Ein anderes Beispiel ist meine Übersetzung von "Ein springender Brunnen" von Martin Walser, dem Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels. Manche haben meine Übersetzung gelesen und sagten, dass sie den ersten Satz schon nicht verstehen könnten. Der Autor hat im Original den Konjunktiv II genutzt. Einerseits gibt es im Chinesischen keinen Konjunktiv und es war daher etwas schwierig, die deutsche Zeitform umzuwandeln. Andererseits war ich beim Übersetzen der Meinung, dass der Autor den Lesern ohnehin Schwierigkeiten bereiten wollte. Viele moderne Autoren haben die Neigung, dass sie nicht wollen, dass die Leser die Implikationen in ihren Werken leicht verstehen. Aber die Leser haben das Anliegen, dass sie sofort alles verstehen können. Sonst halten sie die Übersetzung für mangelhaft. Was soll der Übersetzer dann machen?
Eine Diskussion zu den Prinzipien des Übersetzens kann endlos werden. Als Fremdsprachenlehrer habe ich mich für die Treue zum Original entschieden. Da der Autor eine indirekte Ausdrucksweise genommen hat, habe ich einfach mitgemacht. Schließlich war das eine Übersetzung und kein neues Schaffen.
Beim literarischen Übersetzen haben manche Übersetzer in Anlehnung an die chinesische Metrik ausländische Gedichte übersetzt. Geistig entsprechen sie einander, aber an vielen Details gibt es sehr viele frei übersetzte Elemente. Wie sehen Sie das?
Viele literarische Größen Deutschlands haben auch einmal die Tang-Gedichte und Song-Lyrik adaptiert und sie wunderbar formuliert, aber sie betrachten das als neues Schaffen. Wenn manche das machen wollen, dann ist es völlig in Ordnung, aber sie müssen das angeben. Wenn das auch Übersetzen wäre, dann könnten alle einen Teil eines Textes nach Belieben anders formulieren. Würde dann das Übersetzen noch existieren? Heutzutage besteht die Tendenz, die Grenzen des Übersetzens zu brechen. Ich glaube, dass das ein großes Problem, das Beachtung verdient, ist. Vor Jahren hat Lu Xun in der Übersetzungstheorie das "hartnäckige Übersetzen" gutgeheißen. Er selbst hatte eigentlich auch Schwierigkeiten, die er ungern ansprach.
Natürlich kennen wir auch manche interessanten Phänomene. Beispielsweise hat Mo Yan nach dem Erhalt des Nobelpreises Howard Goldblatt gesagt: "Wie das zu übersetzen ist, ist deine Sache." Wenn wir die Übersetzung von Goldblatt lesen, dann können wir sehen, dass viele Handlungen im Original bei Mo anders sind. Wie können dann die westlichen Leser wissen, ob es die eigentliche Absicht von Mo oder das neue Schaffen von Goldblatt ist?
Was meinen Sie zum Übersetzen vom Chinesischen in Fremdsprachen und welche Anregungen haben Sie?
Ich möchte zuerst eines meiner Erlebnisse erzählen: Kurz vor der Expo Shanghai wurde eine DVD-Reihe mit dem Titel "Ankommen im neuen Shanghai" angefertigt. Da war ich für die deutsche Übersetzung zuständig. Nachher musste ich jauchzend zugeben, dass solche Sachen nicht übersetzt werden können. Der Grund ist, dass das Niveau des Autors des chinesischen Originals nicht hoch ist. Seine Ausdrucksweise ist prahlerisch und hat alles als "das Beste" bezeichnet. Daher musste ich ganz viele Stellen des Textes auslassen und ändern. Wenn wir den ausländischen Lesern die gegenwärtige Lage Chinas präsentieren, dürfen wir das Original nicht einfach übersetzen und müssen den Text teilweise neu kreieren. Dabei müssen wir den Erwartungshorizont der Zielleser berücksichtigen. Am besten bearbeiten ein Chinese, der die Zielsprache kann, und ein Ausländer gemeinsam die Übersetzung. Ansonsten kann das Gegenteil erreicht werden.