Studenten finden kreatives Ventil in der Poesie
Die junge Dichterin Li Ling stammt aus einer Bergstadt in der südwestchinesischen Provinz Yunnan. Doch ihr Gedicht „Dark Night“ hat geografische Grenzen überwunden und erreicht Leser auf der ganzen Welt, ausgestellt in den hellen Lichtern des New York Times Square. „Dunkle Nacht umarme ich, für alles, was sie vorhat, so wie die Liebe es tut“, heißt es in dem Gedicht. Li sagt, sie finde Trost im Schreiben von Gedichten.
Wang Chunlin ist eine weitere junge Dichterin aus Yunnan, die außerhalb der Provinz Erfolg hat. Als sie eingeladen wurde, an Poesieveranstaltungen in Beijing teilzunehmen, besuchte sie den Platz des Himmlischen Friedens und die Verbotene Stadt – zwei Orte, die sie zuvor nur im Fernsehen und in Büchern gesehen hatte. „Ich möchte fleißig lernen und eine größere Welt erkunden, wenn ich groß bin“, so Wang.
Sowohl Li als auch Wang stammen aus der Gemeinde Mangshui im Bezirk Changning in Yunnan. Eingebettet in die Berge fördert die Gemeinde seit über acht Jahren die Poesiebildung. Im Herbst 2016 unterrichtete die ehrenamtliche Lehrerin Kang Yu die Kinder der Zentralen Grundschule der Gemeinde Mangshui in Kalligrafie, als es stark zu regnen begann. Sie erinnert sich, wie die Kinder aus dem Fenster schauten. „Ich habe den Kindern gesagt, dass wir etwas schreiben werden, etwas Kürzeres als einen Aufsatz oder ein Tagebuch, mit Zeilenumbrüchen, etwas, das unsere wahren Gefühle und Emotionen ausdrücken kann. Das nennt man Poesie.“
Sie schlug den Kindern vor, ihre Stifte beiseite zu legen und ihre Stühle zur Seite zu schieben, um den Regen zu genießen. Dann leitete sie sie an, sich durch Poesie auszudrücken und sich die Szenerie zunutze zu machen. Kang sagt, fast jeder Schüler in der Klasse habe an diesem Tag sein erstes Gedicht geschrieben. Danach hätten die Kinder bei jedem Wetter die Hände gehoben und gesagt, sie wollten Gedichte schreiben.
Nachdem sie das Interesse der Kinder entdeckt hatten, begannen die Zentrale Grundschule und die Mittelschule von Mangshui, Poesie in ihren Unterricht zu integrieren. Poesiekurse finden inzwischen an verschiedenen Orten statt, wobei die Lehrer manchmal „Klassenzimmer“ unter Bäumen oder in der Nähe von Reisfeldern einrichten. „Ich liebe es, Gedichte auf den Feldern zu schreiben, wo Inspiration überall ist“, sagt Wang Yuanjiao, ein Sechstklässler an der Zentralen Grundschule der Gemeinde Mangshui.
Durch die Poesie haben die Kinder ein emotionales Ventil gefunden, aber auch Glück und Zuversicht und die Lehrer haben einen Weg gefunden, ihre Schüler besser zu verstehen. Während des Unterrichts teilen die Schülerinnen und Schüler ihre Gedichte miteinander. Besonders meisterhafte Zeilen werden von allen eifrig gelesen, an Schautafeln aufgehängt und zu Heften zusammengestellt, die im Lesesaal der Schule ausgestellt werden.
Mu Jianxing, der Direktor der Grundschule, sagt, die Schüler hätten Möglichkeiten und Plattformen gefunden, ihr Talent durch Poesie zu präsentieren. „Wir ermutigen die Schüler, Gedichte zu schreiben und wir schätzen jede Kreation unserer Schüler. Jedes Jahr veranstaltet die Schule Aktivitäten zum Thema Poesie und Musik, bei denen die Schüler die Bühne betreten können, um stolz ihre eigenen Gedichte zu rezitieren.“ Die Schülerin Weng Jiadai erklärt, sie halte die Erinnerung an einen Tag in der vierten Klasse in Ehren, an dem sie zwei ihrer Gedichte im Campusradio rezitiert habe. Als ihr Name als Autorin bekannt gegeben worden sei, sei sie sehr stolz gewesen.
Heutzutage zeigen mehrere Leuchtkästen in Mangshui Gedichte, die von lokalen Schülern verfasst wurden. Dank ihrer Poesieausbildung haben die Kinder der Gemeinde ihren Horizont erweitert.
Wang Chunlin, die in die neunte Klasse geht, hat seit der dritten Klasse über 200 Gedichte geschrieben. Sie sagt, sie habe sich früher unsicher gefühlt, aber die Energie, die sie aus der Poesie ziehe und die Freunde, die sie durch die Poesie gewonnen habe, hätten sie optimistischer gemacht. Die Poesie habe ihre Welt erweitert, so Wang weiter. Die Neuntklässlerin, die ihre Heimat nie verlassen hatte, bevor sie zur Poesie stieß, ist nun zweimal nach Beijing gereist, um an Poesieveranstaltungen teilzunehmen. Sie erklärt: „Ich werde weiterhin Gedichte schreiben.“ Es sei ihr Traum, Lehrerin zu werden und die Schönheit der Poesie mit mehr Schülern zu teilen.