf ihrem Gesicht liegt ein freundliches Lächeln, aber es ist nicht so einnehmend und herzlich wie bei Schröder. Merkel verwendete selten den Ausdruck "strategische Partnerschaft", sondern sprach häufig von der "guten Basis", denn dies bedeutet, dass die Beziehungen zwischen China und Deutschland sich weiterentwickeln können. Wie in den USA und in Russland sprach Merkel auch in Beijing einige kontroverse Themen an. Sie kritisierte die juristische Praxis in China und befürwortete den unzensurierten Zugang zum Internet. Sie glaubt, wirkliche Partnerschaft kann nur durch offene Gespräche aufgebaut werden. Merkel versucht, ein Gleichgewicht zwischen Zusammenarbeit und Kritik zu erreichen. Es ist zu erwarten, dass Merkel zu "einer Meisterin des Ausgleichs" wird.

Aktivere Haltung in der China-Politik

Der Staatsbesuch der deutschen Bundeskanzlerin war kein politischer Wirbelwind, wie man befürchtete, sondern ein freundliches Lüftchen. Das zeigt, dass von Kohl über Schröder bis Merkel die deutsche China-Politik immer auf Dialog und nicht auf Konfrontation beruht.

Aber die China-Politik von Merkel hat ihre eigene Charakteristik. In den politischen Kreisen in Deutschland heißt es, dass Merkel eine aktivere China-Politik betreiben wird. Nicht nur die Wirtschaftskooperation sondern auch die Zusammenarbeit der beiden Länder im politischen Bereich soll gestärkt werden .

Angesichts der wachsenden internationalen Bedeutung Chinas bekannte Merkel, Deutschland strebe in internationalen Fragen eine engere Kooperation mit China an. China solle eine wichtigere Rolle bei der Lösung der iranischen Atomfrage spielen. Beide Seiten stimmten darin überein, dass der Iran keine Atomwaffen besitzen dürfe und das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft gewinnen müsse. China und Deutschland einigten sich darauf, dass der Iran-Konflikt unter gemeinsamen Bemühungen und auf diplomatischem Weg gelöst werden sollte. Nachdem Deutschland als Koordinator in der iranischen Nuklearfrage auftritt, bemüht sich Merkel, eine breite diplomatische Allianz gegen den Iran zu schließen. Aber die beiden Vetomächte im UN-Sicherheitsrat, China und Russland, vertreten den Standpunkt, dass der Iran nicht bestraft werden sollte. Die anderen drei Vetomächte USA, Großbritannien und Frankreich wollen wie Deutschland, Sanktionen gegen den Iran verhängen, um die Urananreicherung im Iran zu unterbrechen.

Mit dem China-Besuch schloss Merkel ihre erste Besuchstour durch die USA, Russland und China im ersten halben Jahr nach ihrem Amtsantritt ab. Es zeichnet sich bereits eine Linie in ihrer Politik gegenüber China ab. Die chinesisch-deutschen Beziehungen werden sich unter der Regierung Merkel im Großen und Ganzen in die gleiche Richtung weiterentwickeln wie bisher. Die Wirtschaft ist ein wichtiger Bestandteil der deutschen Außenpolitik. In diesem Sinne erhält China, als aufstrebende neue wirtschaftliche Großmacht, in der deutschen Außenpolitik immer mehr Gewicht. Die Ausweitung der Partnerschaft mit China entspricht den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands. Gleichzeitig wird China mit steigender internationaler Bedeutung ein immer wichtiger Partner Deutschlands. Deutschland tritt aktiv dafür ein, dass China in Bezug auf internationale Angelegenheiten mehr Verantwortung übernimmt und in die G-8, APEC sowie andere internationale Organisationen aufgenommen wird.

Einerseits wird die Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland immer enger, andererseits wird sie aber nicht immer so harmonisch bleiben. Während der Ausweitung der Zusammenarbeit kann es auch vermehrt zu Spannungen kommen. Doch solange beide Seiten das gegenseitige Vertrauen fördern und die Koordination, den Dialog und die Zusammenarbeit verstärken, können sich aus den Spannungen entwickelnde Konflikte vermieden werden und die chinesisch-deutschen Beziehungen werden sich weiter stabil und ungehindert entwickeln.

(Die Autorin ist Mitglied der Abteilung für Europäische Studien beim Chinesischen Forschungsinstitut für Zeitgenössische Internationale Beziehungen.)

(China.org.cn, 26. Mai 2006)