Stoff zum Träumen: Eine deutsche Modeschöpferin und ihre Xiangyunsha-Erfolgsstory
„Xiangyunsha“ – zu Deutsch etwa „duftendes Wolkengewebe“ – ist ein traditioneller chinesischer Seidenstoff, der auf eine jahrhundertealte Geschichte zurückblickt. Es ist einer der wenigen Seidenstoffe der Welt, die mit reinen Pflanzenfarbstoffen gefärbt werden. Da der Färbe- und Veredelungsprozess stark von natürlichen Faktoren wie dem Wetter beeinflusst und die Produktion begrenzt ist, wird der feine Zwirn von der Textilindustrie als „weiches Gold“ gepriesen.
In einem Beijinger Hutong gibt es ein elegantes Mode-Atelier, das sich auf hochwertige, individuelle Kleidungsstücke mit Xiangyunsha als Hauptstoff spezialisiert hat. Inhaberin des Ateliers ist Kathrin von Rechenberg, eine deutsche Modedesignerin, die seit 24 Jahren in Beijing lebt.
Liebe auf den ersten Blick
„Ist das aus Seide gemacht? Wie kann Seide auf Vorder- und Rückseite unterschiedliche Farben haben, so leicht und dünn wie Papier sein, aber dennoch so robust wie Leder und obendrein metallisch glänzen? Es war mir wirklich ein Mysterium.“ Von Rechenberg erinnert sich noch gut daran, wie baff sie damals war, als sie erstmals mit Xiangyunsha in Berührung kam.
Als die Münchnerin vor fast 20 Jahren in Paris zum ersten Mal Xiangyunsha-Seidenstoff sah, war es sofort um sie geschehen. Dieser einzigartige Seidenstoff aus Südchina und sie – es war wie Liebe auf den ersten Blick. Das war im Jahr 1995, als von Rechenberg, die am „École de la chambre syndicale de la couture parisienne“ studiert hat, zufällig eine chinesische Designerin traf, die ein Kleid aus Xiangyunsha trug. „Ich habe bei Chanel, Dior und vielen anderen Pariser Haute Couture-Häusern gearbeitet und zahlreiche schöne und hochwertige Stoffen kennengelernt. Aber ein Seidenstoff mit der Lebendigkeit des Xiangyunsha war mir bis dahin noch nicht in die Hände gekommen. Dieser Stoff vermittelt ein Gefühl von Ruhe und Kraft, das mich unglaublich fasziniert“, erzählt die deutsche Modeschöpferin.
„Ich hatte gehört, dass es sich um einen traditionellen Stoff aus China handelt, der zu 100 Prozent von Hand mit Naturfarbstoffen gefärbt wird und deshalb umweltfreundlich ist. Und diesen Stoff musste ich einfach finden!“ Im Jahr 2000 reiste die Münchnerin auf eigene Faust ins Reich der Mitte und machte sich auf die Suche nach dem Stoff, aus dem ihre Träume waren.
In Beijing lernte sie Zhang Xiangyun kennen, der später ihr Mann werden sollte. „Damals wussten nur sehr wenige Menschen über Xiangyunsha Bescheid. Nach mehreren Anläufen konnten wir schließlich herausfinden, dass der Stoff seinen Ursprung im Bezirk Shunde der Stadt Foshan in Guangdong hatte.Wir kontaktierten sofort einen Hersteller, um uns die Seide vor Ort anzuschauen.“ Erst dann sollte von Rechenberg erfahren, wie komplex die Fertigung von Xiangyunsha tatsächlich ist. Die Herstellung umfasst 14 Techniken bzw. 36 Verfahren, erfordert ein perfektes Zusammenspiel von Sonnenlicht, einem lokalen Gewächs namens Shuliang, lokalem Flussschlamm und handwerklicher Raffinesse.
Nach ihrer Rückkehr nach Beijing gründete die junge Münchnerin die nach ihr benannte Bekleidungsmarke „Rechenberg“, die sich auf modische Designs aus Xiangyunsha als Hauptstoff spezialisiert hat.
Neuinterpretation orientalischer Schönheit
Schon seit 24 Jahren arbeitet von Rechenberg nun hart daran, den Charme dieses alten und geheimnisvollen Stoffes noch besser zur Geltung zu bringen. Um die besten Stoffe zu finden, reist sie fast jedes Jahr nach Shunde, um sich mit Handwerkern vor Ort zu beraten und selbst am Färbeprozess teilzunehmen.
In ihren Worten ist die Herstellung ein „magisches, wenn auch mühsames Unterfangen“. Der gesamte Färbeprozess ist von Anfang bis Ende reine Handarbeit. Nachdem die Seide im Saft der Shuliang-Pflanze eingeweicht und gefärbt wurde, wird sie flach zum Trocknen bei einer hohen Temperatur von 40 Grad ausgelegt. Um die gewünschte Farbe zu erreichen, muss dieser Vorgang in der Regel mehr als 30 Mal wiederholt werden. In einem nächsten Schritt wird gleichmäßig örtlicher Flussschlamm auf den Seidenstoff aufgetragen. Das von Natur aus im Schlamm enthaltene Eisen reagiert mit dem Tannin im Shuliang-Extrakt und färbt eine Seite der Seide glänzend schwarz.
„Xiangyunsha ist wie ein Geschenk der Natur. Was mir wirklich wichtig ist, ist wie wir den Stoff, die Bemühungen aller Handwerker dahinter, und alles, was die Natur uns gegeben hat, respektieren.“ Xiangyunsha habe ihren Blick auf die Welt und ihr Handwerk verändert, sagt von Rechenberg. Nun sehe sie die Dinge anders. Kleidung zu entwerfen sei ein Prozess, bei dem sich Designer und Stoffe gegenseitig beeinflussten. Da ist sich von Rechenberg sicher. Bei dem Vorgang gehe es mehr darum, dem Stoff zu einem einzigartigen Kleidungsstück zu verhelfen, als darum, die eigenen Designfähigkeiten durch das Kleidungsstück zum Ausdruck zu bringen, findet die Modekünstlerin.
