Familie
Was hinter Chinas steigender Scheidungsrate steckt
Li An lebt wieder glücklich mit seiner Frau zusammen – ein Jahr nachdem das Paar wegen endloser Streitereien die Scheidung beantragt hatte. Bei den Streits ging es zum Beispiel einfach darum, wer dran war, dem Baby die Windeln zu wechseln. Vergangenes Jahr war Li, 28, Vater geworden, doch die Geburt des Babys brachte viele Probleme mit sich, und das Paar stritt sich immer wieder wegen Kleinigkeiten. Im Amt für Zivilangelegenheiten in der Autonomen Präfektur Dali der Bai in der südwestchinesischen Provinz Yunnan vollzog jedoch der Beamte – entgegen ihrer Erwartungen – nicht die Scheidung, sondern gab ihnen einfach ein Terminformular und bat sie, in einer Woche wiederzukommen, falls sie weiterhin die Scheidung durchführen wollten. “Die sieben Tage sind eine Schonfrist”, so Wang Zhaowei, Leiter des Amts für Zivilangelegenheiten in Dali. “Viele Paare, vor allem junge Paare, treffen übereilt und irrational Entscheidungen. Sie ändern möglicherweise ihre Meinung, wenn sie sich beruhigt haben.“
Die Scheidungsrate in China steigt rapide. 2014 trennten sich 3,6 Millionen chinesische Paare, das sind fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Früher mussten Ehepaare die Erlaubnis ihres Arbeitgebers oder Wohnviertelkomitees einholen, um sich scheiden lassen zu können, und viele rauften sich mit ihren Ehepartner wieder zusammen, einfach um eine öffentliche Blamage zu vermeiden. Eine Vorschrift von 2003 über Ehe und Ehescheidungen vereinfachte das Scheidungsverfahren und ermöglichte es Paaren, sich noch am gleichen Tag zu einem Preis von 10 Yuan scheiden zu lassen. Termine wurden in Dali am 1. Februar 2015 eingeführt. Mit Stand von Ende vergangenen Jahres machten 9.571 Ehepaare Termine, doch 4.531 von ihnen, also ganze 47 Prozent, ließen sich letzten Endes nicht scheiden. In vielen anderen Städten bestehen ähnliche Terminsysteme.
Diese Maßnahmen sind nicht ohne Kritik. “Es ist nicht ordnungsgemäß, dass Regierungen Paaren, die sich scheiden lassen wollen, Hindernisse in den Weg stellen, schließlich genießen chinesische Staatsbürger Ehefreiheit“, meint Nie Aiping von der Akademie für Sozialwissenschaften in Jiangxi. Er rät, dass Interventionen von einer unparteiischen Organisation durchgeführt werden sollten.
Liu Min in der ostchinesischen Provinz Anhui ist seit mehreren Jahren Scheidungsanwältin. Sie ist der Ansicht, dass nicht alle Ehen gerettet werden können, schließlich variieren die Gründe für Scheidungen. “In der Vergangenheit wollten sich die Leute vorwiegend wegen häuslicher Gewalt und Affären scheiden lassen, mittlerweile wird es immer normaler unter jungen Paaren, sich wegen nichtiger Streitigkeiten oder Einmischung der Eltern zu trennen“, erklärt sie. Die meisten Leute, die in den 1980er und 1990er Jahren geboren sind, seien Einzelkinder, deren Eltern dazu tendieren, sich zu sehr in ihr Leben einzumischen. Hinzu komme, dass sie im Gegensatz zu ihren Eltern der Individualität und der Lebensqualität eine größere Bedeutung beimessen.
Für die Paare, die sich ohne sorgfältige Überlegung in eine Scheidung stürzen, sind in Beijing, Chongqing, Shanghai und anderen Provinzen Eheberatungsstellen eingerichtet worden, in denen Psychologen tätig sind. Die Standesbeamten in der Provinz Anhui, die für Scheidungen zuständig sind, sind dafür ausgebildet, abzusehen, ob eine Ehe gerettet werden kann oder nicht, je nach den Aussagen der Partner oder ihrem emotionalen Zustand, erklärt Gao Jiamei vom Amt für Zivilangelegenheiten der Provinz Anhui. Eine lokale Regierung in Hefei, der Hauptstadt der Provinz, hat professionelle Berater gebeten, mit Standesbeamten zusammenzuarbeiten. Sie helfen Paaren, sich zu beruhigen, nochmal über ihre Beziehung nachzudenken und zu einer rationalen Lösung zu finden. “Die meisten Paare, die sich scheiden lassen wollen, beschließen nach der Beratung, ihre Entscheidung nochmal zu überdenken“, so Wang Wenjing, Generalsekretär des Eheberatungsverbandes in Hefei. Doch Ehe ist letzten Endes etwas tief Persönliches. Sich scheiden zu lassen oder nicht, diese Entscheidung liegt letztlich bei dem Paar selbst.