Qufu ist die Heimat des großen chinesischen Philosophen und Pädagogen Konfuzius. Hier in Qufu finden sich der Tempel des Konfuzius, der Hof, also die Rezidenz von Konfuzius und seinen Nachfahren sowie der sogenannte Heilige Hain mit dem Friedhof der Familie Kong. Sie alle stehen auf der UNESCO-Liste des Kulturerbes der Menschheit. Diese drei Sehenswürdigkeiten sind zweifelsohne die wichtigsten Reiseziele für Touristen in Qufu.
Die Stadt Qufu hat meinen Kollegen Ramon Escanillas von der philippinischen Redaktion tief beeindruckt. Er erinnert sich an seine Reise nach Qufu vor einem Jahr:
„Qufu ist nicht nur ein Ort mit vielen Sehenswürdigkeiten. Diese Stadt ist zudem ein idealer Ort für die jenigen, die sich für chinesische Philosophie und Kultur interessieren. Für Akademiker, Gelehrte ist eine Reise nach Qufu ein Muss.“
Ramon Escanillas hat Recht. Und unsere erste Station in Qufu ist natürlich der Konfuziustempel.
Der Konfuziustempel. der Kaiserpalast in Beijing und die Sommerresidenz in Chengde nordöstlich der Hauptstadt Beijing zählen zu den drei bedeutendsten Baukomplexen in China.
"Lasse dich erheben durch die Lieder, stehe fest durch die Riten und werde vollendet durch die Musik".
Dieser Lehrsatz des Konfuzius wird bei Gedenkfeiern für den großen Weisen in Qufu heute noch befolgt. Vor zweieinhalbtausend Jahren bildeten sich überall in China neue philosophische und politische Strömungen. Konfuzius war einer unter vielen Wanderpredigern und Weisen.
Vergeblich hatte er in ganz China den idealen Herrscher gesucht und war in den Staat Lu - etwa 500 km südlich von Beijing - zurückgekehrt. Seine Lehrsätze und philosophischen Gedanken sind überliefert und bilden ein eigenes philosophisches System – den Konfuzianismus. Seine Ideen haben in China und in ganz Asien tiefe Spuren hinterlassen.
Welche Rolle die Lehre von Konfuzius für die chinesische Geschichte und Kultur spielte, das weiß Professor Wang Degang von der Fakultät für Tourismus und Kultur der Shandong-Universität:
„Viele sagen zu Recht, der Berg Taishan ist der wichtigste aller Hügel und Berge in Shandong. Und Konfuzius ist der renomierste Sohn der heutigen Provinz Shandong. Für mich ist dies eine treffende Aussage, die die Tourismuslandschaft in Shandong kurz und bündig beschreibt.“
Im Konfuziustempel soll jener Aprikosenbaum gestanden haben, unter dem er seine Schüler lehrte. Konfuzius, auf chinesisch Kong-Fu-Zi oder Kong Zi - Meister Kung - idealisierte die mythischen Herrscher der Frühzeit, die nur kraft ihres tugendhaften Vorbilds regiert haben sollen.
Er suchte die Zukunft in der Vergangenheit. Nach seinem Tod ließ der Fürst von Lu einen kleinen Gedenktempel für den gescheiterten Staatslehrer bauen. Erst 200 Jahre nach dem Tod des Meisters erkannten die chinesischen Kaiser, dass sie mit den Lehren des Konfuzius ihren Herrschaftsanspruch untermauern konnten und erhoben sie umgehend zur Staatsdoktrin. Der Konfuziustempel in Qufu wurde von Dynastie zu Dynastie größer und prächtiger.
Wer früher das Tor zum Konfuziustempel in Qufu durchschritt, der hatte schon viel erreicht: Nach jahrzehntelangem Auswendiglernen von kaum verständlichen Texten und vielen Prüfungen war er Anwärter auf ein Staatsamt. Für die hohen Beamten, die Mandarine, wurde es Brauch, später sogar Pflicht, vor Antritt ihres Amtes hierher zu pilgern. Beamte, ausgebildet nach den von Konfuzius aufgestellten Regeln, in den klassischen Werken, in Riten, Musik und Bogenschießen, geprüft in der alten Schriftsprache, mussten fast alle hierher. Sie übten bis ins 20. Jahrhundert hinein einen großen Einfluss auf die Geschicke Chinas aus.
