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15. 06. 2011 Druckversion | Artikel versenden| Kontakt

Ausländische Gesichter zu vermieten!

Schlagwörter: Ausländer , Geschäftsleute , Schauspieler , Verhandlungen

Chinesische Firmen, die Ausländer anstellen können, gelten als reich und gut positioniert. Diese Vorstellung machen sich immer mehr Geschäftsleute zu Nutze und mieten Ausländer stunden- oder tageweise als Schauspieler bei Verhandlungen.

"Sie müssen weiß sein, dazu professionell und reif aussehen. Aber nicht zu attraktiv, sonst denken die Leute, dass Sie ein Schauspieler sind", sagt eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Daniel Hutton, ein in Beijing lebender Marketingmanager aus den USA, hatte die Nummer einer Firma gewählt, die "weiße Gesichter" an chinesische Firmen vermittelt. Sie ist nur eine von vielen, die dem Trend folgen, der auf Chinesisch bairen chong menmian heißt. Auf Deutsch in etwa: Weißer Mann als Schaufensterpuppe.

Diverse Stellenbüros vermitteln weiß- und dunkelhäutige "Schauspieler" aus Europa, Nordamerika, Australien und Afrika an chinesische Geschäftsleute, damit diese in Begleitung von Ausländern bei wichtigen Treffen mit ihren Partnern oder potentiellen Investoren besser aussehen. Ihre einzige Qualifikation ist es, ein Ausländer zu sein. Zahlreiche Firmen benutzen diese ethisch fragwürdige Methode, um ihre Glaubwürdigkeit zu verbessern. So können sie den Anschein erwecken, als wären sie international vernetzt. Kenner der Branche sagen, dass es dieses Vorgehen schon länger gibt, doch erst in den letzten Monaten kam es in China in die Schlagzeilen.

Hutton arbeitet seit 18 Monaten für eine internationale PR-Firma in der chinesischen Hauptstadt. Nachdem er von dem Trend gehört hatte, entschloss er sich herauszufinden, wer von dieser Praxis profitiert, die viele Leute als Betrug klassifizieren würden. Also stellte er sich als Chinesisch-Student einer Modelagentur im CBD von Beijing vor und nahm einen Reporter der chinesischen Tageszeitung China Daily mit. «Es ist für chinesische Firmen eine gute Werbung, wenn sie einen Europäer an ein Meeting mitnehmen können», erklärt der 29-Jährige. «Sie versuchen verzweifelt, vor ihren Kunden einen guten Eindruck zu erwecken.» China sei allerdings nicht das einzige Land, in dem es diese Erscheinung gibt, sagt Hutton, dessen Firma in ganz Asien Zweigniederlassungen hat. Es sei auch in Südkorea, Japan, Thailand und Vietnam populär, sein Image mit einem Weißen aufzumöbeln.

Vorzeigearbeiter

Hutton zieht sich einen schwarzen Anzug an und macht sich auf den Weg zu einem Büro, wo bereits vier andere Ausländer in der gleichen Montur warten. "Es sieht aus, als gäbe es eine große Nachfrage nach unsereins", lacht er und setzt sich hin. Rund 30 Minuten später kommt er mit einem breiten Grinsen wieder aus dem Konferenzraum. Er passe perfekt für die Rolle, sei ihm gesagt worden. "Mein Interviewpartner schaute sich meinen Lebenslauf an und war froh, dass ich einen Universitätsabschluss in Marketing habe. Allerdings betonte er, dass ich den gar nicht brauche", erzählt der Amerikaner. "Ich müsse kein Profi sein, sagte man mir. Es reiche, wenn ich so aussehe und mir wie ein Schauspieler meine Zeilen merken kann." Bei dem Treffen erfuhr Hutton, dass er im Schnitt pro Stunde etwa 300 Yuan oder 1500 pro Tag verdienen würde, in Cash. Ein Vertrag werde jeweils für einen Anlass unterzeichnet.

Von den fünf Männern, die an diesem Nachmittag ihr Vorstellungsgespräch hatten, wurden nur zwei eingestellt. Hutton und ein Mann, der etwa 40 Jahre alt ist. Die anderen wurden abgewiesen, "weil sie zu sehr wie Studenten aussehen", erklärt Liu, der Manager der Agentur, der mit China Daily unter der Bedingung sprach, dass sein vollständiger Name und die Firma vertraulich bleiben. "Wir bevorzugen Männer, die reifer aussehen und schon ein bisschen einen Bierbauch haben", sagt er. "Sie müssen in ihre Rolle passen, denn schlussendlich sind sie ja Schauspieler."

