Die Müll-Chefin von Changzhou

08.11.2017

von Anton Notz

 

Die chinesische Wirtschaftswelt tickt anders als die deutsche. In Deutschland gibt es eine Quote, damit Frauen in Top-Positionen kommen. Selbst Väter zögern, ihr eigenes Unternehmen der Tochter anzuvertrauen. In China sind führungsstarke junge Frauen nicht ungewöhnlich - sogar in einer Branche, die in Deutschland eine klassische Männerdomäne ist.

 

Auch wenn sie auf Schmuck gänzlich verzichtet und weder an den Fingern noch am Ohr Ringe trägt: Niemand wird auf den ersten Blick erraten, was die zierliche junge Frau in blumiger Seidenbluse und weit ausgestellter cremefarbener Hose für ein Geschäft betreibt. Schon gar nicht, da sie auch noch leise spricht und eher schüchtern wirkt. Dabei verdient sie ihr Geld in einem echten Drecksgeschäft: der Stadtreinigung von Changzhou.

 

Jiang Ting ist Chefin von 3000 Mitarbeitern, größtenteils Migranten, die in der 4,6 Millionen-Einwohnerstadt gut eine Autostunde westlich von Shanghai Arbeit gefunden und sich ein neues Leben aufgebaut haben. Und ist es schon ziemlich ungewöhnlich, dass in diesem Müllunternehmen eine 35-jährige Frau den Ton angibt, so erscheint es noch viel ungewöhnlicher, dass dort jede zweite Reinigungskraft eine Reinigungsfrau ist. "Unsere Ais", sagt sie, was übersetzt so viel wie "Unsere Tanten" heißt.

 

Aufgebaut hat das Familienunternehmen ihr Vater. 1998 fing er im Zuge einer staatlichen Privatisierungswelle klein an. Die Familie lebte zu dieser Zeit in recht bescheidenen Verhältnissen, aber Jiang Ting konnte bald beobachten, wie Papas Firma prosperierte. China kennt in dieser "zweiten Generation", wie sie häufig genannt wird, zwei unterschiedliche Typen von begüterten Söhnen und Töchtern. Solche, die es sich auf Papas Kosten gut gehen lassen und mitunter in Saus und Braus leben. Und andere, die nach Verantwortung streben und das Vermögen weiter mehren. Dazu gehört Jiang Ting.

 

Sie studierte in London Rechnungswesen und kehrte anschließend gut ausgebildet nach Changzhou zurück. Zunächst arbeitete sie für eine externe Firma, bis der Vater seine einzige Tochter 2014 überraschend fragte: "Willst du von jetzt an die Firma leiten?"

 

Zu diesem Zeitpunkt hatte es die Familie schon zu ansehnlichem Wohlstand gebracht. Die mittelständische Firma namens Changzhou Huanqiu beschäftigte 1500 Mitarbeiter und machte einen Umsatz von 60 Millionen RMB, umgerechnet rund 8 Millionen Euro. Binnen drei Jahren hat sich unter Jiang Tings Führung die Zahl der Mitarbeiter auf 3000 verdoppelt und der Umsatz mehr als verdreifacht, auf umgerechnet rund 34 Millionen Euro. In Changzhou ist Huanqiu zwar nicht konkurrenzlos, aber inzwischen die Nummer 1. In der Provinzhauptstadt Nanjing und in Zhenjiang ist Jiang Ting ebenfalls ins harte Geschäft mit dem Abfall eingestiegen.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: Müll, China, Unternehmerin, Frai