„Mehr denn je mit China verbunden“ – Der deutsche Pharmakonzern Merck und sein China-Geschäft

21.11.2022

Von Sudeshna Sarkar


Offizieller Spatenstich: Am 15. September 2022 fiel im chinesischen Zhangjiagang der Startschuss für den neuen Halbleiter-Integrationsstandort des deutschen Pharmakonzerns Merck. (Foto: Merck) 

 

Hätte sich Willy Merck 1887 nicht zu einer Weltreise entschlossen und wäre er nicht im darauffolgenden Jahr auf dem chinesischen Festland gelandet, wäre die Geschichte von Merck, einem der ältesten Pharmaunternehmen der Welt, vielleicht ganz anders verlaufen. Doch der damals 28-Jährige, ein Bruder des Chemieunternehmers Emanuel August Merck aus Darmstadt, unternahm die besagte Reise und erkannte schon damals mit einem scharfen Geschäftssinn, wie er der Familie Merck seit Generationen in die Wiege gelegt scheint, das Potenzial des chinesischen Marktes. Aus einem seiner Briefe geht hervor, dass er die Zukunft voraussah: „Es wird eine Zeit kommen, in der auch wir in Europa uns vor den Chinesen in Acht nehmen müssen“, schrieb er. „Ich glaube fest daran, dass China, wenn es will, wesentlich mächtiger werden wird als jede andere Nation.“ 

  

Willy Merck baute die Handelsbeziehungen des Familienunternehmens im „alten China“ auf, und im nächsten Jahrhundert waren sie so gefestigt, dass Merck seine erste chinesische Tochtergesellschaft gründete. Die E. Merck Chemical Co., Ltd. nahm 1933 in Shanghai ihren Betrieb auf.  

  

„China for China“-Strategie 

  

Laut Merck-Geschäftsführerin Belen Garijo verfügt das Unternehmen heute über 20 Niederlassungen auf dem chinesischen Festland, beschäftigt rund 4500 Mitarbeiter und die Investitionen liegen bei 750 Millionen US-Dollar. Merck sei mit seiner „China for China“-Strategie gewillt, langfristig in China präsent zu sein und zu investieren, sagt Garijo. „Unsere Präsenz in Shanghai bringt uns erhebliche Vorteile.“ 

  

Ein Zeichen dafür war auch die Präsenz des Weltkonzerns auf der fünften China International Import Export (CIIE) in Shanghai in diesem Herbst. Das multinationale Unternehmen war schon beim Expo-Debüt 2018 vor Ort vertreten. Damals stellte man noch auf nur rund 300 Quadratmetern Stellfläche aus. Inzwischen hat sich die Größe des Messestands mehr als verdreifacht. Wie wichtig der chinesische Markt – und die CIIE – sind, zeigte sich dieses Mal, als Garijo eigens aus Darmstadt einflog, um als Teil der Wirtschaftsdelegation nach China zu reisen, die Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem ersten offiziellen Besuch in China seit seinem Amtsantritt begleitete.  

  

In einem Interview mit CGTN ging CEO Garijo auf die Ausweitung der Geschäftstätigkeiten von Merck auf dem chinesischen Festland in den vergangenen bald neun Jahrzehnten ein. „Unser Hauptinteresse gilt der Onkologie“, sagte sie. „Wir wollen Innovationen in der Krebsbehandlung für Tumore entwickeln, die in China häufiger vorkommen, etwa Leber- und Lungenkrebs.“ Merck wolle ein noch größerer Akteur in der Onkologie werden, so Garijo. Deshalb unterhalte man enge Beziehungen zu wichtigen akademischen Zentren und Krankenhäusern in China. Ziel sei es, China in die globale Strategie des Unternehmens einzubinden. 

  

China ist und bleibt wichtiger Markt 

  

Seit dem ersten Pharmageschäft, so Garijo, sei geplant, die Präsenz in den Bereichen Biowissenschaften, Gesundheitswesen und Elektronik in China auszuweiten. „Seit Beginn der Pandemie haben wir vom ersten Tag an überlegt, wie unser Wissenschafts- und Technologiegeschäft zum Kampf gegen COVID-19 beitragen kann“, sagt die CEO. Der Bereich Biowissenschaften habe Impfstoffherstellern geholfen, die Produktion zu beschleunigen, indem er Komponenten für mehr als 80 Impfstoffprojekte beisteuerte, während elektronische Komponenten dazu beigetragen hätten, dass die Menschen stets in Kontakt geblieben seien.    

  

Merck stellt unter anderem auch Chemikalien und Materialien für Halbleiter her und kündigte in diesem Jahr seine bisher größte Einzelinvestition in diesem Sektor an: 82 Millionen US-Dollar für eine neue Halbleiterfabrik im ostchinesischen Zhangjiagang, ganz in der Nähe von Shanghai. In einer Pressemitteilung erklärte Allan Gabor, Präsident von Merck China, dass China nicht nur der größte Endverbrauchermarkt für Halbleiter sei, sondern auch der am schnellsten wachsende Markt für die Halbleiterherstellung, da die einheimischen Chiphersteller in beispiellosem Umfang in ihre Kapazitäten investierten und expandierten. „Wir glauben, dass Chinas Halbleiterindustrie vor einer goldenen Ära steht, die gerade erst begonnen hat“, so der Manager. 

