Deutscher Forscher über Coronavirus
Rolf Hilgenfeld: „Hemmstoffe noch im Test, aber Kooperation steht bevor“ Exklusiv
Sie sind jetzt bereits in China. Die Situation hat sich im Vergleich zu einigen Tagen zuvor noch weiter verschlimmert. Würden Sie Ihre Einschätzung über die Lage nach Ihren eigenen Beobachtung vor Ort nun ändern? Wann denken Sie, könnte die Epidemie eingedämmt werden?
Die explosionsartige Verbreitung des neuen Coronavirus war natürlich nicht vorhersehbar. Aber glücklicherweise scheint seine Pathogenität geringer als die von SARS- oder MERS-Coronavirus zu sein. Ich erwarte und hoffe, dass sich die Epidemie ähnlich wie im Fall von SARS in einigen Wochen bis Monaten "totgelaufen" haben wird, weil dann viele Menschen Antikörper gegen das Virus entwickelt haben werden und immun gegen die Ansteckung sind. Außerdem werden die Maßnahmen der chinesischen Behörden sicherlich helfen, die Epidemie einzudämmen, so wie das auch bei SARS im Jahr 2003 der Fall war. Des Weiteren arbeiten viele Forscher in China intensiv an dem neuen Virus und an der Entdeckung von Therapeutika, so dass ich insgesamt zuversichtlich bin, dass diese Epidemie bald unter Kontrolle sein wird.
In Deutschland sind schon drei Verdachtsfälle bestätigt worden. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es auch in Deutschland oder anderen Ländern zu einer Epidemie kommt?
Wir können das nicht ausschließen.
Sie sind Ehrenmitglied der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. An Ihrem Institut sind auch chinesische Forscher beschäftigt. Welche Kooperationen haben Sie bislang mit den chinesischen Instituten durchgeführt und welche Erfolge konnten erzielt werden?
Ich kooperiere seit 2010 mit dem Shanghai Institute of Materia Medica. Einige der gemeinsam entwickelten Hemmstoffe wurden bereits von dort an das Wuhan Institute of Virology zum Testen gegen das neue Coronavirus in Zellkultur geschickt. Demnächst wird auch eine gemeinsame Publikation erscheinen, in der wir das Design dieser chemischen Verbindungen und ihre Wirkung gegen SARS- und MERS-Coronavirus sowie gegen Enteroviren beschreiben. Seit dem SARS-Ausbruch haben wir ein gut funktionierendes Netz von Kooperationspartnern in ganz China. Meine Forschung zu strukturellen Aspekten von Coronaviren in meinem Labor in Lübeck wird ganz wesentlich von meinen chinesischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen getragen.
Sie haben eben erwähnt, dass die von Ihnen entwickelten Hemmstoffe sowohl gegen den Coronavirus als auch gegen Enteroviren, die für die Hand-Fuß-Mund-Krankheit verantwortlich sind, wirksam sein sollen. Haben die von Ihnen mitgebrachten Hemmstoffe die gleiche Funktion? Wann könnten solche Medikamente auf dem chinesischen Markt erhältlich sein?
Die beiden von mir mitgebrachten Wirkstoffe sind auf ihre Wirkung gegen SARS- und MERS-Coronavirus optimiert. Wenn man Substanzen mit guter Aktivität auch gegen Enteroviren haben möchte, muss man gewisse Einschränkungen in der Aktivität gegen Coronaviren in Kauf nehmen. In der jetzigen Ausbruchssituation habe ich Substanzen ausgewählt, die vor allem gegen Coronaviren aktiv sind, und auf optimierte Anti-Enterovirus-Aktivität verzichtet. Die Breitband-Verbindungen, die wir sowohl gegen Corona- als auch gegen Enteroviren haben, sollten aber auch gegen das neue Coronavirus aktiv sein. Im Rahmen der hoffentlich zustande kommenden Kooperation hoffe ich, dass alle unsere einschlägigen Substanzen in virus-infizierter Zellkultur getestet werden können.
Eine persönliche Frage noch: Aus welchem Grund wollten Sie ursprünglich zum chinesischen Frühlingsfest nach China reisen?
Ich habe ein ganzes Netzwerk von ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in China, mit denen ich immer noch kooperiere, und bin deswegen mindestens dreimal im Jahr hier.
Herr Professor, ich danke Ihnen für das Gespräch.