Liaocheng–die Stadt am Großen Kanal

Die Stadt Liaocheng im Westen der ostchinesischen Provinz Shandong ist seit langer Zeit eine wichtige Anlegestelle am Großen Kanal, der sich von Beijing aus nach Süden bis in die idyllische Stadt Hangzhou zieht. Anfang 2004 haben Archäologen in einem Vorort von Liaocheng eine mehr als 700 Jahre alte Schleuse entdeckt. Dieser Fund gilt als überzeugender Beweis für die große Bedeutung der Ortschaft Liaocheng für den Wassertransport auf dem Großen Kanal.

Zhai Qing beschäftigte sich als Forscher lange mit der Geschichte der Ortschaft Liaocheng. Er erklärte die Funktion der Schleuse:

"Die verschiedenen Abschnitte des Großen Kanals liegen nicht auf der selben Höhe. Der durch Liaocheng verlaufende Abschnitt liegt höher als seine beiden benachbarten Abschnitte im Norden und im Süden. Daher wurden in diesem Abschnitt mehrere Schleusen errichtet, um den Schiffen, die auf dem Kanal Liaocheng erreichten, die Weiterfahrt zu ermöglichen."

Damals war der Große Kanal eine wichtige Verkehrsader, die Nord- und Südchina verband. Verschiedenste Waren aus dem Wirtschaftszentrum am Yangtze-Fluss wurden per Schiff nach Norden in die Kaiserstadt Beijing transportiert. Dank des regen Wasserverkehr entwickelte sich Liaocheng binnen kurzer Zeit zu einer der bedeutendsten Binnenhafenstädte Chinas. Dazu sagte Fu Shunlan, Historiker an der Akademie der Sozialwissenschaften der Provinz Shandong:

"Liaocheng war bereits in der Ming-Dynastie ein pulsierender Binnenhafen am Großen Kanal. Schiffe, die Güter aus der Stadt Nanjing hinauf nach Beijing transportierten, machten ausnahmslos bei Liaocheng Station. Somit war Liaocheng eine der ältesten Handelsstädte Nordchinas. Die Stadt ist sogar älter als die Hafenstadt Tianjin."

Der Aufstieg der Stadt Liaocheng zu einer bedeutenden Hafen- und Handelsstadt begann aber erst zu Anfang der Ming-Dynastie.

Im Jahre 1368 schlug der Anführer eines Bauernaufstands Zhu Yuanzhang mit seinen Truppen die mongolischen Herrscher in die Wüste zurück und gründete die Ming-Dynastie. Zu jener Zeit lag Nordchina durch die Kriegswirren zum Teil in Trümmern. Um die Wirtschaft wiederzubeleben, die Gesellschaft zu stabilisieren und die Wunden des Krieges zu heilen, ließ der Kaiser Bauern aus der nördlichen Provinz Shanxi nach Liaocheng umsiedeln. Die Umsiedlungspolitik war erfolgreich. Nach kurzer Zeit erholte sich die Wirtschaft in der Region, und die Lebensbedingungen der Menschen verbesserten sich deutlich. Nach und nach zogen auch viele Händler aus Shanxi nach Liaocheng. Sie sahen in Liaocheng einen wichtigen Standort, an dem sie ihre Geschäfte expandieren konnten. Dazu sagte der Historiker Fu Shunlan:

"Der Grund war vor allem die günstige Verkehrslage. Aus Liaocheng konnte man Produkte aus Südchina sehr schnell nach Nordchina transportieren und Rohstoffe aus Nordchina weiter nach Süden bringen. Liaocheng wurde zu einer Drehscheibe für die Waren der Händler aus Shanxi."

Als immer mehr Händler aus Shanxi hierher kamen, errichteten sie in Liaocheng auch ihr eigenes Gildenhaus. Dort wurde eine Statue des legendären Guan Yu aufgestellt. General Guan wird von den Chinesen noch heute als Symbol für Gerechtigkeit und Unbesiegbarkeit angesehen.

In einem Dorf namens Zhangweizhuang im Norden von Liaocheng wurden vor einigen Jahrhunderten Ziegel für den Kaiserhof gebrannt. Das Dorf und die Werkstätten zur Ziegelherstellung wurden von Soldaten und Eunuchen streng überwacht. Wer ohne Erlaubnis das Dorf betrat, dem drohte die Todesstrafe. Warum aber wählte der Kaiser das Dorf Zhangwei, das weit von der Kaiserstadt entfernt liegt, für die Produktion von Ziegeln? Die Antwort weiß Professorin Wang Yü von der Hochschule Liaocheng:

"Hier verlief zu früherer Zeit der Gelbe Fluss. Der lehmige Boden des einstigen Flussbettes ist für die Herstellung von Ziegelsteinen sehr gut geeignet. Er ist weder zu klebrig noch zu sandig. Die fertigen Ziegel wurden nach strengen Kriterien überprüft, bevor sie per Schiff auf dem Kanal nach Beijing transportiert werden durften."

Mit dem Sturz der Monarchie Anfang des 20. Jahrhunderts fand auch die Ziegelsteinherstellung im Dorf Zhangweizhuang ein Ende.

(China.org.cn, 30. Mai 2006)