Studie zu chinesischen Investoren
Chinesische Investoren in Deutschland: Nachhaltigkeit steht im Vordergrund
Von Elke Lütke-Entrup, Beijing
Unternehmensübernahmen chinesischer Investoren in Deutschland werden von deutschen Medien, der Öffentlichkeit und Regierungskreisen häufig kritisch betrachtet. Die Realität in den übernommenen Firmen übertrifft die Erwartungen jedoch oft in positiver Weise. Wie das sein kann, erfährt China.org.cn im Interview mit Ulrike Reisach, Professorin für Interkulturelles Management und International Business Negotiations an der Hochschule Neu-Ulm.

China.org.cn: Frau Professor Reisach, worauf sollten deutsche Unternehmen bei der Auswahl des richtigen chinesischen Investors achten?
Prof. Dr. Ulrike Reisach: Chinesische Investoren sind entweder Staatskonglomerate, Unternehmen mit gemischter Eigentümerstruktur oder Privatunternehmen. Sie unterscheiden sich durch den Grad der Aufsicht durch den chinesischen Staat und in der Finanzierung.
Unseren Untersuchungen zufolge ist die politische Unterstützung des Investors von essentieller Bedeutung. Wie deutlich ist die Zustimmung von offizieller chinesischer Seite für das Investment? Ist die Investitionssumme so hoch, dass der Investitionsplan von staatlichen Stellen in China geprüft wurde? Ist der Investor in Branchen aktiv, die zu den geförderten Sektoren und Programmen Chinas zählen?
Darüber hinaus sollte das deutsche Unternehmen die betriebswirtschaftlichen Kompetenzen des Investors klären und sich unabhängige Berater hinzuziehen, die in der Branche seriös und im China-Geschäft erfahren sind.
Die wichtigsten Punkte unterscheiden sich jedoch nicht von Investoren aus anderen Ländern: Deuten die Investitionsvolumina und -pläne auf eine realistische und nachhaltige Geschäftsstrategie hin? Wie transparent ist die Finanzberichterstattung des Investors? Ist die Aufrechterhaltung der Beschäftigung am Standort Deutschland ein langfristiges Ziel?
Haben chinesische Investoren denn eher ein kurzfristiges oder eher ein langfristiges Interesse an den übernommenen Unternehmen und woran ist dies erkennbar?
Unsere Studien haben ergeben, dass chinesische Investitionen meist langfristig orientiert sind. Investiert wird nicht nur in Forschung und Entwicklung, sondern auch in neue Produktionsanlagen und Werke. Oft handelt es sich um Investitionen, die der frühere Eigentümer zuvor immer wieder aufgeschoben hatte. Für solide chinesische Investoren hat die nachhaltige Entwicklung Vorrang – egal ob Staatskonzern oder große Privatunternehmen, zum Beispiel Sany, den Aufkäufer des Betonpumpenherstellers Putzmeister in Aichtal bei Stuttgart. Allerdings gibt es auch in China – wie in anderen Ländern – Investoren, die von eigennützigen Motiven geleitet werden, zum Beispiel die Verbesserung von Image und angeschlagener Kreditwürdigkeit durch Auslandsinvestments oder den Wunsch, Geld ins Ausland zu transferieren. Dies hat die chinesische Regierung inzwischen erschwert. Meist handelt es sich um kleinere Investoren, deren Reputation auch in China zweifelhaft und deren Webseiten und Finanzierung intransparent sind. Empfehlenswert ist daher immer eine gründliche betriebswirtschaftliche und personenbezogene Analyse in China und in Europa.
Welche Erfahrungen machen deutsche Unternehmen während der Übernahme im Hinblick auf die Abstimmungsprozesse mit chinesischen Investoren?
Die Abstimmungsprozesse auf chinesischer Seite werden als sehr gründlich wahrgenommen. Chinesische Investoren fordern Einblick in die Investitions- und Finanzplanung des Unternehmens und gehen dabei sehr ins Detail. Dies führte in einem Fall zu Missverständnissen, weil die Investoren — im Sinne eines verantwortungsbewussten Umgangs mit chinesischem Staatsvermögen — auch die detaillierte Betrachtung geringwertiger Wirtschaftsgüter einforderten. Dies war in der deutschen Betriebspraxis nicht durchführbar und wurde schließlich abgemildert.
Wie wirkt sich die Übernahme deutscher Unternehmen durch chinesische Investoren auf die Mitbestimmungskultur und die Tarifstandards deutscher Unternehmen aus?
Beides bleibt nach Einstieg chinesischer Investoren häufig unverändert und wird als Bestandteil des institutionellen Arrangements, das zur Investition gehört, betrachtet. Manche Investoren sehen in der deutschen Mitbestimmung auch einen Garanten für die deutsche Qualitätsproduktion. Bei Unternehmen mit mitbestimmenden Aufsichtsräten entsenden chinesische Investoren ihre Vertreter in die Aufsichtsräte. Manchmal gibt es dort Sprach- und Verständigungsprobleme oder die Repräsentanten aus China wechseln, was die Arbeit im Aufsichtsrat und den Aufbau persönlicher Kontakte erschwert. Für die Vertreter der chinesischen Seite im deutschen Unternehmen hat die Gewerkschaft jedoch häufig einen höheren Stellenwert als unter den vorherigen Eigentümern.
