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09. 08. 2010 Druckversion | Artikel versenden| Kontakt

Afghanisches Mädchen auf Zeitschriftentitel erregt Gemüter

Das Gesicht auf dem Titel des Time-Magazins ist anmutig, komponiert und unvorstellbar verstümmelt. Das herzförmige Loch, wo die Nase der 18-jährigen Aisha sein sollte, ist ein Zeichen der Taliban-Justiz – eine viszerale Illustration dessen, wie die Überschrift sagt, "was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen."

Das Titelbild auf dem Time Magazine erzählt die Geschichte des Taliban-Missbrauchs. Das Porträt ist schnell zu einem Symbol dafür geraten, was in dem fast zehn Jahre alten Krieg auf dem Spiel steht. Es wurde Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, im Fernsehen vor die Nase gehalten, in Online-Kommentaren seziert und extrapoliert als Themen-Starter von Anti-Abtreibungs-Aktivismus bis zu gegen Gewalt gegen Frauen.

Wenngleich die Reaktionen beweisen, dass Bilder es immer noch schaffen, eine visuell übersättigte Kultur zu provozieren, zeigt es aber auch, wie sehr Zuschauer heute grafische Bilder kritiklos akzeptieren. Time sorgte für einen handfesten Aufschrei – manche konsultierten sogar Psychologen, um zu erfahren, wie das Foto eventuell Kinder beeinträchtigen könnte. Relativ wenig von der darauf folgenden Diskussion konzentrierte sich jedoch auf die grafische Natur des Bildes.

Auf Befehl eines Taliban-Kommandeur, der als Richter fungierte, wurden Aishas Nase und Ohren im vergangenen Jahr abgesäbelt, als Strafe für die Flucht aus dem Hause ihres Mannes, so Time und andere Berichte. Sie sagte, sie hätte den Schlägen und Misshandlungen ihrer Schwiegereltern entkommen wollen.

Jetzt ist sie in einem Frauenhaus. Mit Hilfe von Time, humanitären Organisationen und anderen soll bei ihr eine rekonstruktive Chirurgie in den Vereinigten Staaten vorgenommen werden. Sie kam am Donnerstag in Kalifornien an, um Rücksprache mit ihrem Chirurgen zu nehmen.

Aisha posierte für das Cover-Foto der Time, weil sie wollte, dass die Leser die möglichen Folgen eines Wiederaufleben des Taliban-Regimes sehen, sagte das Magazin. Prominente afghanische Frauen haben Bedenken geäußert, dass eine mögliche Versöhnung mit den Aufständischen seitens der Regierung sie Freiräume kosten könnte, die sie seit dem Jahr 2001 gewonnen haben, als die US-geführte Invasion die ehemalige Taliban-Regierung stürzte.

Christiane Amanpour, Gastgeberin der ABC-Sendung „Diese Woche“ hielt das Bild hoch und befragte Nancy Pelosi über das Engagement der USA für die afghanischen Frauen, nachdem die Vereinigten Staaten ihre künftige Beteiligung in ihrem Heimatland nun abwiegen. Pelosi schaute zuerst weg und antwortete dann, dass Bildungs- und andere Ziele für die afghanischen Frauen davon abhingen, Sicherheit zu schaffen und der Korruption ein Ende zu bereiten.

Die Bilder und die Geschichte haben für mehr als 500 Kommentare allein auf der Webseite von Time gesorgt, plus unzählige andere in sogenannten sozialen Netzwerken und Websites, von der Online-Zeitung The Huffington Post bis hin zu BagNews, ein Forum, auf dem Fotografie seziert wird. Während es noch zu früh ist zu beurteilen, ob das Titelbild die Verkäufe des Magazins beeinflusst hat, hat es nach Aussage des Magazins mehr als doppelt so viele E-Mail-Briefe an den Herausgeber generiert als es sogenannte Hot-Button-Themen in der Regel tun. "Es hat eine enorme Menge an Reaktionen provoziert – genau das, was wir wollten," erklärte Managing Editor Richard Stengel. "Es erregt sowohl die Aufmerksamkeit der Menschen und es stößt die Leute ab, aber man muss einfach hinsehen."

Einige Beobachter haben Vergleiche mit einem der beständigsten Bilder des Fotojournalismus angestellt: die Verhaftung. Es zeigt ein grünäugiges Flüchtlingsmädchen. Das Foto erschien im Jahr 1985 auf dem Cover von National Geographic und wurde zu einem Sinnbild der Leiden Afghanistan unter sowjetischer Besatzung.

Aber falls Aisha das neue "Afghanische Mädchen" ist, haben einige das Gefühl, dass sie als Aushängeschild für eine politische Botschaft missbraucht wird. "Es ist nicht das Foto", schrieb Journalistin Irin Carmon auf dem feministischen Weblog Jezebel. "Es ist die Überschrift. ... Es ist eine Gleichsetzen der Unterdrückung dieser Frauen mit dem, was die militärische Präsenz der USA dagegen tun könnte und sollte."

Zumindest einige Kommentatoren, darunter auch einige, die aus muslimischen Perspektiven schreiben, sind beunruhigt. Durch das Foto selbst, aber auch seine Platzierung auf dem Cover eines Magazins mit einer Zirkulation von 3,25 Millionen gedruckten Exemplaren und einer Website, die fast neun Millionen echte US-Besucher im letzten Monat anzog.

Daniel Martin Varisco, Professor für Anthropologie an der Hofstra University, schrieb am Islamgelehrtenblog Tabsir, das Cover-Foto sei ein "unglückliches Beispiel von sensationalisierter Berichterstattung", die herunterspielt, was die afghanischen Frauen erreicht haben.

Fotojournalisten haben lange damit gerungen, wann und wie sie grafische Bilder verwenden. Sie müssen versuchen eine Balance herzustellen zwischen ihrer Überzeugung, dass schwierige Wahrheiten gesagt werden müssen mit Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der Themen und der Leser.

Stengel sagte, er hätte ausführlich das Verwenden von Aishas Portrait erklärt, das von einer Anmerkung der Redaktion begleitet wurde, in der er seine seine Beweggründe erklärte und sich bei den Lesern entschuldigte, die vielleicht etwas dagegen einzuwenden hätten.

Quelle: China Daily

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