  

In den Bereichen Gesundheitswesen und Biowissenschaften liegt der Schwerpunkt laut CEO Garijo auf neuen Produktionskapazitäten in China. 2014 setzte die Unternehmensleiterin in China den ersten Spatenstich für Mercks neue Healthcare-Fabrik in Nantong, ebenfalls im Großraum Shanghai. Mit einer Investition von über 170 Millionen US-Dollar ist es das größte Werk von Merck außerhalb Europas. „Mit unserer neuen hochmodernen Pharmaproduktion wandelt sich Merck von einem importbasierten Unternehmen zu einem vollwertigen lokalen Industrieakteur in China“, schrieb das Unternehmen damals in einer Pressemitteilung. „Durch die Einrichtung der größten Produktionsstätte außerhalb Europas für die Herstellung von Arzneimitteln, die den allgemeinen Gesundheitsbedürfnissen in China entsprechen, ist Merck mehr denn je mit China verbunden“, so die CEO. 

  

Garijo sieht vor allem riesiges Potenzial im Gesundheitswesen, insbesondere durch den Einsatz fortschrittlicher Wissenschaft und Technologie sowie künstlicher Intelligenz. Es gebe sogar Spielraum für personalisierte Krebstherapien, sagt sie. „Jeder einzelne Tumor ist sehr unterschiedlich. Durch eine bessere Datenauswertung und den Einsatz neuartiger Technologien lassen sich präzisionsbasierte, personalisierte Behandlungsansätze einführen, die untersuchen, wie sich ein Tumor entwickelt und welche spezifischen Medikamente gegen die jeweilige Anomalie ganz konkret helfen. Die Wirksamkeit und potenzielle Verträglichkeit des verschriebenen Medikaments wird an den Patienten und den Tumor angepasst, was das Nutzen-Risiko-Profil des Medikaments verbessert.“ 

  

Wird denn eine derart fortschrittliche medizinische Versorgung für alle zugänglich und bezahlbar sein, wollen wir wissen. Garijos Antwort: „Der Zugang hängt von Land zu Land ab. Wir wollen die Erschwinglichkeit zu einem Teil unserer Aufgabe machen und diese Therapien allen Patienten zugänglich machen. Aber um von der Digitalisierung des Gesundheitswesens in vollem Umfang zu profitieren, müssen wir über die Branche hinausgehen. Dies ist ein Thema, mit dem sich mehrere Interessengruppen befassen müssen: die Industrie, die Kostenträger, die Regulierungsbehörden und die politischen Entscheidungsträger.“ 

  

In diesem Zusammenhang gehe Merck über die Produkte hinaus und schaffe Partnerschaften, um zusätzliche Patienten zu erreichen, sagt Garijo. Das Unternehmen beteilige sich beispielsweise an Aufklärungsprogrammen zum Thema Frühdiabetes, eine der am weitesten verbreiteten Volkskrankheiten in China. Man arbeite diesbezüglich mit Hochschulen, Krankenhäusern und Start-ups zusammen, um Innovationen zu fördern. Dem ersten Innovations-Hub von Merck in Shanghai folgte ein zweiter in Guangzhou im Süden, der die Entwicklung der Greater Bay Area unterstützen wird, die ausgewählte Städte der Provinz Guangdong und die benachbarten Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao umfasst. Das Unternehmen erklärte, Ziel sei es, „Innovationen in China, für China und darüber hinaus“ zu fördern. Zu diesem Zweck hat Merck einen 13-Millionen-Euro-Startkapitalfonds für chinesische Start-ups eingerichtet. 

 

In Anbetracht der Vorteile des chinesischen Marktes, der umfangreichen Investitionen vor Ort und seiner vielschichtigen Verbindungen bleibt Merck trotz gelegentlicher geopolitischer Schwierigkeiten in China engagiert. In diesem Jahr verschärfte im August der umstrittene Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in der chinesischen Region Taiwan die Spannungen zwischen China und den USA. Im Oktober fragte Reuters Garijo nach den Investitionen von Merck in China. „Wir sind uns der potenziellen Risiken bewusst“, sagte sie zu diesem Zeitpunkt. „Aber unsere Investitionspolitik bleibt unverändert.“ 

  

Und auch während ihres diesmaligen China-Besuchs, als die westlichen Medien Scholz-Visite angesichts der Kluft zwischen China und Europa aufgrund der Ukraine-Krise in Frage stellten, blieb Garijos Antwort auf die Frage nach der Richtung der deutsch-chinesischen Beziehungen ebenso eindringlich. „Es ist absolut entscheidend, dass wir weiterhin global denken, unsere Ziele und Werte teilen, um auf globaler Ebene etwas für die Gesellschaft zu bewirken und eine großartige und fruchtbare Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten“, so Garijo. „Wir brauchen uns gegenseitig.“ 

  

*Sudeshna Sarkar ist Journalistin und Redakteurin mit Lebensmittelpunkt in Beijing. Als ehemalige Kommentatorin für das Regionalhörfunkprogramm der Deutschen Welle verfolgt sie die Entwicklung, die Kultur und die internationalen Beziehungen Chinas.  

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Quelle: China Heute

Schlagworte: Pharmakonzern Merck,China-Geschäft,CIIE 2022