Was die Tarifbindung betrifft, so gibt es unter chinesischen Investoren in Einzelfällen Abstriche von den Standards des Flächentarifs, allerdings sind diese meist in Unternehmenskrisen wie einer drohenden Insolvenz oder wegen anhaltenden Auftragsmangels vor dem Einstieg der Investoren vereinbart worden. Bemerkenswert ist, dass die chinesischen Investoren bei akuten wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens auch Durststrecken akzeptieren und nicht gleich Personalanpassungen entsprechend den reduzierten Umsätzen fordern. Dennoch werden auch kostenorientierte Entscheidungen getroffen, zum Beispiel der Aufbau neuer Fertigungen in Niedriglohnländern wie Osteuropa und Mittel- oder Südeuropa.
Wie wirkt sich der Einstieg von chinesischen Investoren auf den langfristigen Erfolg der Unternehmen aus? Sind Muster erkennbar?
Untersuchungen haben gezeigt, dass Firmen, deren Management überwiegend in bewährten deutschen Händen liegt, mehrere Jahre nach der Übernahme steigende Umsätze und Erträge erwirtschaften. In Deutschland tätigen sie Investitionen, die lange fällig waren, die Produktion wird gesteigert und modernisiert. In China steigt der Umsatz, weil die Muttergesellschaft den Zugang zum chinesischen Markt erleichtert. Oft wird der bereits vor der Übernahme vorhandene Stützpunkt in China ausgebaut. Manche gründen oder übernehmen mit chinesischen Investitionsgeldern neue Standorte in China, Osteuropa oder Mittel- und Südamerika. Offenbar werden chinesisch investierte Unternehmen betriebswirtschaftlich ähnlich geführt, wie es unter anderen auch bei industriellen Investoren der Fall ist. Positive Beispiele aus den vergangenen Jahren gibt es viele, ob Saargummi, KraussMaffei oder Kuka.
Ein Beispiel für einen chinesischen Privatinvestor mit mehrfachen Investitionen in Deutschland ist das der in Shanghai börsennotierten Joyson Electronic Corp aus Ningbo, Zhejiang. Sie übernahm im Jahr 2011 die Mehrheit am deutschen Automobilzulieferer Preh GmbH in Neustadt an der Saale, erweiterte und modernisierte dessen Ausbildungszentrum, errichtete eine neue Fertigungshalle und investierte elf Millionen Euro in den Bau eines neuen Forschungszentrums in Bad Neustadt. Im Jahr 2015 übernahm Preh die IMA Automation Amberg GmbH und im Jahr 2015 kaufte Joyson den deutschen Zulieferer und Lenkradhersteller Quin GmbH aus Rutesheim sowie 2016 TechniSat Automotive (jetzt Preh Car Connect). Die deutschen Gesellschaften wurden 2017 in der PIA Automation Holding GmbH zusammengefasst.
Sind von Chinesen übernommene Unternehmen in Deutschland zukunftsfähig? Wenn Ja, warum?
Wichtig für den Standort Deutschland ist, ob das Unternehmen hier weiter in Forschung und Entwicklung investiert und in Deutschland weiter Wissen aufbaut. Unsere Studien haben gezeigt, dass chinesische Investoren keinesfalls die Entwicklungsbudgets kürzen, sondern in den Aufbau von Wissen in Deutschland – oft mehr als die alten Eigentümer – investieren.
In vereinzelten Fällen, bei denen der Wissenstransfer nach China – etwa durch die Weitergabe von Konstruktionsplänen, die Übertragung von Patenten an die chinesische Muttergesellschaft oder den Ausbau des chinesischen Stützpunktes – im Vordergrund standen, konnte das Unternehmen in Deutschland mittelfristig nicht fortbestehen. Davon betroffen waren jedoch vor allem kleinere Unternehmen, die bereits kurz vor der Pleite standen. Sie konnten durch die Übernahme durch chinesische Investoren wenigstens noch eine Weile die Beschäftigung sichern.
Ein guter Indikator ist die Rückendeckung des Investors durch den chinesischen Staat. Ist diese uneingeschränkt gegeben, dann haben die in Deutschland übernommenen Unternehmen eine gute Perspektive.
Zur Person:
Prof. Dr. Ulrike Reisach lehrt an der Hochschule Neu-Ulm für angewandte Wissenschaften und als Gastdozentin an chinesischen Universitäten. Seit Mitte der 80er-Jahre forscht, publiziert und berät sie zur deutsch-chinesischen Wirtschaftszusammenarbeit, als Direktorin Market Intelligence in der Industrie und seit 2008 an der Hochschule. Die in diesem Beitrag angesprochene Studie basiert auf Interviews, die zwischen Mai 2016 und Januar 2017 im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung bei chinesisch investierten Unternehmen in Deutschland durchgeführt wurden.










