Regisseur Christopher Rüping: Durch Theater rückt die Welt ein Stückchen näher zusammen

18.07.2019

Wim Wenders war vor einigen Monaten als Regisseur einer Oper in China zu Gast und zeigte sich im anschließenden Gespräch mit dem Goethe-Institut überrascht über den jungen Altersdurchschnitt des chinesischen Opernpublikums. Sind Ihnen beim Theaterpublikum ebenfalls Unterschiede zwischen China und Europa aufgefallen?

 

Ja, hinsichtlich unseren beiden Performances auf jeden Fall. Ich finde das Publikum extrem jung und wahnsinnig gut informiert. Uns wurde zuvor gesagt, und das gleicht sich mit meiner bisherigen Erfahrung hier im täglichen Leben, dass Englisch ein Problem sei und nicht so schnell funktioniere. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass die Leute, die bei unseren Vorstellungen im Theater waren, direkt auf einen englischen Monolog im Stück reagiert haben.

 

Meiner Meinung nach war es also ein sehr junges, sehr gut gebildetes, interessiertes, neugieriges Publikum. In Deutschland haben wir das zwar auch, aber es mischt sich immer auch mit einem Publikum, was deutlich älter und reservierter ist und was eine vorgefertigte Meinung hat, wie ein Theater funktionieren sollte.

 

Ich hatte das Gefühl, dass die 2.000 chinesischen Zuschauer, denen wir jetzt in den letzten beiden Tagen begegnet sind, extrem neugierig waren, neugieriger als das deutsche Publikum.

 

Wie sieht für Sie das perfekte Theaterpublikum aus?

 

Ich glaube ehrlich gesagt, dass Neugier die entscheidende Eigenschaft ist, die man haben muss, um ein Theaterstück zu genießen. Dann kann man was erleben. Es kann schrecklich sein, es kann toll sein, aber das ist das, was eine Theatererfahrung für ein Publikum reizvoll macht.

 

Man wünscht sich auch immer, dass ein Publikum von außen betrachtet deutlich diverser ist, als es in Deutschland der Fall ist. Ich würde auch sagen, als es hier ist. Denn die Ticketpreise hier sind deutlich höher als in Deutschland, was auch bedeutet, dass das Angebot, das Theater zu besuchen viel höherschwelliger ist als in Deutschland. Deswegen glaube ich, dass man immer eine bestimmte Schicht, ein halbwegs wohlhabendes, gut gebildetes Bürgertum erreicht. Ich weiß nicht, ob es hier auch so war, aber von den Ticketpreisen her zu urteilen würde ich sagen, ja.

 

Meiner Erfahrung nach spielt man, in Deutschland zumindest, normalerweise vor einem rein weißen Publikum mit einem Altersdurchschnitt von 45 Jahren aufwärts. Da würde ich mir mehr Diversität wünschen. Aber ein Publikum kann ja nicht selber entscheiden, wie divers es ist, es kommt halt darauf an, wie es sich zusammensetzt.

 

Die entscheidende Eigenschaft ist jedoch Neugier.

 

Einige Ihrer Inszenierungen wurden bereits an ganz unterschiedlichen Orten auf der Welt aufgeführt, außerhalb des deutschsprachigen Raums beispielsweise auch in Teheran und St. Petersburg. Nun haben Sie eines Ihrer Stücke in Beijing präsentiert. Welchen Stellenwert haben diese internationalen Aufführungen für Sie?

 

Ich freue mich über Publikum insgesamt, auch wenn wir in Deutschland spielen, aber das ist natürlich schon etwas Besonderes. Was an Theater so eine wunderbare Schizophrenie ist, dass man sehr analog produziert: An einem Ort, mit einer bestimmten Gruppe von Menschen, für eine bestimmte Zeit, für einen bestimmten Raum, für eine bestimmte Stadt, für ein bestimmtes Publikum.

 

Mit dieser lokalen Besonderheit fährt man dann ans andere Ende der Welt, nach Peking, nach Taipeh, nach St. Petersburg, nach Teheran, wie auch immer. Damit setzt man einen Teil aus der einen Welt in eine völlig andere Welt hinein. Für einen Moment rückt die Welt ein Stückchen näher zusammen. Ich finde das kann man förmlich spüren. Für die zwei Stunden der Aufführung ist es dann wie ein Loch im Raum-Zeit-Kontinuum, in dem plötzlich eine Begegnung stattfindet, die ohne dieses Stück für diesen Moment nicht stattgefunden hätte.

 

Sind Sie bei solchen Aufführungen nervös, ob sich ein Stück vom Lokalen ins Internationale transportieren lässt?

