Rückblick und Ausblick am Jahresende 2024
Die diplomatischen Beziehungen zwischen China und Deutschland Exklusiv
von Li Wenhong, Beijing
Das Jahr 2024 markiert den 52. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Deutschland sowie den 10. Jahrestag der Gründung der umfassenden strategischen Partnerschaft zwischen beiden Ländern. Rückblickend auf dieses Jahr lässt sich sagen, dass sich die bilateralen diplomatischen Beziehungen insgesamt stabil und gesund entwickelt haben, dennoch auch von Kontroversen und Störfaktoren geprägt waren. Nachfolgend eine kurze Bilanz der chinesisch-deutschen diplomatischen Beziehungen im vergangenen Jahr und ein Ausblick auf das kommende Jahr.
Die bilateralen Beziehungen sind insgesamt auf einem guten Weg
In diesem Jahr befinden sich die bilateralen diplomatischen Beziehungen zwischen China und Deutschland im Großen und Ganzen auf einem guten Weg. Vor allem fanden zahlreiche hochrangige Besuche und Austauschprogramme auf verschiedenen Ebenen zwischen den beiden Seiten statt. Anfang April besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz während seiner China-Reise Shanghai, Beijing und Chongqing. Dabei tauschte er sich mit chinesischen Studierenden aus und informierte sich bei Vertretern und Vertreterinnen der deutschen Wirtschaft über die wirtschaftliche Entwicklung Chinas. Am 16. April traf sich Chinas Staatspräsident Xi Jinping mit Scholz im Staatsgästehaus Diaoyutai in Beijing, einen Tag später führten Scholz und sein chinesischer Amtskollege Li Qiang Gespräche über die Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit. Am 19. November traf Präsident Xi zum zweiten Mal dieses Jahres mit Scholz am Rande des G20-Gipfels in Rio de Janeiro zusammen. Beide Seiten zogen eine Bilanz der Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland in den vergangenen sechs Monaten und tauschten sich über aktuelle Brennpunkte wie die Ukraine-Krise und den israelisch-palästinensischen Konflikt aus.
Unter der Leitung der Staats- und Regierungschefs der beiden Seiten waren die bilateralen diplomatischen Aktivitäten auch auf anderen Ebenen erfolgreich. Am 17. Februar traf der chinesische Außenminister Wang Yi im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz seine deutsche Kollegin Annalena Baerbock. Am 2. Dezember besuchte die Grünen-Politikerin die Volksrepublik und führte mit Wang die 7. Runde des chinesisch-deutschen strategischen außen- und sicherheitspolitischen Dialogs durch. Hinzu kommen weitere bilaterale Austauschprogramme wie die 7. chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen, die chinesisch-deutsche politische Konsultation auf der Ebene der stellvertretenden Außenminister, der 13. Dialog zwischen der Kommunistischen Partei (KP) Chinas und der Union, der 1. strategische Dialog zwischen der KP Chinas und der SPD, der erste hochrangige Dialog im Rahmen des chinesisch-deutschen Dialog- und Kooperationsmechanismus zu Klimawandel und grüner Transformation. Auf all diesen Dialogplattformen konnten fruchtbare Ergebnisse erzielt werden.
Störfaktoren bei heiklen Themen bleiben
Obwohl die Win-win-Kooperation auch im Jahr 2024 der Grundtenor der bilateralen Beziehungen zwischen China und Deutschland blieb, gab es auch einige Störfaktoren. Die deutsche Regierung, die unter anderem auch von den Grünen geprägt wird, die sich stark für eine wertebasierte Politik einsetzen, macht viel Aufhebens bei einigen heiklen Themen, was sich negativ auf die Beziehungen ausgewirkt hat.
Nach den Wahlen in der Region Taiwan Anfang dieses Jahres gratulierte das deutsche Auswärtige Amt in einer offiziellen Stellungnahme dem „Wahlsieger“ und äußerte sich unbedacht zur Taiwanfrage. Anfang Januar bauschte das Amt unter anderem die Hongkong-Frage auf, gefolgt von einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung Ende Februar, in dem es hieß, dass die Gesetzgebung zu Artikel 23 Hongkongs Freiheiten, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit aushöhle und Hongkongs wirtschaftlichen Wohlstand untergrabe. Diese waren eindeutig Einmischungen in die inneren Angelegenheiten Chinas.
Um die sogenannte „De-Risking“-Theorie in den chinesisch-deutschen Beziehungen zu widerlegen, veröffentlichte der damalige chinesische Botschafter in Deutschland, Wu Ken, im April in der People's Daily einen Essay mit dem Titel „Beibehaltung der Zusammenarbeit als Grundtenor und der Entwicklung als vorherrschende Richtung der Beziehungen zwischen China und Deutschland“, der einen positiven Ton für die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit anschlug. Nach dem Besuch von Präsident Xi Jinping in Frankreich veröffentlichte Wu einen Gastbeitrag in der Berliner Zeitung mit dem Titel „Gegenseitige Achtung der Kerninteressen – Wie echtes De-Risking in den chinesisch-europäischen Beziehungen gelingen kann“, in dem er eine Reihe von Gegenströmungen wie die Rhetorik des „De-Risking“ und die These des „ungeklärten Status von Taiwan“ widerlegte, die die Entwicklung der chinesisch-deutschen Beziehungen behindern.
