Wirtschaftswissenschaftler

China droht keine Middle-Income-Trap

03.04.2019

Nach Ansicht eines amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers steht China nicht vor einer Middle-Income-Trap. Damit werden die Schwierigkeiten eines Landes mit mittlerem Einkommen bezeichnet, weiteres Wirtschaftswachstum zu verzeichnen.

 Es gab schon immer eine Fixierung auf das chinesische Wirtschaftswachstum, und zwar mit gutem Grund. China verzeichnete von 1980 bis 2011 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von zehn Prozent, was für eine große Volkswirtschaft ohne Beispiel ist. Seit 2012 hat sich das jährliche Wachstum jedoch verlangsamt. Der kürzlich von Ministerpräsident Li Keqiang vorgelegte Arbeitsbericht der Regierung legte für 2019 ein Wachstumsziel von 6 bis 6,5 Prozent fest.

 

Chinakritiker fühlen sich bestätigt. Immerhin bedeutet das Wachstumsziel des Ministerpräsidenten eine Abschwächung um 40 Prozent gegenüber dem als Wunder angesehenen früheren Trend. Dies scheint die Warnungen vor der gefürchteten Falle des mittleren Einkommens zu rechtfertigen. Damit ist die Tendenz gemeint, dass schnell wachsenden Volkswirtschaften ein schwächeres Wachstum verzeichnen, sobald erstmals der Wohlstand Einzug hält.

 

Die frühen Arbeiten an diesem Phänomen waren präzise in Bezug auf das, was zu erwarten war: Wenn sich das Pro-Kopf-Einkommen im Bereich von 16.000 bis 17.000 US-Dollar bewegt, ist eine nachhaltige Wachstumsverlangsamung um rund 2,5 Prozentpunkte zu erwarten. Da China diese Einkommensschwelle im Jahr 2017 erreicht hat, wirkt sich die Abschwächung nach 2011 Schätzungen des Internationalen Währungsfonds zufolge umso bedrohlicher aus.

 

Doch die Falle des mittleren Einkommens ist ein klassisches Beispiel für die Fallstricke endloser Zahlenreihen. Mit einer Datenbank und einem leistungsfähigen Computer kann fast jeder wirtschaftliche Zusammenhang scheinbar validiert werden. Es gibt fünf Hauptgründe, um die weitverbreitete Diagnose zurückzuweisen, dass China in die Falle des mittleren Einkommens getappt ist.

 

Erstens könnte es ein solches Phänomen gar nicht geben. Dies ist die Schlussfolgerung einer empirischen Studie von Lant Pritchett und Lawrence Summers, die einen breiten Querschnitt von 125 Volkswirtschaften von 1950 bis 2010 abdeckt. Sie entdeckten eine Wachstumsunterbrechung und Rückkehr zum Mittelwert. Es ist unnötig zu erwähnen, dass die statistische Regelmäßigkeit solcher periodischen Wachstumslücken sich stark vom dauerhaften Sumpf einer Wachstumsfalle unterscheidet.

 

Zweitens mag eine festgesetzte Schwelle für Fallen von 16.000 bis 17.000 US-Dollar ein großartiges literarisches Instrument sein, aber in einer dynamischen Weltwirtschaft ergibt es wenig Sinn. Seit der Veröffentlichung früherer Forschungen zur Falle des mittleren Einkommens im Jahr 2012 ist die Weltwirtschaft um etwa 25 Prozent gewachsen. Dies dürfte das bewegliche Ziel einer mittleren Einkommensschwelle in diesem Zeitraum um ein vergleichbares Maß ansteigen lassen. Hauptsächlich aus diesem Grund haben die jüngsten Untersuchungen die Falle nicht nach einer absoluten Schwelle, sondern anhand der relativen Konvergenz zu Ländern mit hohem Einkommen ausgewählt. Aus dieser Perspektive droht Gefahr, wenn das Pro-Kopf-Einkommen der Entwicklungsländer 20 bis 30 Prozent des Niveaus in Volkswirtschaften mit hohem Einkommen erreicht. Angesichts der Tatsache, dass China im Jahr 2019 rund 30 Prozent des Pro-Kopf-BIP der Vereinigten Staaten erreichen wird, müsste man sich Sorgen machen.

1  2  3  >  


Diesen Artikel DruckenMerkenSendenFeedback

Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: China,Middle-Income-Trap,BIP,Wachstum