Liu erzählt, dass er die Agentur vor fünf Jahren gegründet hat. Ursprünglich wollte er ausländische Models für Modeschauen und Fotoaufnahmen vermitteln. Doch es dauerte nicht lange, bis er Anfragen bekam, ob seine Models nicht auch als Angestellte agieren könnten, um Geschäftspartner zu beeindrucken. "Das Geschäft läuft nun schon seit Jahren und meine Kunden werden immer wählerischer", sagt er. "Sie wollen nicht mehr gutaussehende Models mit einem perfekten Körper, denn die Geschäftspartner könnten dann daran zweifeln, dass sie wirklich für ihn arbeiten."

Inzwischen machen die Firmen, welche nach einem weißen Vorzeigeangestellten Ausschau halten, rund 30 Prozent des Umsatzes aus. "Offensichtlich zahlt sich das für sie aus, sonst hätte ich nicht jedes Jahr mehr Kunden, die solche Models wollen." Die meisten neuen Firmen bekomme er über zufriedene alt Kunden. "Ich mache keine Werbung für diesen Teil meines Geschäfts." Die meisten ausländischen Models in seiner Agentur seien entweder arbeitslos oder Englischlehrer auf der Suche nach einem zusätzlichen Einkommen, so Liu.

Auch viele Stellenvermittlungsbüros, welche ausländische Privatlehrer als Kunden haben, bieten diese Dienstleitung an – meistens ohne es groß zu erwähnen. Eine von ihnen ist etwa ChinaESL, das auf zahlreichen Webseiten und in Expats-Magazinen Stellenausschreibungen platziert. Als der Reporter von China Daily die Firma kontaktierte und angab, dass er als Manager auf der Suche nach Ausländern sei, welche bei einem Firmentreffen stundenweise gemietet werden können, bot eine Angestellte mit dem Nachnamen Tang gleich eine Preisliste an: « Wir verlangen 600 Yuan pro Stunde und 3000 Yuan für einen ganzen Tag », erklärte sie. « Ich kann ihnen versprechen, dass sie wie Profis aussehen und sich bei ihrem Anlass auch entsprechend verhalten werden. Unsere Ausländer sind alle sehr erfahren und wissen, was sie tun. » Sie wies sogar darauf hin, dass man Hautfarbe und Dialekt wählen kann.

Als der Journalist am gleichen Tag nochmals bei ChinaESL anrief und mit seiner wahren Identität die gleichen Fragen stellte, hieß es: « Wir haben nur ausländische Sprachlehrer. Das ist alles. » Danach warf sie den Hörer in die Gabel.

Kleider machen Leute

Drei Tage nachdem sich Hutton bei Lius Modelagentur vorgestellt hatte, bekam er den ersten Auftrag. Er sollte für den Manager einer Handelsfirma aus Beijing bei Verhandlungen mit einer Firma aus der zentralchinesischen Provinz Henan einen ausländischen Berater mimen. "Ich bin wirklich sehr auf meine kleine Rolle in diesem Spiel gespannt", sagte er, als er seine Sprechzeilen auswendig lernte, die ihm der Kunde gegeben hatte.

Bevor es losging, bekam er nicht nur 1000 Yuan als Anzahlung, sondern auch gleich eine neue Identität. Jetzt hieß er Sam. Nur Sam. Kein Nachname. Darüber hinaus erhielt er noch eine Reihe von Visitenkarten in Englisch und Chinesisch. Hutton hatte beim Treffen nichts anderes zu tun, als Hände zu schütteln und hin und wieder zu nicken, wenn der Boss etwas sagte. "Die Partner waren offensichtlich von mir beeindruckt. Ich verstand zwar nicht, worüber sie sprachen", sagte der Amerikaner. "Aber jeder von ihnen wollte sich mit mir ablichten lassen."

Bald war der Vertrag unter Dach und Fach. Hutton ging noch mit den Vertretern beider Firmen (rund zehn Leute) an ein luxuriöses Bankett und konnte sich danach in seinem Zimmer im Viersternehotel ausruhen. Am nächsten Morgen musste er die Geschäftspartner kurz zum Flughafen begleiten und konnte dafür weitere 1000 Yuan abstauben. "Ich habe meine Mission erfüllt und einen guten Job gemacht", erzählte Hutton später über seine Erfahrung, mit der an einem Tag gerade ein Fünftel seines normalen Monatsgehalts verdient hatte.