Trotz Protesten seitens Chinas reisten Klaus-Peter Willsch (CDU) und andere Mitglieder des „Parlamentarischen Freundeskreises Berlin-Taipeh des Deutschen Bundestages“ später dennoch nach Taiwan, um an der „Inauguration“ des Leiters der Taiwan-Behörde teilzunehmen, wobei sie äußerst unverantwortliche Bemerkungen machten, die Chinas Souveränität und territoriale Integrität unverhohlen herausforderten.
Am 11. Juli kündigte das deutsche Bundesministerium des Innern und für Heimat wegen[O1] angeblicher potenzieller Sicherheitsrisiken in einer Pressemitteilung an, dass die Komponenten von Huawei, ZTE und anderen chinesischen Kommunikationsunternehmen bis spätestens 2026 nicht mehr in 5G-Netzen eingesetzt werden dürften. Die Skepsis an der Unabhängigkeit der deutschen Entscheidungsfindung ist nicht unbegründet: Diese Ankündigung erfolgte ausgerechnet zum Zeitpunkt des NATO-Gipfels in Washington.
Am 13. September durchquerten die Fregatte „Baden-Württemberg“ und ihr Begleitschiff der deutschen Marine trotz Einwände aus China die Taiwanstraße. Verteidigungsminister Boris Pistorius beanspruchte sogar das Recht, die Meerenge als „internationales Gewässer“ frei zu nutzen.
Diese Verfehlungen der deutschen Seite warfen einen Schatten auf die chinesisch-deutschen bilateralen Beziehungen im Jahr 2024. Als Reaktion darauf hat China entschiedene Maßnahmen zur Wahrung seiner nationalen Souveränität und territorialen Integrität ergriffen, die auch einzelnen antichinesischen Hardlinern Chinas Entschlossenheit zeigen.
Wahlprognosen 2025 und ihr Einfluss auf die chinesisch-deutschen Beziehungen
Anfang November wurde der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) von Scholz entlassen, woraufhin die Ampel-Koalition zerbrach. Deutschland plant für Februar 2025 vorgezogene Neuwahlen. Die Union liegt derzeit mit rund 30 Prozent der Stimmen in Führung und es wird erwartet, dass der CDU-Chef Friedrich Merz die Kanzlerschaft gewinnen wird. Die AfD hat mit knapp 18 Prozent zwar an Zustimmung zugelegt, ihr rechtsextremer Kurs wird aber von den anderen etablierten Parteien weiterhin abgelehnt. Eine Regierungskoalition mit ihr ist daher unwahrscheinlich.
Die Sozialdemokraten haben eine Zustimmungsrate von rund 16 Prozent und der amtierende Bundeskanzler Scholz strebt eine Wiederwahl an. Die von ihm geführte Regierung ist jedoch heftiger Kritik ausgesetzt. Die Grünen, die auf 11 Prozent kommen, verlieren aufgrund der Auseinandersetzungen mit der FDP in der Ampelkoalition an Zustimmung. Die aufstrebende Partei[O2] Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat eine Zustimmung von rund 7 Prozent und dürfte Wähler ansprechen, die mit dem Status quo unzufrieden sind.
Der Aufstieg der AfD ist derzeit eine wichtige Variable in der deutschen Politik. Sollte sie von den etablierten Parteien akzeptiert werden, würde dies bedeuten, dass Deutschland bei den Wahlen im nächsten Jahr hochwahrscheinlich wieder eine aus drei Parteien bestehende Bundesregierung haben wird. Dies hätte auch zur Folge, dass das Hinziehen des politischen Entscheidungsprozesses und die Schwankung politischer Positionierung für eine gewisse Zeit zur Normalität in der deutschen politischen Arena werden. Sollte die AfD allerdings nicht in die Regierungskoalition einziehen, würde sie zur größten Oppositionspartei. In diesem Fall wäre laut Umfragen eine Große Koalition aus Union und Sozialdemokraten am wahrscheinlichsten, aber auch eine schwarz-grüne Koalition wäre nicht ausgeschlossen.
Angesichts der traditionell freundschaftlichen Beziehungen der SPD zu China und der pragmatischen Tendenz der Union könnte eine Große Koalition den Anteil von Werten und Menschenrechten an den politischen Themen zwischen China und Deutschland verringern. In diesem Fall würde der Ausbau der politischen Beziehungen zwischen China und Deutschland auf weniger Gegenwind stoßen. Sollte hingegen eine schwarz-grüne Koalition an die Macht kommen, könnten die Grünen noch stärker für ihre Werte eintreten. Auch wenn sie von der Union zurückgehalten würden, könnten die Grünen darauf drängen, dass Themen wie Werte, Menschenrechte und Demokratie in den bilateralen Beziehungen zwischen China und Deutschland eine höhere Priorität erhalten. Dies hätte unweigerlich weitere Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen. Daher wäre eine Große Koalition insgesamt günstiger für die Entwicklung der chinesisch-deutschen politischen Beziehungen.
Die Autorin ist Professorin an der School of German Studies der Beijing Foreign Studies University und Expertin für deutsche Außenpolitik. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.