Immer weniger Kampfszenen in Kung-Fu-Filmen

Ein Schwert schwingend schnellt ein maskierter Mann in Schwarz aus dem Wasser. Der smaragdgrüne Bambuswald wiegt sich sanft, als ein weißer Krieger durch die Lüfte schwebt.

Diese Bilder waren vor der Übertragung der Fußballspiele der diesjährigen Weltmeisterschaft auf dem chinesischen Sportkanal zu sehen. Für die neueste Filmproduktion "The Banquet" (Originaltitel: Yeyan) von Feng Xiaogang, der als einer der beliebtesten Regisseure auf dem Festland gilt, war dort kräftig die Werbetrommel gerührt worden.

Trotz eines einminütigen actiongeladenen Trailers verwehrt sich Feng gegen die Aussage, jemals einen Martial-Arts-Film gedreht zu haben. Der Film "The Banquet" ist seiner eigenen Aussage zufolge eine historische Tragödie mit Tiefgang – mit Zhang Ziyi in der Hauptrolle. Der Film gilt als orientalische Version von Hamlet.

Bis zum Dreh von "The Banquet" war Feng eher für eine beliebte, ironische Comedy-Serie über das moderne Stadtleben bekannt, die ihm in China gigantische Kasseneinnahmen bescherte.

Demnach scheint der Actiontrailer aus einer überlegten Entscheidung gereift zu sein, seine Filme nicht nur für das chinesische Publikum, sondern auch für den internationalen Markt produzieren zu wollen. Laut der Filmstelle des Staatlichen Hauptamtes für Radio, Film und Fernsehen, machten Martial-Arts-Filme 60 Prozent der im vergangenen Jahr in den USA durch chinesische Filme eingespielten 200 Millionen US-Dollar aus. Einen Löwenanteil an diesem Erfolg hatten die Filme "The Promise" (Originaltitel: Wuji) von Chen Kaige und "Die Sieben Schwerter" (Qi Jian) vom Hong Konger Regisseur Tsui Hark.

Das Comeback der Martial-Arts-Filme während der letzten Jahre sei das Ergebnis der zunehmenden Kommerzialisierung der chinesischen Filmbranche, sagt Jia Leilei, Direktor des Forschungszentrums für Kulturstrategie an der Chinesischen Kunstakademie. Auf dem Festland wurden im vergangenen Jahr insgesamt 260 Martial-Arts-Filme produziert. Jeder einzelne dieser Filme konnte ein üppiges Budget, großartige Szenen und beachtliche Kasseneinnahmen verzeichnen.

Laut Gao Jun, General Manager der Beijing New Film Assciation Company, versuchten sich die Filmregisseure Zhang Yimou und Chen Kaige, die sich durch "Leben!" (Originaltitel: Houzhe) und "Lebewohl meine Konkubine" (Originaltitel: Bawang Bieji) einen internationalen Namen machten, in Anlehnung an die Marktbedürfnisse an einem neuen Drehstil.

Denn Martial-Arts-Filme werden laut Gao Jun von ausländischen Film-Verleihfirmen bevorzugt und haben daher bessere Chancen, in den großen Kinos im Ausland gezeigt zu werden.

"Ein großzügiges Budget, das Engagement beliebter Schauspieler und ein aufwändiger Produktionsstandard versprechen internationalen Erfolg", sagte Gao.

"Momentan haben Spezialeffekte Vorrang vor Kampfszenen", sagt auch Jia. Wegen seines künstlerischen Kampfstils gilt "Crouching Tiger, Hidden Dragon" als Tanzdrama ohne eigentlichen Tanz.

Auch Ang Lee räumte ein, dass sein Martial-Arts-Film mehr Tanzelemente enthält als Kampfkunst. Das Ritual stamme aus der Pekingoper. Gegenüber der Guangzhouer Zeitung Southern Weekend hatte Lee im Juni erklärt, dass Action-Choreographen in Hong Kong in choreographierter Gewalt in der Pekingoper sehr erfahren seien. Daher würde ein Kampfkunststil in Form der Körpersprache für geringere Kulturdifferenzen sorgen und beim ausländischen Publikum auf größere Akzeptanz stoßen.

Niemand bestreitet, dass der visuelle Aspekt durchaus von großer Bedeutung ist. Doch für Jia Leilei, der Verkörperung des Martial-Arts-Films, steht die traditionelle chinesische Moral und Philosophie an erster Stelle. Hierfür einige Beispiele: der Vater nimmt fast immer eine autoritäre Position ein, die Handlung orientiert sich am Respekt gegenüber den Eltern, zum Beispiel rächt ein Sohn seine Familie, die Kampfstrategie ist selten präventiv, wird aber bis zum letzten Moment hinausgezögert, in dem Gewalt unausweichlich und daher unvermeidbar ist.

