Robert Bramkamp: Ein Filmprofessor erforscht das Wesen der Rakete Exklusiv
Die Ursprünge der Weltraumforschung und damit auch der Science-Fiction liegen in der Pionierforschung des eben erwähnten Wissenschaftlers und NSDAP-Mitglieds Wernher von Braun. Damit ist das Thema eng verknüpft mit dem Nationalsozialismus, Krieg und dem Einsatz von Zwangsarbeitern. Wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet, waren Kriege oft Anlass für technische Neuerungen. Sind Fortschritt und Technik Fluch oder Segen?
Wie viel vom deutschen Faschismus steckt in dieser Rakete mit drin? Der Faschismus fliegt immer mit, denn seine Faszinationskraft und seine Bedrohung sind nicht aus der Welt. Es ist auch jenseits der Vergangenheitsbewältigung eine ganz aktuelle Frage, was die Verbindung von Technologie und Faschismus ist.
Die Frage handelt vom Krieg als dem Vater aller Dinge, der also besonders der technologischen Entwicklung zuträglich ist. Ich würde sagen, dass der Krieg diese Techniken in die Welt gesetzt hat. So sieht es auch Pynchon, der sagte: Nach dem Start der Rakete, sie hieß A4 als technische Bezeichnung, sind wir die Post-A4-Menschheit. Deutschland war silberglänzendes Strahljägerland und damit seiner Zeit voraus. Zugleich geschah dieser Horror, der sich mit dem Holocaust verbindet. Mit dem Krieg machen wir jetzt Unterhaltung, Technik und Strahlflugzeuge. Wie gehören Technologie, Science-Fiction und Faschismus zusammen? Die These, dass Technologie sich immer weiterentwickelt, ohne dass die Menschen Einfluss haben, ist widerlegt. Es gibt verschiedene technologische Pfade, die man beschreiten kann.
Vor allem in der digitalen Industrie gibt es Leute, die sagen, das ist der Gang der Dinge, das ist die Technik, Ende. Die sind genauso technikfetischistisch wie die Leute, die damals die Rakete gebaut haben. Die sind zwar neue Priester, aber sie werden von der Rakete regiert. Die Menschen meinen, es wäre die eigene Macht, den Tod mit Robotern kontrollieren zu können. Man tanzt um ein goldenes Kalb, das man nicht versteht, und das ist bis heute so.
Der amerikanische Schriftsteller Thomas Pynchon ist Bezugspunkt für Ihr Schaffen. Was interessiert Sie an seinem Werk? Wo liegen die Parallelen?
Die Parallelen liegen wahrscheinlich in dem menippeischen Ansatz. In der menippeischen Satire wird die Ordnung komplett durcheinandergewirbelt. Der Kaiser konnte Sklave werden, der Sklave war Kaiser, aber am nächsten Tag war alles wieder beim alten. Das hat Pynchon in Gravity´s Rainbow auf die Spitze getrieben. Dieser Stil hat mir gefallen, die extreme Schreibfreiheit, die er schafft, die technologische Genauigkeit. Alles ist durchrecherchiert bis zum Letzten. Der Roman ist in seiner Präzision sehr suggestiv. Ich musste belegen, dass Gravity´s Rainbow nur eine Komponente und nicht die Basis für meinen Film darstellt. Er war die einzige Verfilmung, die von Pynchon autorisiert wurde.
Dadurch war ich aber auch einem Genauigkeitsanspruch ausgesetzt. Ich habe 122 Archivquellen genutzt und habe die einzelnen Aufkleber und Glücksbringer an der Rakete recherchiert. Wir haben uns sehr stark an die Rakete gewöhnt, aber sie kann jederzeit wieder zu einer Bedrohung werden. Das hat man gesehen, als die Menschen in Hawaii glaubten, sie hätten eine nordkoreanische Rakete auf dem Radar gesehen. Es wird aktuell mit dem amerikanischen Ausstieg aus dem INF-Vertrag, der die Begrenzung der Mittelstreckenraketen festschreibt. Es ist tragisch, das damit so gespielt wird. Das Thema hat an Aktualität nichts verloren. Und darum geht es auch im Film: Der Mensch wirft einen Teil von sich weg und ordnet sich dem dann unter, ohne ihn zu kontrollieren. Das ist gefährlich.
Sie haben Trisolaris-Werke des chinesischen Science-Fiction-Autors Liu Cixin gelesen. Wie fanden Sie die Lektüre? Welche Unterschiede zur westlichen Science-Fiction sehen Sie?
Die Lektüre war erfrischend. Die Herangehensweise ist anders. Es gibt dieses verrückte Szenario einer extraterrestrischen Zivilisation, die Einfluss auf die Menschheitsgeschichte hat. Das ist so ähnlich wie bei der menippeischen Satire. Dieser Roman ermöglicht ein Heraustreten und einen Blick von außen, der gleichzeitig ein Blick von innen ist. Auch in den Beschreibungen von Trisolaris findet man menschliche Gesellschaften wieder. Bei der Großperspektive – die Menschheit steht vor der Auslöschung – gibt es viele Parallelen zu westlicher Science-Fiction. Durch all diese Science-Fiction zieht sich eine rote Linie: Sind wir Menschen unsterblich, oder müssen wir uns nicht doch noch mit dem Tod auseinandersetzen? Diese Frage ist etwas Verbindendes. Sie steckt auch schon in der Ur-Rakete drin, denn diese wurde gebaut als Geist gegen all diese Gespenster, die seit dem Ersten Weltkrieg unterwegs waren.
Der Film Prüfstand 7 befindet sich im Archiv des Goethe-Instituts Beijing. Weitere Informationen zum Autor gibt es auf www.bramkamp.info