Nicht jeder kann das Besondere im Einfachen sehen. Und aus Einfachem Kunst zu machen, ist noch schwerer. Doch ein Beijinger Künstler hat es geschafft, simple Walnüsse in magische, künstlerische Kreationen zu verwandeln.

Jeden Morgen treffen sich Lu Xiaorong und seine Freunde im Park des Beijinger Himmelstempels. Sie kommen nicht, um zu joggen oder Taiqi zu üben wie andere Frühaufsteher. Ihre Form der Praxis ist weniger augenfällig: In ihren Händen lassen sie zwei Walnüsse umeinander rotieren und massieren damit ihre Hände und polieren die Walnussschalen.

Die Kultur des "Walnusskreiselns" hat eine lange Geschichte in China. Mit Walnüssen die Hände zu massieren geht auf die Han-Dynastie vor rund zweitausend Jahren zurück. Die Praxis, bekannt als "Walnusstherapie", erreichte Ende der Ming-Dynastie vor 500 Jahren ihren Höhenpunkt.

Wilde Walnüssen eignen sich besonders gut für die Walnusstherapie, denn sie sind härter als angebaute. Wenn Walnüsse lange Zeit verwendet werden, wird ihre Schale dunkler und transparenter. Man glaubte, dass der Grund dafür der war, dass die Haut und das Blut des Benutzers in die Schale verrieben werden. Als solche haben diese Walnüsse je nach der Person, die sie benutzt, verschiedene Charakteristika. Gebrauchte wilde Walnüsse sind sogar heute Sammlerstücke in Beijing. Ihr Wert ist ganz unterschiedlich je nach Form, Farbe und Alter.

Lu Xiaorong, der den Spitznamen "Walnuss-Lu" trägt, ist in ganz Beijing als "Walnusstherapeut" bekannt. Aber er ist mehr als nur das. In den vergangenen vier Jahren hat er sich sogar den Beinamen "Walnusskünstler" erarbeitet. Er erzählt: "Ich hatte Walnüsse gekreiselt, die nicht ganz trocken waren, so dass sie leicht zerbrachen. Ich konnte sie nicht mehr benutzen, als sie aufgesprungen waren, aber konnte es auch nicht übers Herz bringen, sie wegzuwerfen. Da fiel mir auf, dass die Walnüsse von Außen irgendwie so besonders aussahen, und dachte, vielleicht sehen von Innen genauso besonders aus. Ich öffnete einige meiner aufgesprungenen Walnüsse, denn ich konnte sie ja ohnehin nicht mehr benutzen. Als sie offen waren, bemerkte ich, dass sie innen genauso wunderbar aussahen wie außen."

Jedes Jahr im Herbst macht sich Lu Xiaorong auf eine landesweite nach Walnüssen in China. Er bringt oft eine ganze Ladung an Walnüssen nach Hause. Zu Hause lässt Lu dann die Nüsse durch einen komplizierten Prozess gehen. Sie werden vorsichtig geöffnet, vom Gehäuse befreit und die Schalen in Wasser getränkt. Die Stücke werden anschließend zusammengefügt und poliert. Das Ergebnis ist Kunst: Jedes Stück hat seine feine Prägung. Jedes Jahr zum Frühlingsfest präsentiert Walnuss-Lu seine Kunst in einem von Beijings Tempelmärkten. Die Stücke, die er an seinem Stand verkauft, sind immer sehr beliebt bei den Besuchern.

Im chinesischen Volksmund heißt es, dass Walnüsse das Böse abwehren können. Lu's Kunstwerke haben genau diese Inspiration. Seine Werke symbolisieren ein langes Leben, Sicherheit, Einheit, Liebe, Gesundheit und Wohlstand. Lu Xiaorong erzählt: "Von der einen Seite mag das Werk wie eine Pflaumenblüte aussehen. Von der anderen Seite wie eine Schildkröte. Das bedeutet Langlebigkeit."

Weiter sagt er: "Walnüsse sind genau wie Menschen. Jede Walnuss ist anders. Die Strukturen der Innenschale sind immer einzigartig. Wenn man sie aus verschiedenen Winkeln anschneidet, sind sie noch individueller. Ich arbeite immer mit der Kraft der Natur. Kein Handwerkskünstler kann etwas so Schönes wie diese natürlichen Strukturen kreieren."

Nicht nur Lu ist begeistert von dieser Kunst, sondern seine Werke haben bereits breite Anerkennung gefunden. Auf der Abschlusszeremonie des Französischen Kulturjahres in China Ende 2005 wurden Lu's Walnuss-Meisterwerke zu Beispielen der Quintessenz der chinesischen Volkskunst ausgewählt.