„Scheidung auf Chinesisch“
Starautor Liu Zhenyun: Es ist nicht so, wie es scheint Exklusiv
LIU Zhenyun
Liu Zhenyun sagt, er schreibe keine Geschichten, sondern er gestalte den Dreiklang von Texten: „Der Dreiklang besteht aus dem Autor, dem Text und seinem Leser. Wenn es einem Autor gelingt, nur zehn Prozent von dem ,was er eigentlich sagen will, im Text zu formulieren und der Text so gestaltet ist, dass der Leser die Bedeutung der unausgesprochenen 90 Prozent selbst erfährt, dann ist der Autor ein großartiger Schriftsteller und der literarische Text ist ein guter Text.“
Auf die Frage, wie es Kahn-Ackermann vor diesem Hintergrund gelungen sei, einen chinesischen Roman angemessen ins Deutsche zu übersetzen sagt dieser: „Für mich als Übersetzer ist es ein großes Glück, einen Autor zu übersetzen, den ich relativ gut kenne - weil ich ihn beim Übersetzen sprechen höre. Ich höre die Art und Weise, wie er Geschichten erzählt, ganz physisch in meinem Ohr, das ist eine enorme Hilfe. In dem Moment, in dem das Hören des Sprechers abreißt, stimmt irgendetwas nicht. In diesem Moment ist bei der Übertragung etwas verloren gegangen.“
Liu Zhenyun (l.) und Michael Kahn-Ackermann (r.) während der Lesung
Dennoch gebe es Grenzen der Übersetzbarkeit, damit müsse man leben. Die deutsche Sprache sei nicht so kartesianisch, die Chinesische nicht so verschwommen, wie es häufig in linguistischen Diskursen dargestellt werde. Beide Sprachen seien vieldeutig. Auch im Deutschen beziehe man sich auf Kontexte und es gebe viel Unausgesprochenes. „Der Unterschied zwischen den beiden Sprachen kommt dadurch zustande, dass sich die westliche Sprache eher einer strengen Grammatik bedient. Das Chinesische kennt diese Grammatik nicht. Das weckt bei Deutschen den Anschein von Vagheit, von Unklarheit und Vieldeutigkeit.“Das könne letztendlich auch der Grund sein, warum große chinesische Autoren in Deutschland nie als solche wahrgenommen werden, sagt Kahn-Ackermann.
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Liu Zhenyun gehört zu den erfolgreichsten chinesischen Schriftstellern der Gegenwart. Er wurde 1958 in der Provinz Henan geboren und hat in China preisgekrönte Werke und mehrere Bestseller herausgebracht. Auch international findet er zunehmend Beachtung. Einige seiner Werke wurden sogar verfilmt. „Scheidung auf Chinesisch" (Originaltitel: 我不是潘金莲)ist nach „Taschendiebe“ im Jahr 2009 und „1942“ im Jahr 2014 das dritte Buch von ihm, das in deutscher Sprache erschienen ist.
Michael Kahn-Ackermann, geb. 1946 in Bayern, ist ein deutscher Sinologe und Übersetzer und hat bereits mehrere Autoren vom Chinesischen ins Deutsche übersetzt, wie auch Zhang Jie. 1988 war er Gründungsdirektor des Goethe-Instituts in Beijing, seit 2012 ist er in Repräsentant der Stiftung Mercator. Er ist mit einer Chinesin verheiratet und lebt in Beijing.