von Ren Bin, Shanghai
Wei Maoping ist Dekan der germanistischen Fakultät der Fremdsprachenuniversität Shanghai und Doktor-Betreuer. Seit Dutzenden von Jahren hat er sich mit dem Übersetzen auseinandergesetzt. Er hat schon über 30 übersetzte Werke publiziert und tiefgehend zur Geschichte der deutsch-chinesischen, literarischen Kommunikation geforscht. Kurz nach der Gründung der Chinesischen Übersetzungsakademie hat China.org mit Wei ein Exklusivinterview zu den Prinzipien und Schwierigkeiten des Übersetzens geführt.
Wei Maoping, Dekan der germanistischen Fakultät der Fremdsprachenuniversität Shanghai
China.org.cn: Können Sie sich noch an Ihre erste publizierte Übersetzung erinnern?
Es gehörte zur Kinderliteratur. Ich kann mich daran erinnern, dass ich am Anfang der 1990er Jahre vier bis fünf Science-Fiction-Romane übersetzt habe. Für mich war das eine Übung.
Das erste reine, literarische Werk, das ich übersetzt habe, war der "Werther" von Goethe. Kurz nachdem ich diese Aufgabe angenommen hatte, war ich sehr unschlüssig, denn es hatte vorher mehrere Übersetzungen von "Werther" gegeben. Ihre Übersetzer sind ab Guo Moruo alle Koryphäen. Beim Übersetzen habe ich den "Jugendlichen" im Titel in den "jungen Mann" übersetzt. Ich habe dem Redakteur gesagt, dass ich die Übersetzung mache, wenn er meiner Änderung zustimme. Ansonsten würde ich sie fallen lassen. Der Verlag war damals damit einverstanden. Ich wollte nämlich nicht, dass die Übersetzung nach wie vor mit dem "Jugendlichen" veröffentlicht wird. Später hat der Redakteur erklärt, dass die Leitung des Verlags befürchte, dass das Buch nicht verkauft werden könne, wenn der Titel in "Die Leiden des jungen Mannes Werther" umbenannt werde.
Warum sollte es in den "jungen Mann" übersetzt werden? Der "Jugendliche" auf Chinesisch hatte während der Bewegung des vierten Mai die Bedeutung des jungen Mannes, aber im modernen Chinesischen bezieht sich das Wort auf Jugendliche, die höchstens 15 bis 16 Jahre alt sind. Werther ist ein Akademiker. Er ist mindestens um die 20 herum. Er ist ein ausgereifter, junger Mann mit reichlichen, gesellschaftlichen Erfahrungen. Wenn das wieder mit dem "Jugendlichen" übersetzt wird, entspricht das nicht mehr der Identität des Protagonisten. Andererseits ist es hinderlich für das Verständnis der Leser.
Was ist die größte Schwierigkeit, auf die Sie beim Übersetzen stoßen?
Es gibt ziemlich viele Schwierigkeiten. Zwischen dem Chinesischen und dem lateinischen Sprachsystem des Westens gibt es sehr große Unterschiede. Manche Ausdrücke sind schwierig umzuwandeln. 2002 habe ich "Eine Zurückweisung" des Literaturnobelpreisträgers Imre Kertész übersetzt. Das Original war auf Ungarisch. Ich stieg ein mit der deutschen Übersetzung, da das Werk zum großen Teil durch die Verbreitung der deutschen Übersetzung berühmt geworden ist. Im Werk gibt es das Wort "Oglütz". Mithilfe des Kontexts war zu erkennen, dass es ein Schimpfwort ist. Ich wollte herausfinden, was das Wort in der Ausgangssprache bedeutet, aber ich konnte es nach wie vor nicht verstehen, obwohl ich in diversen Wörterbüchern nachgeschlagen hatte. Später habe ich mich an einen ungarischen Germanisten gewandt. Er kannte es auch nicht. Danach habe ich versucht, über Umwege den Autor des Buches zu Rate zu ziehen. Aber ich habe keine Antwort bekommen. Zum Schluss musste ich eine phonetische Übersetzung nehmen und eine Fußnote machen.