„Anders als das westliche Konzept, Kleidung durch Schneidertechniken und komplexe Designs stilvoll zu gestalten, ist die östliche Designphilosophie eher kulturell orientiert und folgt der Figurform. Ich bewundere die Art und Weise, wie die Chinesen in der Song-Dynastie (960-1279) die Schnitte auf ein Minimum reduzierten und die Kleidung entsprechend dem Stoff entwarfen.“ Nachdem die Münchnerin den mühsamen Prozess der Herstellung von Xiangyunsha erlebt hatte, versuchte die Modemacherin nach diesem Vorbild ebenfalls ihr Bestes, um möglichst wenig Stoff zu verschwenden. Sie hoffe, dass die von ihr entworfenen Modelle dem chinesischen Gedanken der Harmonie von Mensch und Natur gerecht werden, sagt sie.
Die Ergebnisse ihrer Arbeit kommen an. Rechenbergs Designs finden weltweit breite Anerkennung. Viele international bekannte Künstler gehören bereits zu ihren Stammkunden. Auch Tänzer und Sänger kommen zu ihr, um ihre Bühnenkostüme individuell anfertigen zu lassen. Rechenberg hat Xiangyunsha von China aus den Sprung auf die Bühnen der Welt ermöglicht.
Global gehen
In den letzten zwei Jahrzehnten hat Kathrin von Rechenberg auch die Entwicklung Chinas und seiner Bekleidungsindustrie miterlebt. „Am Anfang waren die meisten meiner Kunden Ausländer, die wie ich von diesem traditionellen chinesischen Stoff begeistert waren. Aus historischen und kulturellen bzw. ästhetischen Gründen trugen die Chinesen damals jedoch nur selten Xiangyunsha“, erinnert sich die Modemacherin zurück.
In den letzten Jahren habe sich die chinesische Bekleidungsindustrie im Zuge des wachsenden kulturellen Selbstvertrauens Chinas dramatisch verändert. Heutzutage hat von Rechenberg auch einen wachsenden Kreis chinesischer Kunden, darunter viele junge Menschen. „Besonders nach den Olympischen Spielen 2008 in Beijing blickte die Welt nach China. 2008 war auch das Jahr, in dem man das Färbe- und Veredelungsverfahren für Xiangyunsha in Chinas Liste des nationalen immateriellen Kulturerbes aufnahm.“ Natürlichkeit und Umweltschutz würden immer bedeutsamere Kriterien für die Auswahl von Bekleidungsstoffen, sagt die deutsche Modevirtuosin. „Xiangyunsha hat in dieser Hinsicht natürlich Vorteile.“
Die Begegnung mit dem feinen Zwirn aus Südchina hat das Leben der deutschen Designerin gehörig umgekrempelt. „Es war für mich ein großes Glück, schon früh auf Xiangyunsha zu stoßen. Dieser Stoff hat mir so viel Inspiration geschenkt und mir die Möglichkeit gegeben, das zu tun, was ich am meisten liebe. Mein Traum war und ist es daher, durch meine Arbeit der ganzen Welt die Schönheit dieses traditionellen Naturstoffs aus China näherzubringen.“
Im Laufe der Jahre hat die Deutsche Wort gehalten und chinesischer Seide im Ausland neue Bekanntheit verschafft. In China organisiert sie von Zeit zu Zeit in ihrem Atelier Kultursalons rund um Xiangyunsha. In Europa empfiehlt sie den besonderen Stoff Designerinnen und Designern, mit denen sie einst zusammengearbeitet hat, organisiert gar auf eigene Kosten Modeschauen, damit die Models den Charme von Xiangyunsha voll zur Geltung bringen können. Auch auf verschiedensten in- wie ausländischen Modeevents war und ist die Wahl-Beijingerin präsent – ob bei der deutschen Modewoche, der Pariser Fashion Week, der Kunstbiennale in Chengdu oder Ausstellungen im Londoner Design Museum. Die deutsche Modemacherin scheut keine Mühen, um Xiangyunsha auf die internationale Bühne zu bringen.
„Das menschliche Streben nach Schönheit kennt keine Grenzen. Bei orientalischer Ästhetik geht es nicht um oberflächliche Erscheinung oder Form, sondern vielmehr um den Geist und die Kultur auf der inneren Ebene“, sagt von Rechenberg. Auf der 4. Konferenz zum textilen immateriellen Kulturerbe Chinas im Jahr 2020 wurde der Deutschen der Titel „Botschafterin der Freundschaft für die Verbreitung des textilen immateriellen Kulturerbes Chinas“ verliehen.
Im April 2024 lud man von Rechenberg nach Paris ein, um an den Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Frankreich teilzunehmen. „Ich habe mehrere Modesets zur Ausstellung mitgebracht, die das immaterielle Kulturerbe im Bereich des chinesischen Textilhandwerks gut repräsentieren.“ Sie sei sehr stolz, als Botschafterin für Xiangyunsha zu fungieren.
„Obwohl ich schon seit 24 Jahren in China lebe, bin ich noch immer mit voller Leidenschaft dabei, Xiangyunsha und andere immaterielle Kulturgüter in China zu erforschen. Ich werde hier weiter lernen und die chinesische Kultur in die Welt tragen.“ Auch in Zukunft also dürften die Hände der gebürtigen Münchnerin etwas Exquisites und Kreatives aus chinesischen Stoffen formen.