Konjunktur

Experten sehen kein Problem in geringerem Wirtschaftswachstum

09.12.2019

Chinesische Politiker werden bei der Festsetzung der Wachstumsziele für das kommende Jahr vermutlich eine größere Flexibilität an den Tag legen. Nach Expertenmeinung bestünde Toleranz für eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums zugunsten der Umsetzung langfristiger Reformziele, die von grundlegender Bedeutung für eine hochqualitative Entwicklung des Landes seien.



Im Laufe des Monats Dezember treffen sich in Beijing die hochrangigen Führungskräfte des Landes, um die aktuellen Wirtschafts- und Reformpläne zu erörtern. Das Treffen legt den Kurs der chinesischen Wirtschaft und die übergreifenden Tendenzen der allgemeinen Politik für das kommende Jahr fest.


Die meisten Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass die Qualität des Wachstums höher eingestuft werden wird als die Wachstumsgeschwindigkeit. Flexible und zielgerichtete Maßnahmen für eine geordnete Verlangsamung des Wirtschaftswachstums sollen die rechte Balance schaffen zwischen stabilem Wachstum und der Vermeidung von Wachstumsrisiken.


Diese Herangehensweise wurde am Freitag in einer Stellungnahme des Politbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas formuliert. Darin heißt es, dass das grundlegende Ziel eines langfristigen Wachstums der chinesischen Wirtschaft unverändern fortbestünde, wozu es erforderlich sei, die makroökonomischen Maßnahmen stabil zu halten und die mikroökonomischen Instrumente flexibel einzusetzen.


Dabei wird gefordert, die Maßnahmen bereits im Vorfeld gezielter und effektiver zur Anwendung zu bringen, wobei antizyklische Tendenzen zur Minderung von Konjunkturrisiken besser genutzt werden sollten.


Während die Stabilisierung des Wachstums ein wichtiges Anliegen der Zentralregierung ist, haben Experten darüber diskutiert, ob das Hauptaugenmerk der Wirtschaftspolitik im kommenden Jahr darauf liegen sollte, das Wachstum nicht unter einen Wert von sechs Prozent sinken zu lassen.


Einige gehen davon aus, dass eine Wachstumsrate von über sechs Prozent einen breitflächigen Anreiz böte, welcher tiefgreifende Maßnahmen lockern, die Aufnahme von Krediten erleichtern und zu höheren Risiken beitragen würde. Ein solches Vorgehen würde die Wirtschaft zwar kurzzeitig beflügeln, aber auch unerwünschte Nebenwirkungen auslösen und die Reformen verzögern, die für die Entwicklung einer chinesischen Wirtschaft von hoher Qualität notwendig seien.


Qu Tianshi, Volkswirt bei Bloomberg Economics, meint, dass eine Wachstumsrate des Bruttoinlandprodukts (BIP) von unter sechs Prozent kein Anlass zur Sorge sei, da China nach wie vor dazu in der Lage wäre, das im Jahre 2010 formulierte Ziel zu erreichen, bis zum Jahr 2020 das BIP und das Einkommen pro Kopf der Stadt- und Landbevölkerung zu verdoppeln, selbst dann, wenn es zu einer geringen Verlangsamung des Wachstumstempos komme.


"Angesichts des Rückgangs der Weltwirtschaft würde selbst eine Wachstumsrate unter sechs Prozent noch immer deutlich über dem internationalen Durchschnitt liegen," so Qu. "Solange die Konjunkturpolitik einen stabilen Arbeitsmarkt und die Profitabilität der Unternehmen sicherstellt, ist die Qualität des Wachstums wichtiger als dessen Geschwindigkeit."


Einige Volkswirte gehen davon aus, dass die Regierung für das kommende Jahr ein geringeres Wachstumsziel formuliert und dadurch ihre Instrumentarien flexibler zur Anwendung bringen kann. Wahrscheinlich werde die Regierung eine höhere Inflationsrate und erhöhte Ausgaben der öffentlichen Hand als Wachstumsstimulans tolerieren. Die Geldpolitik würde voraussichtlich unverändert bleiben und die moderate und zielorientierte Herangehensweise fortgesetzt werden.


"Wir glauben, dass der wirtschaftspolitische Kurs im Wesentlichen unverändert fortgesetzt werden wird," meint Yu Song, Chefökonom der Beijing GaoHua Securities, dem chinesischen Zweig der amerikanischen Bank Goldman. Song geht von einem Wachstumsziel von um die sechs Prozent aus, während die Zielvorgabe für das Haushaltsdefizit vermutlich von 2,8 Prozent auf 3,0 Prozent angehoben werden wird. Reformaßnahmen, darunter eine weitere Öffnung der Landwirtschaft und des Dienstleistungsektors und ein besserer Schutz geistigen Eigentums, würden bevorzugt umgesetzt werden, schreibt Song in einer Einschätzung.


Ein robustes Wachstum im Dienstleistungsbereich und beim Binnenkonsum diente nach wie vor als Wachstumsmotor, würde Erschütterungen von außen abfedern und ein geringeres Wachstum der Herstellungsindustrie und eine Abkühlung des Immobilienmarktes ausgleichen können.


"Der Dienstleistungssektor ist nicht nur hinsichtlich der Wachstumsrate, sondern auch für den Arbeitsmarkt von vitaler Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Binnennachfrage relativ stabil bleibt, was ebenfalls ein nicht zu unterschätzender positiver Faktor ist," sagt Qu Tianshi von Bloomberg.


"Wir schlagen vor, dass China sich auf die langfristigeren Reformziele konzentriert, darunter die Verbesserung der Produktivität und der zielgerichtetere Einsatz von Investitionen. Kurzfristig sollte die Regierung bestrebt sein, das Wachstum zu stabilisieren, wobei eine proaktivere Fiskalpolitik und eine leichte geldpolitische Lockerung unter Vermeidung von Risiken wünschenswert wäre." Internationale Investoren fürchteten eine Verlangsamung des chinesischen Wirtschaftswachstums offenbar nicht, da eine Hebung der Qualität der Wirtschaft vielversprechende Persketiven böte.


"Wir begrüßen eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums," sagt Bin Shi, Chef des China-Engagements bei der Vermögensverwaltung der schweizerischen Großbank UBS. "Chinas Wirtschaft verlangsamt sich, weil sie zu einem nachhaltigeren Wachstum übergeht, das geprägt ist von der Binnennachfrage und dem Wachstum des tertiären Sektors. Es besteht also kein Grund zur Beunruhigung."


Shi sagt, dass sich Investoren auf die langfristigen Wachstumsfaktoren konzentrieren sollten, worunter nach seiner Auffassung auch ein wachsender Bedarf im Bereich Altenpflege, bei medizinischen Produkten und Versicherungsprodukten für Senioren zu zählen ist. Ebenfalls von hoher Bedeutung sei der Prozess der Automation und des Einsatzes von Robotern in der Industrie, welche Zeugnis ablegten von den Veränderungen im Herstellungs- und Dienstleistungsbereich.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: Wirtschaftswachstum,Konjunktur,Arbeitsmarkt