Shanghaier Ghetto: Ein jüdischer Zeitzeuge erzählt Exklusiv

07.12.2016
 

Warum sind Sie erst 1950 nach Europa zurückgekehrt?

Ich wollte erst noch die Schule beenden. Ende 1949 war ich 16 Jahre alt und legte das Cambridge-Abitur ab. Ohne den chinesischen Bürgerkrieg würden wir wohl heute noch in Shanghai leben. Wir fühlten uns dort ausgesprochen wohl.

Warum gingen sie nach Deutschland und nicht in ein anderes Land wie Australien oder England?

Wir wollten eigentlich nach England, denn dort lebte der älteste Bruder meines Vaters. Ich hätte gerne in England Schiffsbau studiert. Doch der Chef meines Vaters beim AJJDC sagte zu ihm, er müsse nach Deutschland gehen, weil es dort viele hilfsbedürftige Flüchtlinge gebe. Mein Vater konnte nicht „nein“ sagen.

Harry Jorysz zeigt den Grundriss des Zimmers seiner Familie im Ghetto von Shanghai  

Waren Sie danach noch einmal in China?

Ja, ich kannte ja nur Shanghai, Nanjing und Hangzhou. In den Jahren 1998 und 1999 besuchte ich Beijing, die Große Mauer, Kaifeng, Xian und Chongqing. Ich fuhr auf dem Jangtse nach Wuhan, war in Guilin, Hangzhou und natürlich in Shanghai. Dort wollte ich mir alle Wohnungen ansehen, in denen wir früher gewohnt haben, aber manche gab es nicht mehr. Es war ein komisches Gefühl. Ich kannte dort niemanden mehr. Wie ein Automat bin ich meinen alten Schulweg entlang gegangen.

Vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Fluchterfahrung: Wie bewerten Sie die Haltung der Deutschen gegenüber Flüchtlingen?

Als die ersten Flüchtlinge in München ankamen und von der Bevölkerung rührend am Hauptbahnhof empfangen wurden, war das toll. Heute ist das anders, besonders in den Bundesländern Sachsen und Thüringen, wo Flüchtlinge auf Ablehnung stoßen.

Schlagworte: Shanghai,Zufluchtsort,Juden,China,Harry Jorysz ,Exil

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