In der Tempelanlage findet man Zypressen, die von Kaisern gepflanzt wurden: Symbole für die immerwährende Gültigkeit von Konfuzius Lehre. Auffällig in dem Tempel ist auch das kaiserliche Gelb. Abgesehen von den Kaisern durfte kein Sterblicher im Reich der Mitte durfte solche gelbe Ziegel verwenden. Der Konfuziustempel - eine Ausnahme. Auch die Drachen als Dachschmuck zeugen von kaiserlichem Respekt, denn sie sind das Symbol der Kaiser als Söhne des Himmels. Erhabene Gefühle, Ehrfurcht und Respekt sollten auf dem heiligen Weg zum Haupttempel geweckt werden. Vorfreude mag dazugekommen sein, alle Hindernisse auf dem Weg zu künftigem Reichtum waren jetzt überwunden: Denn fette Pfründe waren mit jedem Amt verbunden.
Tatsächlich war der Konfuzius-Tempel in der alten Zeit ein heiliger Ort. Noch heute gilt der Tempel für viele asiatische Touristen als eine Art Mekka.
Unter dem Aprikosenbaum im Konfuziustempel, den der Meister selber geplanzt hatte, haben wir einen Touristen getroffen, und zwar Jeng Jong Tai aus Südkorea. Er ist ergriffen:
„Ich habe Beijing und Xian besucht. Aber ein Besuch in Qufu ist immer ein Wunsch von mir. Denn hier hat Konfuzius einmal gelebt. Ich will mehr von dem Philosophen lernen. Nach der Besichtigung in dem Hof Kong bin ich zum Konfuziustempel gekommen. Ich war eben in der Halle der großen Vollendung. Ich bin sehr begeistert.“
Die chinesische Baukunst hat hier im Konfuziustempel ihre Vollendung erreicht: Dreifache Dächer, himmelwärts aufgebogene Ecken, Holzkonstruktionen, die ohne einen einzigen Nagel seit Jahrhunderten unverändert stehen. Nur die Paläste der Verbotenen Stadt können sich mit der Tempelanlage von Qufu messen.
Das wichtigste Bauwerk des Konfuziustempels ist die Halle der Großen Vollendung. Sie wurde 1730 errichtet und übertrifft jeden anderen Tempel in China: 28 Säulen, jeweils aus einem Steinblock gehauen, tragen das doppelte Dach der Tempelhalle. Drachen, die mit der Sonne spielen. Diese Steinmetzarbeiten an den Säulen sind so außergewöhnlich kunstvoll, dass sie beim Besuch des Kaisers verhängt wurden, heißt es. Der Sohn des Himmels sollte nicht vor Neid erzürnen, weil es so vollendete Säulen in seinem Palast nicht gab. Die Nachfahren von Konfuzius mussten hier zu Aussaat und Ernte, zum Totengedenken und zu Geburtstagen große Zeremonien abhalten: Die Zahl der beteiligten Musiker und Tänzer, die Instrumente und die Schrittfolgen sind angeblich schon von Konfuzius für Feste im Herrscherhaus festgelegt worden. Heute können solche Feiern die frühere Bedeutung nur erahnen lassen.
Inzwischen ist die Rückbesinnung auf Konfuzius in China und Asien wieder willkommen. Dabei werden Musik und ritueller Tanz nach alter Überlieferung aufgeführt.
Jeder Kaiser besuchte vor seiner Inthronisation oder nach einem siegreichen Feldzug Qufu, ließ seine Lobpreisung für Konfuzius, "Lehrer und Vorbild für 10 000 Genarationen" in Stein hauen. Die Texte dieser steinernen Bibliothek aus Hunderten von Stelen wurden immer wieder abgeschrieben und auswendig gelernt. Von Konfuzius selbst ist nichts Schriftliches überliefert. Ähnlich wie die Bibeltexte wurden seine Lehren erst Generationen später niedergeschrieben.
Schildkröten, die Symboltiere für ein langes Leben, tragen Lehrsätze von Konfuzius: "Die Menschen sind von Natur aus gut, aber wenn sie nichts lernen, wird ihre Natur verdorben".
„Nur durch das weise aufklärende Wort des Altertums kann der Mensch gewandelt werden".
Die Anerkennung, die Konfuzius zu Lebzeiten versagt blieb, wurde seinen direkten Nachfahren im Übermaß zuteil, viele wurden bestattet wie Fürsten: Mandarine als Grabwächter. Steinerne Tiere an den Seelenwegen zu den Gräbern der Nachfahren von Konfuzius. Pferde symbolisieren den hohen Beamtenrang, Schafe die kindliche Pietät.
Respekt und Gehorsam den Älteren gegenüber ist einer der wichtigsten Grundsätze der konfuzianischen Weltordnung.
Katzen werden seherische Kräfte zugesprochen – sie bieten militärischen Beistand auf dem Weg ins Jenseits für die Ur-Urenkel des großen Weisen.
Der Tempel von Qufu, - immer wieder erweitert und vergrößert - hat die Jahrtausende überdauert. Konfuzius ist zum Symbol der traditionellen chinesischen Kultur geworden.