"Die Handlung steht im Zentrum", sagte Ding Jie, Büroangestellte und Filmfan. "Grandiose Kampfkunst und -szenen erfreuen das Auge. Doch ohne eine gut durchdachte Handlung oder mit unscheinbaren Charakteren vergesse ich den Film, sobald ich das Kino verlasse", meinte sie.

Ding Jie ist über "The Banquet" ein wenig enttäuscht. Nach ihrer Aussage ähneln die Kostüme denen in "The Promise" und erinnert die Handlung an "Crouching Tiger, Hidden Dragon".

"The Banquet" wird ab September gezeigt. Der Choreograph Yuan Heping erlangte mit "Crouching Tiger, Hidden Dragon" und "Matrix" Ruhm. Obwohl Feng in China bereits sehr berühmt ist, muss er Hong Kong erst noch erobern. Dabei dürfte ihm sein bislang bester Film "The Banquet" helfen.

"Martial-Arts-Filme sind der Inbegriff chinesischer Kultur. Wir müssen sie international bekannt machen", sagt Jia. Um Shaolin Kung-Fu als Beispiel zu nennen: Im März dieses Jahr stattete Wladimir Putin dem Shaolin-Tempel einen Besuch ab. Und der Abt des Shaolin-Tempels Shi Yongxin wurde als einziger Chinese vom FIFA-Präsidenten Joseph Blatter zur Fußball-WM nach Deutschland eingeladen.

"Meine Filme sind mein China – ein China, das wahrscheinlich nie existierte, außer in meinen Kindheitsfantasien auf Taiwan", sagte Ang Lee über sein Epos.

"Seine Fantasien basieren auf den Kung-Fu-Filmen seiner Jugendzeit, doch er hat sie in eine Traumwelt umgesetzt, die viel schöner ist", meinte Jia.

Nach Lee folgte Zhang Yimou im Jahr 2002 mit "Hero" (Originaltitel: Yingxiong) und 2003 mit "House of Flying Daggers" (Originaltitel: Shimian Maifu). Chen Kaige drehte 2005 "The Promise". Alle Filme waren sehr erfolgreich, doch keiner konnte an "Crouching Tiger, Hidden Dragon" heranreichen.

Als Meilenstein in der Filmgeschichte des Kung-Fu verlieh Lee dem Medium bewegende Schönheit, poetische Anmut und erstaunliche Macht. Sein Martial-Arts-Film war nicht nur ein Produkt der chinesischen Kultur, sondern vielmehr ein Ergebnis der chinesischen Mythologie und daoistischen Philosophie mit dem Ziel eines sanften, romantischen Humanismus.

Trotz aller Innovation ließ Lee zu keinem Zeitpunkt die chinesische Erzähltradition des Wuxia außer acht. Unter einem Wuxia versteht man einen ritterähnlichen Volkshelden, einen Wanderkrieger, der abseits der Gesellschaft lebt und über dem Gesetz steht, dabei aber nach seinem eigenen Moralkodex handelt.

Diese Tradition führt uns direkt zu Bruce Lee, dem legendären Helden aus Hong Kong, der Charisma und abwechslungsreiches Kung-Fu verbindet und seit den 70er Jahren mit Filmen wie "Fists of Fury", "Way of the Dragon" und "Enter the Dragon" Hollywood und die Welt begeisterte.

Mit Bruce Lee wurde für Kung-Fu der Weg nach Hollywood geebnet. Es folgten Jackie Chan mit "Rush Hour", Michelle Yeoh mit "Tomorrow Never Dies", Jet Li in "The One" und Lucy Liu in "Drei Engel für Charly".

Allerdings monieren Puristen allzu gerne, dass der "echte" Kung-Fu-Stil eines Bruce Lee der 70er Jahre oder eines Jet Li der 80er Jahre durch trickreiche Spezialeffekte, Stunts und aufwändige Produktionen abgelöst wurde.

In diesem Zusammenhang spricht Gao Jun vom Geist der Zeit. "Einerseits vereinfacht die Technik die Produktion. Andererseits interessiert sich der Großteil der Zuschauer nicht mehr für echte Kampfszenen mit Fäusten und Schwertern."

(China.org.cn, China Daily, 4. August 2006)