Tibetische Oper bald als mündliches Welterbe?
Als "lebendes Fossil" der tibetischen Kultur kann die tibetische Oper mit ihren lebhaften Gesichtsmasken, ihrem Erdtanz, rauen Gesang und farbenprächtigen Kostümen auf eine 600 Jahre lange Geschichte blicken. Im Vergleich zu anderen Volksopern anderer chinesischer Minderheiten verfügt sie über die längste Geschichte. Die tibetische Oper ist besonders bei Tibetern aus dem autonomen Gebiet Tibet sowie den Provinzen Sichuan, Qinghai und Yunnan beliebt.

Das Dorf Gyiari in der Stadt Neqoin, die sich rund 30 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Lhasa befindet, gilt als Wiege der tibetischen Oper.

Die 38-jährige Tibeterin Qoinda führt die 25 Mann starke Operntruppe Qomolang an. Auch in den benachbarten Dörfern ist sie ein Begriff.

"Die tibetische Oper wurde im Dorf von Generation zu Generation mündlich überliefert. Mehrere hundert Jahre war sie sogar in ganz Tibet bekannt", erzählt Qoinda stolzerfüllt.

Das älteste Mitglied der Truppe sei 75 Jahre alt, das jüngste 14 Jahre, erklärt sie weiter.

Dann erzählt sie eine interessante Legende über die tibetische Oper.

Im 14. Jahrhundert habe ein hoher Mönch und Brückenbauer namens Thangthong Gyalpo Eisenbrücken über die größten Flüsse Tibets bauen wollen. Damit wollte er die Verkehrswege für Pilgerreisen passierbarer machen. Um Geld für sein Projekt zu bekommen, habe Thangthong Gyalpo eine Gesangs- und Tanzgruppe mit sieben tanzenden Schönheiten gegründet, zu deren Begleitung er die Trommeln gespielt habe. In ganz Tibet sammelte die Gruppe so Geld für den Bau der Brücken. Hierin liegt der Ursprung der tibetischen Oper begründet.

In der lokalen Sprache heißt die tibetische Oper Ace Lhamo, was soviel wie "Feenschwestern" bedeutet. Als Vater der tibetischen Oper gilt Thangthong Gyalpo.

Inspiriert haben buddhistische Lehren und die tibetische Geschichte diese Kunstform. Das traditionelle Drama verbindet dabei Tanz, Gesang, Lieder und Masken.

Highlight einer jeden tibetischen Oper sind sicherlich die Masken. Eine typische Maske zeigt die Motive Sonne und Mond auf der Stirn. Die Masken geben Aufschluss über die jeweiligen Charaktere, dabei symbolisiert rot den König, grün die Königin und gelb einen Lama oder eine Gottheit.

In der Regel finden Opernaufführungen zum Shoton-Fest statt. Dieser Tag gilt dem Joghurt.

Im Laufe der 600 Jahre langen Geschichte der Oper verfassten die Tibeter rund 20 traditionelle Skripte. Leider ist ein Großteil dieser Skripte verlorengegangen. Heute sind nur noch die Namen und wenige Handlungsfolgen bekannt.

"Während der Kulturrevolution von 1966 bis 1976 verschwand die tibetische Oper fast vollständig aus meinem Dorf", erzählt Qoinda. Zur Rettung und zum Schutz dieser einzigartigen Kunstform holte das Dorf anerkannte Experten für tibetische Oper aus Lhasa ins Dorf zurück. Als ehemalige Bewohner des Dorfes geben sie dort heute Unterricht.

Nach zehn Jahren unermüdlicher Bemühungen wurde Qoinda zum Oberhaupt der Dorftruppe ernannt. Heute verfügt sie über alle Kenntnisse, die für die acht klassischen tibetischen Opern namens "Fürst Nor-bzang", "Jungfrau Vgro-ba-bzang-mo", "Die Brüder Don-yod und Don-grub", "Fürst Dri-med-Kun-idan", "Fürstin Wencheng", "Gzugs-kyi-nyi-ma", "Pad-ma-vod-vb" und "Jungfrau Shang-sa" benötigt werden.

Qoinda und ihre Truppe bereisen jedes Jahr aufs neue ganz Tibet. Dabei treten sie bei wichtigen Festen und Feiern auf.

"Seit meiner Kindheit bin ich von dieser Oper fasziniert. Bei jeder Aufführung bin ich mit ganzem Herzen dabei. Jedes Mal beim Tanzen bin ich über die Geschichten tief berührt. Dann rufe ich laut und lache. Die Oper ist Teil meines Lebens geworden. Ich möchte damit aber nicht mein Geld verdienen. Ich liebe die Oper von ganzem Herzen und möchte, dass auch die Menschen sie lieben", sagt Qoinda.

Obwohl sie nicht von der Oper leben möchte, ist Qoinda doch über die Finanzierung der Truppe besorgt.

Die Dorfoperntruppe biete für ihre Darsteller keine regelmäßigen finanziellen Einkünfte. Nur während Auftritten erfolgt eine Bezahlung und diese finden nur außerhalb der Erntezeiten oder zu wichtigen religiösen Festen statt. Von der Bezahlung können die Darsteller kaum einmal ihre Essens- und Reisekosten decken, meint Qoinda.

Laut Qoinda, kann sich die Truppe aus Geldmangel nicht einmal den Kauf von Kostümen leisten. Daher müssen die Darsteller diese aus eigener Tasche bezahlen.

Über die Jahre konnte die Truppe eine Garderobe von rund 100 Kostümen ansammeln. Doch diese Garderobe erlaubt nicht die Vorführung aller acht Opern.

Mit einem Seufzer erzählt Qoinda, dass nur drei von acht Opern aufgeführt werden könnten. Und dies obwohl das entsprechende Wissen zur Verfügung stehe.

Qoinda hofft noch immer auf größere Aufmerksamkeit und mehr Geld.

Über die Begeisterung ihrer Teammitglieder muss sich Qoinda aber keine Gedanken machen. Denn alle 25 Darsteller sind jung und suchen in der Truppe Inspiration.

Berichten zufolge, hat die tibetische Regierung bei den nationalen Kulturbehörden die Kandidatur für die Aufnahme der tibetischen Oper in die Liste für mündliches und immaterielles Welterbe der UNESCO beantragt.

"Die Aufnahme in die UNESCO-Liste bedeutet den Schutz der Oper. Zumindest aber mehr Gelder für ihren Erhalt", ist Qooinda überzeugt.

"Ich glaube, dass die tibetische Oper auf Menschen noch immer eine Faszination ausübt. Und das nicht nur in Tibet, sondern auch in anderen Teilen Chinas und der Welt. Sogar wenn das Publikum die Lyrik nicht verstehen kann, vermitteln Gesang und Tanz doch die Kernbotschaft. Deshalb bin ich was die Zukunft dieser Oper angeht optimistisch", erklärt sie weiter.

(China.org.cn, 26. Juli 2005)