Obwohl das Ganze sich finanziell gelohnt hat, betont Hutton, dass es ein einmaliges Experiment bleiben soll, da er sein Vorgehen ethisch nicht korrekt findet. "Eine solche Marketingstrategie ist zwar großartig, aber ich denke trotzdem, dass sie ein Betrug ist", sagte er. "Diese Firma wird bestimmt jegliche Glaubwürdigkeit einbüßen, wenn der Partner erfährt, was da passiert ist." Allerdings sei nicht er es, der einen Chinesen betrogen habe, fügte er hinzu, sondern ein Chinese den anderen.

Eine Umfrage unter 482 Internetnutzern bei chinadaily.com.cn ergab, dass über 45 Prozent der Befragten niemals für eine solche Arbeit zur Verfügung stünden, da sie dies als Betrug anschauen. Rund ein Drittel wäre bereit, in eine solche Rolle zu schlüpfen, da dies keine besonderen Fähigkeiten erfordert. Der Rest gab an, dass sie es sich vorstellen könnten, wenn der Lohn passt.

Den Fakten ins Auge blicken

Soziologen sind der Ansicht, dass es vor allem das chinesische Konzept des «Gesichts» (ein positives öffentliches Image) ist, das für die wachsende Inanspruchnahme von bairen chong menmian verantwortlich ist. «Wir sagen in China, dass das Gesicht wichtiger ist als das Leben», sagte kürzlich Zhang Haihua, die Autorin von Denk wie die Chinesen, in einem Interview mit CNN. «Weil die westlichen Länder so entwickelt sind, glauben viele in China, dass diese besser sind. Deswegen muss in ihrer Logik eine Firma mit ausländischen Angestellten reich sein und vermutlich gute Beziehungen ins Ausland pflegen.» Dies sei auch der Grund, weswegen eine Firma, welche jemanden beeindrucken will, ausgerechnet Ausländer einstellt. Experten sagen, dass diese Technik am besten in wenig entwickelten Regionen funktioniert, wo es noch immer außergewöhnlich ist, einen Ausländer zu sehen oder gar mit ihm zu reden.

«Ich mag das Wort ‘mieten’ nicht», sagt Fang von einer internationalen Energiefirma aus Kanada. « Man kann doch nur Waren mieten und keine Menschen.» Sein Betrieb beschäftige einige Ausländer auf Kurzzeitbasis, damit diese die Firma bei Anlässen repräsentieren können, für die man keine hohen Manager aus Kanada nach China schicken will. Beispielsweise wenn es darum geht, eine Rede zu halten oder wenn bei Zeremonien ein Band durchgeschnitten werden muss. "Das sind allerdings keine beliebigen Ausländer. Sie kennen unsere Firma", betonte er. "Wir tun dies, um die Reisekosten zu senken und damit unsere Manager wichtigere Dinge tun können.”

Fang fügt hinzu, dass er nicht der Meinung sei, dass Ausländer Chinesen überlegen seien. Seiner Meinung nach werde die «Liebe zu weißen Gesichtern » verschwinden, sobald China internationaler wird. «Alle diese chinesischen Firmen, die zufällig ausgewählte Ausländer für einen zeitweiligen Imagegewinn einstellen, sind Betrüger – genauso wie die Ausländer, welche dabei mitspielen. »

Nachdem immer mehr Ausländer versuchen, von der boomenden Wirtschaft in der bevölkerungsreichsten Nation der Welt zu profitieren, hat die Zentralregierung im Mai angekündigt, dass sie das erste Einwanderungsgesetz in China vorbereitet. Es sollen dann potentielle Immigranten in Fach- und Hilfsarbeiter unterscheiden werden.

Unterdessen sieht es allerdings nicht so aus, als würde der Trend bald zu Ende gehen, sagte Agenturboss Liu. «Solange es eine Nachfrage gibt, besteht auch ein Angebot. Viele Ausländer kommen ohne einen Plan nach China und können nichts anderes als Englisch sprechen. Für sie sind das perfekte Jobs.»

Quelle: german.china.org.cn

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