Der Zhuozheng-Garten in Suzhou

Der "Garten der Politik des einfachen Mannes" heißt auf Chinesisch "Zhuozheng-Yuan", also "Zhuozheng-Garten". Er ist der größte und der bekannteste Garten in Suzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu.

Dieser Garten wurde in der Ming-Dynastie, der vorletzten chinesischen Monarchie, die von 1368 bis 1644 herrschte, angelegt. Ursprünglicher Besitzer des Gartens war Wang Xianchen, ein pensionierter Feudal-Beamter. Vor seinem Ruhestand war er in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts regionaler Staatsanwalt. Doch die amtlichen Würden brachten auch allerlei Bürden mit sich, die Karriere als Staatsanwalt, der seine Anständigkeit und Ehrlichkeit immer aufs neue beweisen musste, bildete eine große psychische Belastung. Staatsanwalt Wang suchte also einen Ausgleich für den quälenden Alltag- und diesen Augleich fand er in der Nähe zu Natur. So ließ er einen Garten anlegen, in dem er nach seiner Pensionierung ungestört ein beschauliches und harmonisches Leben genießen konnte. So entstand der Zhuozheng-Garten, der größte und der bekannteste Privatgarten in Suzhou.

Und an dieser Stelle wollen wir nun noch etwas ausführlicher auf die Geschichte des Gartenbaus in China insgesamt eingehen.

Für Gartenbau-Experten bedeutet der Begriff  "Privatgarten" mehr Variationen und Kreativität als in einem "Kaiserlichen Garten". In der Geschichte der chinesischen Architektur und Landschaftskunst hatten die unzähligen Privatgarten, ohne Übertreibung, das selbe Gewicht wie Kaiserliche Gärten, zu denen beispielsweise der Sommerpalast gehört. Unter den zahlreichen gut erhaltenen Privatgärten, vor allem in Südchina, gilt der Zhuozheng-Garten als klassisches Beispiel der Gartenbaukunst in China.

Der Begriff  "Privatgarten"  war dabei nach Ansicht von Professor Zhou eng verbunden mit einer speziellen Schicht in der chinesischen Gesellschaft – nämlich den Gelehrten und Intellektuellen.

"Nicht alle konnten sich früher einen Privatgarten leisten. Besitzer von Privatgärten waren also vor allem begüterte Intellektuelle und gebildete Beamte und einige Kaufleute."

Ihren Ursprung hat die chinesische Gartenbaukunst in der Periode der Nord- und Süddynastien, also im 5. und 6. Jahrhundert. Im Verlauf dieser mehr als 200 Jahre entstanden auf dem Gebiet des heutigen China mehrere Staaten. Das Bild der Gesellschaft war durch Orientierungslosigkeit geprägt, durch Kleinstaaterei, militärische Konfrontation und politische Turbulenzen. Das Leben der einfachen Leute war extrem schwer.

Auch für die chinesischen Intellektuellen, also die gebildete Schicht, waren es schwierige Zeiten. Einerseits sollten sie der Herrschaft des Kaisers dienen, wie die Lehre des Konfuzianismus betont. Aber wie? Bei den Herrschenden fanden sie kein Gehör und Vertrauen. Nähe zum Volk war für sie undenkbar. Also wuchsen Zweifel an den Lehren des Konfuzianismus, die die Kaiser für sich mit Beschlag belegt hatten. Allmählich wandten sich enttäuschte Gebildete anderen Werten zu – dem Taoismus. Flucht aus der politischen Realität und Nähe zur gewachsenen und gestalteten Natur. So tauchten sie in Selbstvergessenheit ein. In dieser Zeit entstanden viele Privatgärten, in denen die Besitzer, meist Intellektuelle, die Natur nachempfinden wollten. Enttäuscht von den Herrschern, schlossen die Intellektuellen sich in ihren Privatgärten ein, die schnöde Politik blieb draußen, drin waren sie allein mit der Natur. Die chinesischen Beamten in der Vergangenheit betrachteten ihre Privatgärten als einen Ort, wo sie Trost finden konnten. Dazu sagt Professor Zhou:

"Konfuzianismus und Taoismus hatten in der chinesischen Geschichte abwechselnd Einfluss auf die Beamten und Intellektuellen. Auf der einen Seite versuchten sie ihr Glück in ihrer amtlichen Laufbahn, was meistens nicht so einfach war. So lange sie Beamte waren, hatten sie Sorgen: Demütigung durch ihre Kollegen, Vernachlässigung durch ihre Vorgesetzten oder sogar durch den Kaiser selbst. Ihre Karriere war nie sicher. Sie suchten daher Trost und Zuflucht und Halt in der Natur, zumindest in ihren Gärten, in denen ja die Natur nachempfunden und wiedergegeben wird."