 

Nicht nervös, neugierig. Also genau das Gleiche, was ich mir von dem Publikum wünsche, will auch ich für ein Publikum sein, nämlich neugierig auf die Reaktionen. Nervös bin ich hinsichtlich technischer Unwägbarkeiten. Zum Beispiel ist es für mich gar nicht so einfach zu wissen, dass mein Stück übertitelt wird in einer Schrift, die ich nicht lesen kann, mit Worten, die ich nicht verstehen kann. Ich weiß nicht, was da steht. Als Regisseur neigt man ja immer zum Kontrollzwang und das ist für mich eine schwere große Unbekannte, an der ich immer ein bisschen zu knabbern habe.

 

Ihre Inszenierung von „Trommeln in der Nacht” begleitet Sie nun schon seit einiger Zeit. Sie feierten 2017 mit dem Stück Premiere, wurden ein Jahr später zum Berliner Theatertreffen eingeladen und in diesem Jahr zum Theatertreffen in China. War es für Sie schwer wieder reinzukommen in das Stück?

 

Es war leicht wieder reinzukommen. In diesem Fall vor allem, weil es ein Stück von den Münchner Kammerspielen ist, wo ich Hausregisseur bin. Hausregisseur bedeutet auch, dass ich in München lebe und bei relativ vielen der regulären Vorstellungen dabei bin. Einfach, weil ich mit den Leuten am Theater befreundet bin und wir gern zusammenarbeiten. Ich gucke mir das Stück nicht immer an, aber ich komme zumindest vorbei und gehe mit den Leuten anschließend noch was trinken. „Trommeln in der Nacht“ ist demnach eines der Stücke, mit denen ich ständig in Kontakt bin, auch weil wir damit häufig auf Gastspiele fahren. Da musste ich mich nicht anstrengen wieder reinzukommen.

 

Dennoch ist es jedes Mal, wenn ich mich damit beschäftige, wieder eine Reise in meine eigene Vergangenheit. Sowohl in meine private Vergangenheit, wie mein Leben zu dem Zeitpunkt aussah, als ich an dem Stück gearbeitet habe, als auch in meine künstlerische, da ich mittlerweile natürlich an einem anderen Punkt bin. Trotzdem ist diese Arbeit mir immer noch sehr nah.

 

Wie kamen Sie ursprünglich auf die Idee das Stück fast 100 Jahre nach seiner Uraufführung wieder in Szene zu setzen?

 

An den Münchner Kammerspielen, wo 1922 die Uraufführung dieses Stückes war, gibt es die Legende, dass während der Aufführung eines der ersten Brecht-Stücke im Zuschauerraum Plakate und Banner hingen mit dem Spruch „Glotz nicht so romantisch“. Das kannte ich als Anekdote, konnte es jedoch nicht mit einem Stück verbinden. Irgendwann haben wir dann nach einem Stück gesucht und ich bin auf „Trommeln in der Nacht“ gestoßen, weil ich den Titel zunächst einmal toll fand und die drei Werke des jungen Brechts ziemlich gerne mag.

 

Dann ist mir aufgefallen, dass dieses Stück genau der Ursprung dieser Erzählung mit den „Glotz nicht so romantisch“-Plakaten ist. Diese Plakate haben Brecht und Falckenberg, der damalige Regisseur, damals aufgehängt. Das war der entscheidende Weg zum Stück. Was bedeutet es, romantisch zu glotzen? Was bedeutet es, politisches Theater zu machen? So haben wir uns dem Ganzen angenähert.

 

Es ist auch so, dass wenn wir in München an den Kammerspielen spielen, fast 100 Jahre nachdem die Uraufführung dort stattgefunden hat, dann ist es naheliegend dieser Uraufführung nachzuspüren. Das komplette Bühnenbild ist daher eine Adaption des Originalbühnenbilds. Die Schauspieler haben im ersten Akt kleine In-Ear-Kopfhörer, auf denen sie die Stimmen der Schauspieler von 1922 hören. Sie sprechen mit den Stimmen mit, nicht die Intonation, aber das Tempo. Die Schauspieler bewegen sich beispielsweise auch entsprechend den Geräuschen von Schritten in der Originalaufnahme.

 

Dieses Historische, was die Uraufführungssituation von vor 95 Jahren an den Kammerspielen bedeutet hat, war dann für mich das perfekte und entscheidende Vehikel, um zu untersuchen, ob die Frage Politik oder Privatleben, das Bett oder die Straße, immer noch ein aktueller Konflikt ist und wie sich diese Frage geändert hat in den letzten 100 Jahren.

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Quelle: People.cn

Schlagworte: Regisseur,Theater,Christopher Rüping