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12. 09. 2013 Druckversion | Artikel versenden| Kontakt

Chinesische Kultur noch immer sehr familienorientiert

Schlagwörter: China, Erwachsene , Kollektivismus , Individualismus

Ich erinnere mich noch genau an diese Szene:

Ende letzten Jahres traf ich mich mit einer chinesischen Freundin zum Mittagessen. Sie war offensichtlich sehr durcheinander. Als ich sie am Eingang der Mensa traf, bemühte sie sich sehr, locker zu plaudern, doch es war klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie ließ den Kopf hängen, blickte mit den Augen ständig auf den Boden und gab kurze Antworten, ruhig und höflich.

Schließlich, als wir unsere Tabletts nahmen und uns ins Kantinenessen vergruben, erzählte sie mir, was ihr im Kopf herum ging.

"Meine Eltern sind mit meinem Freund nicht einverstanden", sagte sie und erzählte dass sie seit vier Jahren mit ihm zusammen sei und spürte, dass er ihr bald einen Heiratsantrag machen würde. Sie liebte ihn und sie war sich sicher, dass er sie auch liebte.

Aber ihre Eltern, Menschen aus der Arbeiterklasse in Zentralchina, waren bis auf die Knochen praktisch veranlagt. Sie mochten die Tatsache nicht, dass er ein Bibliothekar in Beijing war. Außerdem war er fast 30 Jahre alt und besaß kein Auto und keine Wohnung. Sie fragten meine Freundin, wie ihr Freund künftig für ihren Unterhalt sorgen wolle und wohin es führen werde, eine Familie mit einem Mann zu gründen, der sich kaum selbst ernähren kann, geschweige denn eine zweite (und potentielle dritte) Person.

Die Argumente meiner Freundin waren zwecklos. Ihre Eltern waren nicht einverstanden. Das war endgültig.

Ein paar Wochen nach unserem Treffen, kurz vor dem chinesischen Neujahrsfest und einem Familientreffen, das im Falle ihres Ungehorsams schmerzhaft gewesen wäre, trennte sie sich von ihm. Es habe keinen anderen Weg gegeben, sagte sie mir.

Das ist das Dilemma im modernen China, wo junge Erwachsene kulturelle und familiäre Erwartungen mit dem übermächtigen Wunsch, ihren eigenen Weg zu gehen und Dinge auf ihre eigene Art zu tun, abwägen müssen – obwohl sie Individualismus dem Kollektivismus vorziehen.

Ich habe festgestellt, dass die Erwartungen ziemlich eindeutig sind und die Rollen manchmal aus einem Hollywood-Film zu kommen scheinen. Von Männern wird in der Regel erwartet, dass sie einen festen Job haben und sich auf Ihre Familie stützen, um ein Auto, eine Wohnung und all das zu kaufen, was sich bei der Suche nach einer Frau und der Familiengründung als nützlich erweist. Frauen ihrerseits sollen ihrer Geschlechterrolle erliegen: Vor dem 30. Lebensjahr heiraten, ein Kind bekommen und ihm oder ihr (vorzugsweise ein Junge) den Weg zum Erfolg ebnen. In vielen Fällen scheint die Verzweiflung um sich zu schlagen, wenn eine Frau sich dem 30. Lebensjahr nähert und noch nicht verheiratet ist.

Der Preis für diese Erwartungen, die viele meiner Klassenkameraden an der Graduiertenschule der Universität Tsinghua zahlen müssen, ist offensichtlich. Wenn sie kurz vor ihrem Universitätsabschluss stehen und sich darauf vorbereiten, sich in Chinas hartem Arbeitsmarkt zu behaupten, treffen die Erwartungen ihrer Familie, Lehrer und Freunde alle auf einmal zusammen.

Dies führt in vielen Fällen dazu, dass Absolventen Jobs annehmen, die sie verachten, oder in denen sie nicht gut sind. Sie begeben sich in Lebenssituationen, weil sie stabil sind und vor allem, weil es von ihnen erwartet wird, aber sie verabscheuen sie.

Für einen Amerikaner, der aus einer Kultur kommt, die viel Wert auf Individualismus legt, ist der Erfolgsdruck und die vielen Opfer, die erbracht werden müssen, um andere glücklich zu machen, eine harte schwer zu verstehende kulturelle Norm. Allerdings habe ich gelernt, dies als einen wesentlichen und untrennbaren Bestandteil der chinesischen Kultur zu betrachten.

Ich habe gelernt, meine chinesischen Freunde in Situationen, die schwierige Entscheidungen erfordern nicht nur zu fragen: "Was willst du?", sondern in vielen Fällen die wichtigere Frage zu stellen: "Was wollen deine Lieben?"

Quelle: german.china.org.cn

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