Das wahre Gesicht einer echten Legende

Der neue Film über den berühmtesten Pekingoperdarsteller beginnt mit der Szene einer dunklen Gasse, begleitet von den betörenden Klängen chinesischer klassischer Musik. Zu sehen ist ein Schwarz-Weiß-Bild von Mei Lanfang (1894-1961) in einem Anzug und mit einer halb abgebrannten Zigarette in der Hand. Blauer Rauch steigt langsam auf.

Nur wenige Menschen wissen, dass Mei Raucher war und noch weniger Leute können sich ihn rauchend vorstellen. Doch die beiden Regisseurinnen Lan Bing und Ye Jing des Dokumentarfilms "Neuentdeckung eines großen Meisters" (im Originaltitel: Youjian Mei Lanfang) haben ihre Gründe für diesen Dreh. "Für viele Menschen steckt Mei Lanfang voller Geheimnisse. Auf der Bühne war er die attraktivste Frau, aber im wahren Leben ein gutaussehender Ehemann und Vater", sagt Lan Bing.

Wer ist also der wahre Mei Lanfang? Mittels Fotomontagen, Musik und altem Filmmaterial versucht der Film dieser Frage nachzugehen. Er beleuchtet dessen Leben als großartiger Künstler, liebender Vater und herausragender Lehrer.

Chronologisch arbeitet der Film die großen Ereignisse in Meis Leben auf, von seinem Bühnendebüt in Beijing mit zehn Jahren bis zu seinem Auftritt vor der neuen Wissenschaftlergeneration im Jahr 1961 - zwei Monate vor seinem Tod.

Präsentiert wird auch ein Drei-Minuten-Clip über den 36-jährigen Mei während der Pekingopernaufführung "Fei Zhen'e tötet einen Tiger" (im Originaltitel: Fei Zhen'e killing the tiger). Damals zeichnete Paramount die Aufführung auf, die ein klares Bild über seinen Leistungsstand während der Anfangszeit vermittelt.

Lan kaufte die Rechte an dem Filmmaterial einer US-amerikanischen Bibliothek für 60.000 Yuan (rund 5951 Euro) ab.

Dieses seltene Filmmaterial zeigt, wie Mei mit ausländischen Freunden in seinem Privathaus plaudert. Szenen, die er als Soldat oder Fabrikarbeiter während der 1950er Jahre zeigen, waren zuvor nur selten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

Einmal hatte Konstantin Stanislawski, russischer Theaterreformer, nach einem Auftritt Meis 1935 in der ehemaligen Sowjetunion erklärt: "Nach dem Anblick von Meis Fingerfertigkeit müssten 100 meiner Studenten ihre Hände abhacken."

Erstmals zeigt ein Film, wie Mei in seinen diversen Frauenrollen aufging, deren Spektrum von der gewieften Magd bis zur alkoholisierten Schönheit reichte. Dabei beleuchtet er jede einzelne seiner Fingerbewegungen, jeden Augenaufschlag und jedes seiner Worte.

Was den Glamour um den Künstler "Mei Lanfang" weiter steigert, ist nicht nur dessen Schauspielkunst, sondern auch dessen Söhne und Zöglinge.

Besetzung durch Familienmitglieder und Zöglinge

Da das meiste Filmmaterial über Meis Bühnenkünste im Chaos der 1930er und 1940er Jahre verloren ging, luden Regisseure Mei Baojiu, Mei Lanfangs jüngsten Sohn, zu einer Präsentation der wesentlichen Episoden und einer Neuvertonung der Originalstimme des großen Meisters ein. Auch Mei Baojiu ist ein bekannter Pekingoperdarsteller, der für herausragende Aufführungen von Frauenrollen steht. Die gleiche Einladung wurde auch für drei Zöglinge der "Mei Lanfang-Pekingoperschule" ausgesprochen. Vor allem durch das Anschauen alter Filme versuchte sich Mei Baojiu den Anblick des geliebten Vaters zu bewahren.

"Wenn ich mir einen Film anschaue, werde ich sofort an meinen Vater erinnert. Dann ist sein Lächeln und seine Stimme direkt gegenwärtig. Der Film spiegelt ohne irgendwelchen technischen oder visuellen Nebeneffekte die Wahrheit wider. Auf realistische Art und Weise wird die Lebensgeschichte meines Vaters erzählt", sagt Mei Baojiu.

Auch Zhang Jing, Zögling von Mei Baojiu und Professor an der Nationalen Akademie für Lokale Opern, führt Episoden von Mei Lanfang mit der Originalstimme des Meisters auf.

"Für mich ist Mei Lanfang ein Künstler, der sich für seine Kunst aufopferte. Ich hoffe, dass durch mich und andere Zöglinge der Pekingoperschule diese in älteren Filmen von Mei nur selten erwähnte Kunstform weitergegeben wird.

Neues über Mei

Es ist allgemein bekannt, dass Mei acht Jahre lang während der 1930er Jahre einen Bart trug. Deshalb konnte er vor den japanischen Besatzern nicht als Frau auftreten.

Über diesen Teil der Geschichte Meis berichtet der Film in nüchternem Ton ohne Übertreibungen, ganz im Gegensatz zu älteren Büchern oder Filmen, die seinen Patriotismus in den Mittelpunkt rücken.

"Mei Lanfang ist kein Held, sondern nur ein Künstler. Sein Patriotismus war zur damaligen Zeit ganz alltäglich. Jegliche Übertreibung in diesem Punkt verstößt gegen Meis Lebenseinstellung", meint Wu Ying, Vize-Präsident der Mei Lanfang-Vereinigung für Kunststudien und ein Jugendfreund von Mei Baojiu.

Lan stimmt dem zu. Er sagt: "Nach so vielen Jahren sollten wir ganz genau darüber nachdenken, was wirklich wichtig an Mei war. Denn in erster Linie war er ein großer Künstler. Ich möchte nicht, dass sich das Publikum an Mei nur als Patriot und nicht als Künstler erinnert."

In den Jahren 1919, 1924 und 1956 reiste Mei insgesamt drei Mal nach Japan. Er bereiste aber auch die USA und die ehemalige Sowjetunion.

Lan und Ye sind der Überzeugung, dass Meis Popularität im Westen während des Höhepunkts seiner kreativen Schöpfungskraft in dessen internationalem Einfluss zum Ausdruck kommt.

Der genaue Filmstart steht noch nicht fest. Laut dem Produzenten Gao Feng wird der Film jedoch definitiv im In- und Ausland ausgestrahlt. Das gesamte Produktionsteam glaubt an den Erfolg des Films.

"Obwohl die Pekingoper nicht mehr so beliebt ist wie einst, fühle ich mich geehrt, ein Absolvent der Pekingoperschule zu sein. Außerdem verehren noch viele andere neben mir diese Kunstform. Auch viele junge Menschen kennen heute den Namen Mei Lanfang, kennen aber nicht seine wahre Persönlichkeit. Ich hoffe, dass meine Studenten den Film sehen und dann mehr über Meis künstlerische Leistung, seine Hingabe für den Beruf und großartige Persönlichkeit wissen", sagt Zhang Jing.

(China.org.cn, China Daily, 16. November 2006)