Stadt der Zukunft

Der vernetzte Organismus Exklusiv

04.07.2016

Von Elke Lütke-Entrup, Beijing

Als bevölkerungsreichstes Land der Erde befindet sich China seit Jahrzehnten in einem starken Urbanisierungsprozess. Dies stellt die chinesische Regierung vor große Herausforderungen wie sich verschlechternde Umweltbedingungen, zunehmender Verkehr und Mängel in der Infrastruktur. Eine „geplante Urbanisierung“ hat deshalb in China hohe Priorität. Im Gespräch mit china.org.cn erklärt Falk Kagelmacher, Architekt und ehemaliger Berater für nachhaltige Stadtentwicklung im chinesischen Bauministerium, worauf es dabei ankommt.

 

 

China.org.cn: Herr Kagelmacher, wie sieht die (geplante) chinesische Stadt der Zukunft aus?

Falk Kagelmacher: Die vergangenen Jahre dominierte der Begriff der Eco-City die Idee der chinesischen Stadtentwicklung. “Grün” hatte eine Stadt zu sein, ökologisch. Wie genau das im Detail aussehen sollte, war lange nicht klar. Erst im Jahre 2011 hat mein damaliger Arbeitgeber, stellvertretender Bauminister Dr. Qiu Baoxing, eine sehr gute und immer noch treffende Definition vorgeschlagen, wie die Stadt der Zukunft angegangen werden solle. Drei Bereiche gilt es zu betrachten und zu vereinen: Urbane Dichte, Mobilität und Nachbarschaft. Der beinahe revolutionäre Grundgedanke bestand darin, die Stadt als vernetzten Organismus zu begreifen. Diese Erkenntnis wird derzeit noch nicht weit genug umgesetzt, führt aber meiner Meinung nach zu einem Umdenken der nationalen Planungsstrategie.

 

Urbane Dichte Mobilität und Nachbarschaft zeichnen die Stadt der Zukunft aus. Das Foto zeigt das Galaxy Soho, einen futuristischen Wohn- und Bürokomplex an der zweiten, östlichen Ringstraße in Beijing.

 

Aktuell scheint immer noch die “autogerechte Stadt” das Leitmotiv der chinesischen Zukunftsvision zu prägen. Dies ist auch in Europa nicht anders: Der Individualverkehr und die dazu gehörende Autoindustrie sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Menschen wollen mobil sein.

 

Welchen Ansprüchen der Bevölkerung muss ein Stadtplaner in China gerecht werden?

Stadtplanung als Werkzeug einer geplanten Entwicklung ist in China noch eine sehr junge Disziplin. Erst seit etwa 50 Jahren wird eine nationale Strategie zur Stadtplanung implementiert. Ursprünglich hatten Städte in China nur ein Ziel: Förderung des nationalen Wirtschaftswachstums.

 

In China gibt es seitdem eine übergeordnete Methode zur Stadtentwicklung. Man folgt einem “rational comprehensive” Ansatz, was bedeutet, dass die Stadt pragmatisch und rational geplant wird: Eine Stadt mit einer bestimmten Einwohnerzahl benötigt eine bestimmte Anzahl Kindergärten, Krankenhäuser, Schulen, Straßen sowie weitere wichtige Infrastruktur wie Wassersysteme und Energieversorgung. Dieses Prinzip ist hervorragend geeignet, um eine Stadt zu planen, die den aktuellen technischen und wirtschaftlichen Anforderungen genügt. Es hat sich aber in den vergangenen Jahren gezeigt, dass dies nicht ausreicht, um aktuellen Herausforderungen zu genügen, wie die einer sich bildenden Mittelschicht, welche neue Anforderungen an Lebensqualität und Gesundheit stellt, sowie Umweltverschmutzung und Klimawandel. Seitdem die Städte vor allem ein lebenswertes Umfeld bieten sollen, ist es für Planer Aufgabe, die Stadt als vernetzten Organismus zu begreifen. Stadtplanung in China wird mehr und mehr zu einer interdisziplinären Aufgabe.

 

Chinas Mittelschicht stellt neue Anforderungen an Lebensqualität und Gesundheit. Das Foto zeigt einen Mann, der eine spezielle Maske gegen Smog trägt.


 

Welche Anti-Smog-Lösungen halten Sie für sinnvoll?

Dazu gehört eine kleine Betrachtung, wie Smog entsteht, was durchaus ein komplexer Vorgang sein kann. Eines aber ist deutlich: Das Auto spielt eine maßgebende Rolle. Ich betrachte den Individualverkehr wie er gerade existiert als Auslaufmodell. Große Autokonzerne haben dies auch erkannt und sehen sich in Zukunft weniger als Autobauer sondern als Mobilitätsdienstleister mit vernetzten Konzepten. Elektromobilität ist ein guter Schritt, aber wir brauchen einen Paradigmenwechsel – nicht nur in China. Um die Menschen zu motivieren, das Auto stehen zu lassen und als Alternative ein öffentliches Transportmittel zu verwenden braucht es ein Push & Pull Prinzip: Einerseits wird die Benutzung eines eigenen Autos unattraktiv gemacht (Push), gleichzeitig wird ein attraktives öffentliches Personennahverkehr-System geschaffen, welches den Menschen den Umstieg erleichtert (Pull). Hongkong hat dies sehr erfolgreich umgesetzt. Hier ist die MTR (Mass Transport Railway) so attraktiv, sauber und zuverlässig dass alle Einkommensschichten ohne Sorge um ihren Status das öffentliche Angebot nutzen. Es ist möglich.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: China, Stadtplanung, Architekt, Umweltschutz