Nördlich des Konfuziustempels liegen die Gräber der Familie aus vielen Jahrhunderten. Wer den Namen des Weisen trägt, Kong, hat ein Anrecht im heiligen Hain, also dem Familienfriedhof des Konfuzius, beerdigt zu werden. In der Mitte des Hains ist das Grab des Meisters. Es sieht aus wie ein Pferderücken, ein Zeichen für die Pietät. Die Gräber der Nachfahren des Konfuzius sind rings um die Grabstätte des großen Meisters herum angeordnet.
Nachfahren des Meisters wurden in den Adelsstand erhoben, heirateten kaiserliche Töchter. Zeichen des Danks. Denn der Konfuzianismus legitimierte die Herrschaft der Himmelssöhne. Mehr als 2000 Jahre lang galt seine Lehre:
Der Kaiser untersteht dem Himmel,
der Untertan dem Kaiser,
der Sohn dem Vater,
die Frau dem Mann.
Klare Hierarchien - ein bequemes Instrument der Machtausübung.
"Allerweisester alter Lehrer" steht auf seiner Grabtafel im Konfuziustempel, ein klares und deutliches Lob für den zu Lebzeiten unterschätzten Denker.
Bildung, nicht adelige Abkunft, sollte den Weg nach oben zu Einfluss und Reichtum sichern, forderte Konfuzius. Aber das blieb ein Ideal. Denn nur die adeligen Grundbesitzer konnten es sich leisten, ihre Söhne jahrzehntelang von Privatlehrern unterrichten zu lassen. Die Kaiser verstanden sich als die Herren des Konfuzius-Kultes. Die Einhaltung der Riten übertrugen sie den Nachfolgern des Weisen in Qufu, die neben dem Tempel eine weitläufige Residenz hatten:
463 Räume auf fast 17 Hektar Grund. Hier hielten die Urenkel namens Kong Hof. Der Kong-Hof liegt direkt neben dem Konfuziustempel. Das Haupttor der Residenz durfte nur der Herrscher durchschreiten, die Nachfahren von Konfuzius mussten außen herum gehen.
Wenn sich der Kaiser von der Hauptstadt aus zu einem Besuch der Residenz nach Qufu begab, musste jedes Mal, wenn der Kaiser durch das Tor ging, 13 mal Ehrensalut geschossen werden.
Bei jedem Kaiserbesuch wurden die Kongs mit weiteren Titeln, Ämtern und Lehen reich beschenkt.
Ein wichtiger Bau im Kong-Hof ist die Audienzhalle. Hier wurden Gesuche eingereicht und Gericht gehalten, von hier aus wurde der größte private Landbesitz in China verwaltet. Bescheidenheit und Menschlichkeit, die ihr Urahn gepredigt hatte, waren den meisten seiner Nachfahren fremd. Sie lebten wie feudale Fürsten, zogen Steuern ein, befehligten Hunderte von Leibeigenen.
Die Residenz Kong, ein ideales Anwesen der Baukunst, gehört heute noch zu den besten Beispielen chinesischer Wohnkultur. Hier in dem Hof kann man noch das private Wohnzimmer fast unverändert sehen, so wie es einst verlassen wurde. In fast jedem Zimmer wird alles im Originalzustand erhalten, wie die Wasserpfeifen - griffbereit im Arbeitszimmer.
Hier im Arbeitszimmer empfing der Chef des Hauses Konfuziusforscher zu gelehrter Plauderei.
Alle Räume des Hofes sind miteinander verbunden, wirkliche Privatheit gab es fast nicht. Das Spiel von Macht, Eifersucht und Intrigen innerhalb des Hofes wurde durch die verwinkelte Bauweise noch gefördert. Von den dunklen Gebäuden der Residenz nur durch eine Mauer getrennt, leuchtet das gelbe Dach der "Halle der großen Vollendung", der Ahnenhalle für Konfuzius im Konfuziustempel.
Die Baukunst der Residenz Kong hat den japanischen Touristen Matsu Tushiaki tief beeindruck. Er sagte:
„Die Bauten in diesem Hof gehen auf geraume Zeit zurück und sind von einem hervorragenden Baustil geprägt. Die Lehre des Konfuzius hat in Japan großen Einfluss.“
Dass Konfuzius, der pragmatische Moralist, vom letzten Kaiser noch zu einem Gott erklärt wurde, ist ein Missverständnis seiner Ideen, eine Ironie der Geschichte, denn Konfuzius hielt nicht viel von Religion: "Opfert den Göttern, aber haltet euch fern", ist von ihm überliefert. Auch das Jenseits kümmerte ihn wenig.
Kein Kaiser Chinas hat je Konfuzius` Ideal von der Herrschaft durch sittliches Vorbild entsprochen, aber fast alle haben ihm Opfer gebracht.