75 Jahre Kriegsende

China ehrt seine vielen Opfer und streckt seine Hand zu einer friedvollen Zukunft aus Exklusiv

10.09.2020

von Dr. Michael Borchmann


Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping hat am Donnerstagvormittag in Beijing an der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag des Sieges im Krieg gegen die japanische Aggression und im weltweiten Krieg gegen den Faschismus teilgenommen und dabei einen Blumenkorb zur Würdigung der Kriegsopfer niedergelegt. (Foto von Xinhua)


„Ich übermittle meine Anteilnahme für all die heldenhaften Seelen, die ihr Leben für den Sieg geopfert haben, und für die Opfern des tragischen Gemetzels, das die Invasoren angerichtet haben“, sagte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping am vergangenen Donnerstag in Beijing an der  „Gedenkfeier zum 75. Jahrestag des Sieges im Krieg gegen die japanische Aggression und im weltweiten Krieg gegen den Faschismus“.


Beim zweiten Weltkriegs geht es um ein Geschehen, das in China in einer ganz anderen Art und Weise in den Köpfen der Menschen präsent ist als in Europa.


Ich selbst bin nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ich habe mich in der Schulzeit in besonderem Maße für Geschichte interessiert. Ich habe in Deutschland und in England studiert und habe im aktiven Berufsleben eine Position eingenommen, die in engem Kontakt mit dem öffentlichen Leben und der Politik stand. Aber hinsichtlich der Kenntnisse über den zweiten Weltkrieg galt für mich lange Zeit das, was heute noch in einer Publikation der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württembergs zu lesen ist: „Am 8. Mai 1945 endet der zweite Weltkrieg. Als die Waffen endlich schwiegen, waren mehr als 60 Millionen Menschen tot.“


Erst im Laufe der Zeit und allmählich begann ich zu erkennen, dass der zweite Weltkrieg nicht erst 1939 begann und nicht bereits im Mai 1945 endete. In einer Artikelserie über den zweiten Weltkrieg schrieb die Neue Zürcher Zeitung hierzu: „Als in Europa am 1. September 1939 der Krieg begann, war er in Ostasien bereits im Gange; dort dauerte er von 1931 bis 1945. Ab dem 18. September 1931 besetzte die japanische Kolonialarmee innerhalb weniger Monate die riesige Mandschurei; Anfang 1932 bombardierte sie das Wirtschaftszentrum Shanghai. 1937 wurde eine neue Stufe der Eskalation erreicht, als am 7. Juli lokale chinesische Truppen bei Beijing eine japanische Provokation mit eigenem Feuer erwiderten. Aus diesem Scharmützel entwickelte sich der Japanisch-Chinesische Krieg.“ Von der asiatischen Seite des Krieges bekam man im Westen zunächst nur mit, dass Japan gegenüber den USA kapituliert habe, und zwar nach dem verheerenden Einsatz von Atombomben über den Städten Hiroshima und Nagasaki. Eine nähere Ahnung von der Dauer des Krieges in Asien, in dem vor allem China unvorstellbar zu leiden hatte, bekam ich erst durch eine in Deutschland 1967 ausgestrahlte, sieben Teile umfassende japanische Fernsehserie: „Barfuß durch die Hölle“ („Die Bedingungen des Menschseins“), auf der Grundlage eines Romans von Gomikawa Jumpei. Sie zeigte das Schicksal eines aufrechten, menschlichen japanischen Angehörigen der Besatzungsadministration, der Brutalitäten seiner Landsleute gegen Chinesen erleben musste, ihnen immer wieder entgegentrat und strafweise in einen aussichtlosen militärischen Einsatz gegen die Sowjets geschickt wurde und nicht überlebte.


Wirklich vertiefte Kenntnisse über die schrecklichen Geschehnisse, denen China ausgesetzt war, gewann ich aber vor allem durch zwei Veranstaltungen in Deutschland, deren Bedeutung nicht genug gewürdigt werden kann.


So hatte mich der damalige Botschafter der VR China in Deutschland, Shi Mingde, am 3. September 2015 zu einer Gedenkveranstaltung „70 Jahre Sieg des Kampfs Chinas gegen die japanische Aggression“ eingeladen. Shi erinnerte daran, dass in den USA und in Europa oft die Rolle des langjährigen chinesischen Widerstandskrieges von 1931 bis 1945 übersehen werde. China habe das Opfer von 35 Millionen Toten und wirtschaftlichen Verlusten in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar erbracht. Und auch seitens eines anerkannten deutschen Wissenschaftlers wurde dieses Defizit eingeräumt. 


