Trotz Isolationsversuchen der USA leitet China ein neues Kapitel der bemannten Raumfahrt ein
Chinas Raumschiff Shenzhou-11 wird in ein paar Tagen zwei Astronauten zum Raumlabor Tiangong-2 transportieren. Laut Experten wird dies den Beginn eines neuen Zeitalters der chinesischen Weltraumforschung einläuten.
Im Weltraumthriller „Gravity“, der sieben Oscars gewinnen konnte, kehrt die amerikanische Heldin nach der Zerstörung ihrer Raumstation schließlich mithilfe eines chinesischen Raumschiffs, das einzige im Orbit, das ihr helfen kann, zur Erde zurück.
Die Fiktion könnte sich in ein paar Jahren der Realität annähern, weil die chinesische Raumstation vermutlich für ein Jahrzehnt die einzige im Weltraum bleiben wird.
Das Raumschiff Shenzhou-11 wird planmäßig innerhalb der nächsten Tage starten, am Raumlabor Tiangong-2 andocken und zwei Astronauten absetzen, die für ungefähr einen Monat im Weltraum bleiben werden, doppelt so lange wie ihre Vorgänger in der Raumstation Tiangong-1.
Es wird Chinas sechster Start eines bemannten Raumschiffs und ein weiterer Schritt zur endgültigen Fertigstellung der modularen Raumstation Tiangong sein, die 2022 in Betrieb genommen werden soll.
Die Internationale Raumstation (ISS), welche im Jahr 2000 ihre erste Besatzung begrüßt hat, wird laut Markus Braun vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) spätestens 2028 ausgemustert. China wird dann wahrscheinlich das einzige Land sein, das ein Wissenschaftslabor im Weltraum unterhält.
„Der Flug von Shenzhou-11 und die Ankopplung an Tiangong-2 ist ein weiterer Beweis des chinesischen Engagements für den Ausbau des bemannten Raumfahrtprogramms Chinas“, sagte der US-Weltraumjournalist Leonard David, der seit mehr als fünf Jahrzehnten über die Raumfahrtindustrie berichtet.
„Methodischer und schrittweiser Fortschritt ist das Markenzeichen Chinas eindrucksvoller Weltraumanstrengungen. Es unterstreicht auch die Bedeutung der menschlichen Weltraumforschung, nicht nur die Erde zu umkreisen, sondern auch zum Mond und zum Mars zu fliegen“, sagte David, Autor eines neuen von National Geographic herausgegeben Buches: „Mars: Our Future on the Red Planet“, gegenüber Global Times.
In den Augen von James A. Lewis, dem Vizepräsidenten und Programmdirektor des US-amerikanischen Zentrums für Strategische und Internationale Studien (CSIS), ist der Weltraum auch ein Werkzeug der Diplomatie und nationaler Macht.
„Chinas Erfolge im Weltraum verstärken durch die Demonstration als fortgeschrittenste asiatische Nation auch seine Ansprüche auf regionale Dominanz”, sagte er bei einer kürzlichen Anhörung im US-Repräsentantenhaus zum Thema „Verlieren wir den Wettlauf im All gegen China?”.
Ein neues Zuhause
Am 15. September, während des Mondfests, hob Chinas zweites Raumlabor Tiangong-2 vom Satellitenstartzentrum Jiuquan in der nordwestchinesischen Provinz Gansu ab.
Jetzt, da Tiangong alle 90 Minuten die Erde in einer Umlaufbahn von 393 Kilometern über der Oberfläche des Planeten umkreist, wartet das Modul auf die Ankunft von Shenzhou-11 und zwei Astronauten, deren Namen noch bekanntgegeben werden sollen.
Die Mannschaft plant die Durchführung von 14 Experimenten beispielsweise zur Raumfahrtmedizin, Technologieanwendungen und Reparaturtests an Bord von Tiangong-2.
Laut China Aerospace Science and Technology Corporation (CASC), dem Hauptauftragnehmer des Raumfahrzeugs, ist Tiangong-2 wesentlich fortgeschrittener als Tiangong-1. Viele Technologien wurden noch nie zuvor in einem chinesischen Raumschiff verwendet.
Seine in China entwickelte „kluge Haushälterin” kann den Operationsstatus des Raumschiffs automatisch diagnostizieren, Instruktionen ferngesteuert durchführen und technische Fehler finden, berichtete die Economic Daily aus Beijing im September.
Viele Systeme des Schiffs wie die Stromversorgung, Heizung und Datenverwaltung wurden als hoch integrierte Module entworfen, die im Falle eines Defekts innerhalb von Minuten ersetzt werden können.
Drahtlose Bluetooth-Geräte werden auch zum ersten Mal eingesetzt.
