Wie man Dialekte mit Popkultur rettet

10.11.2017

Qian Wenzhong (links), einer der Begründer des Zurong Dialect Filmfestivals, und der Regisseur Gao Qunshu (rechts) mit einem Preisträger im letzten Jahr. [Foto/Xinhua]


Plötzlich fand sich Zhao Yuhe auf der Bühne eines Filmfestivals in Zhanjiang, Provinz Guangdong wieder und konnte kaum glauben, dass sie gerade den Preis für beste Hauptdarstellerin gewonnen hatte. Die 83-jährige sagte den Zuschauern, sie habe nicht mit dem Preis gerechnet, sie sei nur einfache Landwirtin, könne nicht einmal lesen oder Standardchinesisch sprechen.

Die fehlenden Sprachkenntnisse und die wenige Bildung mögen bei der Kommunikation oder Jobsuche vielleicht ein Problem sein, nicht aber beim Zurong Dialect Filmfestival. Das Filmfestival wurde im Rahmen einer Initiative zum Erhalt von sprachlicher Diversität in China gegründet und stößt damit auf großen Anklang.

Das Festival findet jedes Jahr statt und zeigt Filme, in denen verschiedene chinesische Dialekte gesprochen werden. Dieses Jahr wurden 585 Filme aus ganz China gezeigt, doppelt so viele wie letztes Jahr, viele davon in hoher Qualität.

Zhao gewann den Preis für ihre Rolle in „Mobile Phone”, ein Film über Jugendkriminalität in Guangdong. Die Jury verlieh ihr den Preis für ihre Darstellung einer Rentnerin in prekären Verhältnissen, die versucht über die Runden zu kommen.

In dem Film wird der Leizhou-Dialekt aus der Gruppe der Min-Dialekte gesprochen, die gängige Mundart der Provinzen Fujian und Guangdong.

Unter den 16 anderen Gewinnern waren auch Filme, in denen Tibetisch und Kantonesisch gesprochen wurde.

Im Ausland sagt man meistens einfach „Chinesisch”, aber Mandarin – oder Putonghua, was so viel wie gemeine Sprache bedeutet – ist nicht die einzige in China gesprochene Sprache. Chinas Bevölkerung ist besonders divers, laut Statistikamt werden in China 130 Sprachen gesprochen, darunter Chinesisch in zehn gängigen Dialekten und unzähligen lokalen Mundarten. Der Enzyklopädie Ethnologue: Languages of the World zufolge werden in China sogar 299 Sprachen gesprochen, davon 275 indigene.

Allerdings werden wie in vielen anderen Ländern durch Urbanisierung und immer mehr Konnektivität über Grenzen hinweg viele Mundarten immer weniger gesprochen oder verschwinden sogar ganz.

„Filme, Musik und andere darstellende Kunst kann sprachliche Diversität und das kulturelle Erbe erhalten”, meint Cao Zhiyun, Jurymitglied beim Zurong Filmfestival und Leiter des Projekts zum Schutz der nationalen sprachlichen Ressourcen.

Das von der Regierung unterstütze Projekt arbeitet mit 250 chinesischen Universitäten und Forschungsinstituten zusammen und hat seit Projektbeginn im Jahr 2015 fast 100 gesprochene Sprachen in China aufgezeichnet. Im Januar wurde von den Behörden eine Direktive in Umlauf gebracht, die die Wichtigkeit von Dialekten und Lokalkulturen betont.

Laut Cao, Linguist mit dem Spezialgebiet chinesische Dialekte und Vizepräsident der Universität für Sprachen und Kulturen in Beijing, sei der Erhalt von Dialekten nicht mehr nur ein staatliches Unterfangen. Auch in der Bevölkerung gebe es in den letzten Jahren immer mehr Befürworter.

In vielen Kindergärten und Grundschulen werden mittlerweile einige Fächer in Mundart unterrichtet. Die Zahl der Fernsehsendungen und Dokumentationen, die den Erhalt von Dialekten fördern, steigt auch stetig an.

Erhalt von Dialekten profitiert von technologischem Fortschritt

Projekte zum Erhalt von Dialekten profitieren auch vom technologischen Fortschritt im Bereich künstliche Intelligenz.

iFlytek, ein führender Hersteller von Software zur Spracherkennung, hat vor kurzem ein eigenes Projekt zum Erhalt von Dialekten ins Leben gerufen. Nutzer können mit einer App sich selbst beim Lesen von Texten in ihrer Mundart aufnehmen.

In der ersten Woche haben schon über 650.000 Leute bei dem Projekt mitgemacht.

Basierend auf der Anzahl der beigesteuerten Aufnahmen bekommen die Nutzer einen Rang. Wer am 7. Dezember ganz oben steht, gewinnt ein iPhone X, verspricht das Unternehmen.

Nutzer können auch eine kurze personalisierte Aufnahme ihrer Stimme hochladen, die dann von anderen über die Suchfunktion gefunden und abgespielt werden kann. Man kann in der App auch Likes verteilen, diese Social-Media-Funktionen sollen die Nutzer weiter für Dialekte und Lokalkultur begeistern.

„Wenn wir genug Aufnahmen haben, wollen wir die Dialekte mithilfe unserer Technologie untersuchen und die jüngere Generation zum Sprechen von mehr Mundart anregen”, so Wu Junhua von iFlytek.

Er fügte hinzu, dass die Spracherkennung von iFlytek am besten für Mandarin und Kantonesisch funktioniere, dem gängigen Dialekt in Guangdong und Hong Kong. Das System könne etwa 80 Prozent vom Kantonesisch seiner Nutzer erkennen. Tibetisch und Uygurisch funktionieren auch gut.

Das System könne insgesamt 21 Sprachen und Dialekte erkennen, erklärte Wu weiter.

In China gibt es einen riesigen Markt für Produkte und Dienstleistungen, die mit Dialekten und Lokalkultur zu tun haben.

Talkmate, ein chinesisches Startup für Online-Bildung, bietet im Rahmen einer Partnerschaft mit der UNESCO Kurse in verschiedenen Dialekten an. Laut UNESCO Atlas der gefährdeten Sprachen der Welt sind in China 144 Sprachen „bedroht” oder schon ”ausgestorben”.

„Selbst wenn es eines Tages keine Muttersprachler eines bestimmten Dialekts mehr gibt, können Leute mit Apps wie dieser immer noch etwas über den Dialekt erfahren und ihn wiederbeleben”, meint der Linguist Cao. „Das ist eine ziemlich innovative Methode, um Sprachen zu erhalten.”

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Quelle: People.cn

Schlagworte: Popkultur,Filmfestival