Im Einzelnen vor Augen geführt wurden mir die Grausamkeiten, die Chinas Menschen erleiden mussten, aber namentlich durch eine Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Massakers von Nanjing, organisiert von Nouvelles d’Europe gemeinsam mit verschiedenen chinesischen Organisationen und dem örtlichen Generalkonsulat am 13. Dezember 2017 in Frankfurt am Main. Verbunden war dies mit einer Ausstellung historischer Dokumente, kultureller Relikte und Fotografien von Zeugenaussagen der Überlebenden des Nanjing-Massakers. Was ich dort an Einzelschilderungen der verübten Grausamkeiten sah, hat mich zutiefst erschüttert, Dinge, die jenseits der Vorstellungskraft eines Menschen liegen. Im Zuge der Eroberung der damaligen chinesischen Hauptstadt fielen dort in den sechs Wochen ab dem 12. Dezember 1937 zwischen 200.000 und 300.000 Menschen „einem unvorstellbar grausamen Massenmord japanischer Truppen an der Zivilbevölkerung und an Kriegsgefangenen zum Opfer“, wie es in der Neue Zürcher Zeitung formuliert wurde.


Hat man eine Vorstellung von den Leiden und Opfern Chinas bekommen, ist man umso bestürzter über den Umgang anderer Akteure des Krieges mit dem Schicksal Chinas. Viele der Geschehnisse seit 1931 waren auch jenseits des asiatischen Raumes bekannt. Aber nach Ende des Krieges wurde die Rolle Chinas im Westen als bald ausgeblendet. 


Am 17. Juli 2015 sagte Mark Gilbert, ehemaliger Präsident der American Society for World History und Professor für Geschichte an der Hawaii Pacific University, in einem Interview in Beijing, dass die historische Rolle des chinesischen Widerstands im Zweiten Weltkrieg von westlichen Wissenschaftlern unterschätzt worden sei und dass westliche Wissenschaftler ihr Verständnis der Rolle Chinas im Zweiten Weltkrieg vertiefen müssten.


Zutreffend hieß es in einem Meinungsartikel von China Pictorial: „Der Westen ignorierte Chinas Beitrag zum antijapanischen Krieg, um es zu zeigen, dass Chinas Rolle im Zweiten Weltkrieg unbedeutend war und dass der Sieg nur zu wenigen westlichen Ländern gehörte.“ Und weiter: China habe „enorme Beiträge und Opfer für den Sieg des Zweiten Weltkriegs gemacht. Aber seit Jahrzehnten wurden in einigen internationalen Forschungen zur Kriegsgeschichte die chinesischen Beiträge und Opfer für den Sieg des Zweiten Weltkrieges selektiv ignoriert.“ Dies gilt selbst in kleinen Dingen. Erst von chinesischen Freunden habe ich erfahren, dass es der deutsche Siemens-Manager John Rabe war, der durch beherzte Aktionen 200.000 Chinesen in Nanjing das Leben gerettet hat. Rabe setzte sich während des genannten Massakers von Nanjing 1937/38 für die Errichtung einer etwa zwei mal zwei Kilometer großen Schutzzone ein, um der chinesischen Zivilbevölkerung Schutz vor den japanischen Soldaten zu bieten.


„Vergisst man die Leiden der Vergangenheit, führt dies zu Unheil in der Zukunft“, mahnte 1946 der chinesische Jurist Mei Ru’ao, Richter am Internationalen Militärtribunal in Tokio. China hat im Umgang mit dieser Vergangenheit Größe und Edelmut bewiesen. Man hat keinerlei Rachegedanken gegen das japanische Volk zelebriert und niemals von einer „Kollektivschuld“ gesprochen. Auch hiermit hat sich die Neue Zürcher Zeitung befasst und ausgeführt: „Auch gegenüber den japanischen Kriegsverbrechen übte sich Beijing in Zurückhaltung: So wurden zum Beispiel noch 1956 in den Städten Shenyang und Taiyuan 1109 japanische Militärangehörige und Zivilisten vor Militärtribunale gestellt, aber nur 45 verurteilt, davon keiner zum Tode. Die meisten von ihnen durften nach einigen Jahren in ihre Heimat zurückkehren.“


Aber: Andererseits dürfen die Leiden der Opfer niemals vergessen werden. Sie haben es mehr als verdient, dass auch 75 Jahre nach der Beendigung des Krieges ihrer erneut in der Gedenkhalle des Antijapanischen Krieges in Beijing ehren- und würdevoll gedacht wurde. Und das Schweigen von großen Teilen der internationalen Öffentlichkeit wird dem Gedenken der großen Zahl der Opfer – unter ihnen beispielhaft denen von Nanjing - nicht gerecht. Ihrer Würde wird international nur dadurch Rechnung getragen, dass der Weltöffentlichkeit immer und immer wieder die großen Opfer des chinesischen Volkes vor Augen geführt werden. Chinas Staatspräsident Xi führte in der Rede am Donnerstag u.a. aus: „Das chinesische Volk werde es niemals akzeptieren, wenn sein Recht auf ein Leben in Frieden, sein Austausch und seine Zusammenarbeit mit anderen Völkern sowie die edlen Bemühungen um Frieden und Entwicklung für die ganze Menschheit untergraben würden.“ Das heißt: China ehrt zutiefst die Opfer und streckt zugleich die Hand für eine friedvolle Zukunft in der Region und überhaupt in der Welt aus!


Der Autor, Dr. jur. Michael Borchmann, ist Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D. und Senior Adviser der China International Investment Promotion Agency (CIIPA). Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: Kriegsende,Opfer,zweiter Weltkrieg,Faschismus