Pang Zhihao, ein Forscher der Chinesischen Akademie für Weltraumtechnologie, sagte kürzlich gegenüber China National Radio (CNR), dass Tiangong-2 weniger Brennstoff benötigt als Tiangong-1, was Raum schafft für andere Ausrüstungen, wie ein Laufband für die Astronauten oder einen mechanischen Arm.
Die Astronauten werden insgesamt zwölf speziell entwickelte Materialien einschließlich eines Nanocomposite, der die Kommunikation erleichtern kann, sowie einer außergewöhnlich leichten und harten Metalllegierung verwenden.
Im Unterschied zur Mission Tiangong-1, die sich auf das Andock-Verfahren konzentriert hat, schließt Tiangong-2 die tatsächliche Anwendung von Weltraumtechnologie ein und symbolisiert damit den Beginn des Zeitalters chinesischer Raumstationen, sagte Pang.
Außerdem wird laut CNR während des Fluges ein kleiner Nebensatellit getestet, der den Andock-Vorgang mit hochauflösenden Kameras filmen kann.
China hat bis zum Start von Shenzhou-10 im Jahr 2013 insgesamt 39 Milliarden Yuan (5,25 Milliarden Euro) für sein bemanntes Raumfahrtprogramm ausgegeben, ein Siebtel der Raumfahrt-Ausgaben der Vereinigten Staaten für 2013 und ein Drittel der NASA-Ausgaben im Jahr 2015.
Wettlauf im All?
„China wollte Mitglied des gemeinsamen amerikanischen, japanischen, europäischen, russischen und kanadischen ISS-Programms werden, wurde aber aufgrund der Weigerung der NASA zur Zusammenarbeit mit staatlichen chinesischen Gruppen dazu gezwungen, sein eigenes Programm aufzubauen“, erklärte der Sina Weibo-Nutzer „dongfeng expressman".
Diese Ansicht wurde von mehreren chinesischen Weltraumforschern bestätigt. Yang Junhua, ehemaliger Generalsekretär der chinesischen Gesellschaft für Raumfahrt, sagte 2011 in einem Artikel von Beijing Sci-Tech Report, dass die chinesische Weltraumtechnologie durch einige westliche Nationen wie die Vereinigten Staaten isoliert wurde.
„Wir unternahmen Anstrengungen, erhielten aber keine Eintrittskarte für die ISS“, zitierte die Zeitung Yu Mengfan, einen Forscher der Chinesischen Akademie für Weltraumtechnologie.
Die Vereinigten Staaten werden ihre Isolationspolitik gegenüber China wahrscheinlich fortsetzen.
Li Daguang, ein Weltraumexperte der Universität für Landesverteidung der chinesischen Volksbefreiungsarmee, sagte gegenüber Global Times, dass „die Vereinigten Staaten mit der Entwicklung ihrer Kampfbereitschaft im Weltraum angefangen haben. China hat sich der Militarisierung des Weltraums entgegengesetzt, aber unsere kontinuierlichen Fortschritte beunruhigen sie. Sie befürchten, dass die chinesische Ausdehnung im Weltraum ihre Überlegenheit bedroht.
Öffnung der Weltraumtechnologie
Trotz der Isolationspolitik der Vereinigten Staaten hat sich China gegenüber anderen Ländern für die gemeinsame Entwicklung von Weltraumtechnologie geöffnet.
Laut der Website des Chinesischen Behörde für Bemannte Raumfahrt (CMSA) wurden für den Start von Tiangong-2 Vertreter der Raumfahrtbehörden aus Russland, Italien, Frankreich, Deutschland und Pakistan zur Besichtigung und zum Ideenaustausch eingeladen.
Mehrfach haben Beamte der CMSA wiederholt, dass China bereit ist, ausländische Astronauten zu schulen und die zukünftige chinesische Raumstation für sie zu öffnen.
Auf der Webseite des Büros der Vereinten Nationen für Weltraumangelegenheiten (UNOOSA) ist nachzulesen, dass die CMSA im Juni eine Zusammenarbeit mit der UNOOSA beschlossen hat, um UN-Mitgliedsstaaten, insbesondere den Entwicklungsländern, Weltraumexperimente an Bord der chinesischen Raumstation zu ermöglichen.
Li Daguang betrachtet die Chancen für eine Veränderung der isolationistischen Politik der Vereinigten Staaten pessimistisch, „weil ihre Technologie weiter fortgeschritten ist. Sie werden die Zusammenarbeit mit China nicht suchen, wenn sie diese nicht benötigen“.
Die technologische Kluft zwischen der chinesischen und der US-amerikanischen Weltraumtechnologie ist eindeutig. Die Vereinigten Staaten landeten bereits einige Roboter auf dem Mars und betreiben diese seit Jahren.