Professor Zhou hat uns aber nicht nur die historischen Hintergründe der Gärten erläutert – im Fall des Zhuozheng-Gartens hat er zudem Probleme mit der Namensgebung. Denn Professor Zhou hält die Übersetzung des Gartennamens als "Garten der Politik des einfachen Mannes" für nicht besonders geeignet. Schließlich sei ja für den Besitzer des Gartens die Politik eine äußerst unglückliche Berufswahl gewesen. Vernünftige Leute wollten mit Politik nichts zu tun haben. Nach Ansicht von Professor Zhou lassen mehr als 70% der Namen derartiger Privatgärten erkennen, dass die Besitzer durch Enttäuschungen in ihrer politischen Laufbahn auf den Gedanken kamen, sich zurückzuziehen.

Und da ist noch ein weiteres Phänomen: Die meisten Privatgärten finden sich nämlich in Südchina. Nur, weil da gutes Wetter ist? Oder gibt es andere Erklärungen dafür? Professor Zhou gab uns eine Antwort:

"Die typischen Privatgärten findet man in Südchina und vor allem in der Stadt Suzhou. Seit Jahrhunderten gab es im Jangtse-Delta eine gedeihende Wirtschaft, vor allem Landwirtschaft, Handwerk, Handel und Weberei. Suzhou und Hangzhou waren zwei mächtige Handelszentren."

Neben der gedeihenden Wirtschaft gibt es noch andere Gründe: Das Jangtse-Delta war das politische Hinterland der südlichen Dynastien. Diese Region blieb im 5. und 6. Jahrhundert wesentlich von den Kriegswirren verschont. Die degradierten und zurückgetretenen Beamten hatten meistens im Jangtse-Delta ihr Zuhause.

In Südchina gibt es reichliche Wasserressourcen. Das Klima in dieser Region ist mild und feucht, was günstig für Pflanzenanbau und –zucht war.

Die zurückgetretenen Beamten versuchten in ihren Gärten ein Stückchen Natur wiederzugeben. Hier findet das Verständnis der Chinesen vom Verhältnis zwischen Mensch und Natur seinen Ausdruck. Dazu Professor Zhou:

"Die chinesische Philosophie hat großen Einfluss auf die Gartenbaukunst. Harmonie zwischen Mensch und Natur wird im Gartenbau betont. Der Mensch muss Respekt vor der Natur haben. Man muss die Natur schützen und sie schätzen lernen. Und der Privatgarten ist meistens als eine wiedergegebene Natur betrachtet."

Um ihre Gärten naturnah zu gestalten, ignorierten die Besitzer die konventionellen architektonischen Regeln. Symmetrie zum Beispiel. Wenn also ein Garten eine Wiedergabe der Natur sein sollte, dann hatten exakt viereckige oder exakt runde Teiche darin eigentlich keinen Platz – und tatsächlich findet man derartiges in einem Privatgarten fast nie. Verwinkelte Pfade, meist mit Kieseln gepflastet, oder kleine steinerne Brücke verbinden verschiedene Bauten in einem Garten, damit er aussieht, als wäre er organisch gewachsen. In den oft nicht einmal besonders großen Gärten wurden gern üppige Bäume oder grüne Pflanzen angebaut und gezüchtet. Oft legte der Besitzer großen Wert auf die Details: Variationen am Schmuck der Fensterrahmen und Tür-Dekorationen sind meist denen der kaiserlichen Gärten überlegen. Also, fürs Auge sind die Privatgärten in Südchina nie langweilig. Denn das Klima ist geeignet, vielfältige Blumen zu züchten. Zu den vier Jahreszeiten bietet ein Privatgarten unterschiedliche farbige Bilder. Und besonders beliebt waren Pfirsichbäume, Korbweiden, Amberbäume und nicht zuletzt Kiefern.

Eine abstrakte Stimmung zu erreichen, das ist die höchste Vervollkommenheit der chinesischen Kunst. Diese Regel sind allgegenwärtig in der chinesischen Kunstgeschichte Natürlich auch für Gartenbaukunst. Die Besitzer wollen mit ihren Gärten ihr Verständnis und ihre Emotion zum Ausdruck bringen. Mit Hilfe von Symbolen und Metaphern wird ein individuelles Flair geschaffen. Lotus, ein Symobl für Anständigkeit und familiäre Eintracht wird im Garten angebaut. Für chinesische Intellektuelle sind Kiefer, Winterkirschblüte, Lotus und Bambus Symbole für große Werte. In fast allen Gärten im Jangtse-Delta wird Bambus gepflanzt.

Gedichte und Spruchbänder findet man nicht selten in Privatgärten. Denn die Besitzer wollten in ihren Gärten ein poetisches Flair schaffen. Auch poetische Namen sind in Privatgärten sehr üblich. Ein ganz konkretes Beispiel ist der "Liu-Ting-Ge-Pavillon" im Zhuozheng-Garten. Dieser Name assoziiert uns das Bild eines Abends im Frühherbst, an dem der Regen auf die übrig gebliebenen Lotusblätter fällt.

(China.org.cn, 12. Dezember 2002)