„Scheidung auf Chinesisch“

Starautor Liu Zhenyun: Es ist nicht so, wie es scheint Exklusiv

17.04.2017

Von Elke Lütke-Entrup, Beijing

Der Roman „Wo bushi Pan Jin Lian“ des preisgekrönten chinesischen Schriftstellers Liu Zhenyun erschien vor kurzem auf Deutsch mit dem Titel „Scheidung auf Chinesisch“. Auf einer Lesung erzählten Liu Zhenyun und sein Übersetzer Michael Kahn-Ackermann von den sprachlichen Herausforderungen bei der Darstellung komplexer Sachverhalte, von der Kunst des Schreibens und den Grenzen der Übersetzung. China.org.cn war dabei.

Liu Zhenyun (l.) und Michael Kahn-Ackermann (r.) während der Lesung

Der Roman handelt von der 29-jährigen Bäuerin Li Xuelian, die in China der Ein-Kind-Politik zum zweiten Mal schwanger wird. Ihr Mann arbeitet in einem staatlichen Unternehmen und würde bei Bekanntwerden der Schwangerschaft seine Stelle verlieren. Um Kind und Lebensunterhalt zu behalten, lässt sie sich von ihrem Mann scheiden, um ihn später wieder zu heiraten. Ihr Mann hält sich jedoch nicht an die Abmachung und heiratet eine andere Frau. Xuelian stürmt vor Gericht und fordert eine Annullierung der Scheinscheidung. Bei ihrem Rachefeldzug durch alle Instanzen des chinesischen Justiz- und Staatsapparats stößt sie überall auf Desinteresse, bis sie sich am Ende des Buches, einsam und unverstanden, das Leben nehmen will.

Der Titel der deutschen Übersetzung ist nach Kahn-Ackermann nicht besonders treffend: „Richtig übersetzt hieße der Roman: ‚Ich bin keine Hure‘, aber der Verlag war der Meinung, dass dies dem deutschen Leser nicht zuzumuten sei. Deshalb hat er sich für ‚Scheidung auf Chinesisch‘ entschieden, ein Titel, welcher den Eindruck hinterlässt, es gehe in dem Buch um die Ein-Kind-Politik Chinas. Das ist jedoch falsch“, sagt Kahn-Ackermann. Vielmehr stünden politisch-gesellschaftliche Probleme im Mittelpunkt und die Geschichte einer Frau, die auf aberwitzige Weise ihrer Wahrheit Geltung verschaffen möchte und dabei fast die gesamte Behördenlandschaft Chinas durchwandert.

Buchcover von Scheidung auf Chinesisch

„Die Beschreibung der Wahrheit“, sagt Liu Zhenyun, „ist für einen Schriftsteller die schwierigste Aufgabe. Die Wahrheit bleibt nicht auf der ersten Wahrnehmungsebene und auch nicht auf der zweiten, sondern dringt durch viele Schichten hindurch, um schließlich an einem unvorhergesehenen Punkt zu landen.“ Für Übersetzer Kahn-Ackermann war die Übersetzung dieser Wahrnehmungsebenen besonders schwierig: „Einer der Sätze, die Liu Zhenyun so oft benutzt, dass ich kurz davor war, sie einfach nicht zu übersetzen, ist: ‚Die Situation ist eigentlich gar nicht so, wie sie scheint, sondern ganz anders.‘ Der Leser hat Wahrnehmungsmöglichkeiten wie bei einer Zwiebel. Während einer Geschichte werden alle Schalen abgeschält, es ist wie das allmähliche Eindringen in Realitätsschichten. Wenn die letzte dieser Zwiebelschichten abgeschält ist, bleibt im Kern das Gefühl.“

Ein guter Schriftsteller, sagt Liu Zhenyun, könne diese Wahrnehmungsschichten auf schlichte, einfache Weise beschreiben: „Wer mit einer komplizierten umständlichen und unnatürlichen Sprache Geschichten schreibt, ist kein guter Schriftsteller. Ein guter Schriftsteller besteht auf der Schlichtheit des Textes und Stils.“ Das ist auch der Grund, warum Liu Zhenyun in seinen Werken gerne auf Adjektive verzichtet. „Es ist zu einfach, einen langen Satz zu schreiben und zum Beispiel acht Adjektive einzubauen. Kurze, treffende Sätze mit überwiegend Nomen und Verben sind eine große Herausforderung“, sagt er. „Wenn ein Koch viele Gewürze zur Verfügung hat, ist seine Arbeit einfach. Doch wenn er nur die Grundzutaten hat, wie Salz oder Öl, und trotzdem ein leckeres Gericht zubereiten muss, steht er vor einer großen Herausforderung.“

1   2     


Diesen Artikel DruckenMerkenSendenFeedback

Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: Roman,Scheidung auf Chinesisch,Liu Zhenyun ,Michael Kahn-Ackermann