40. Jahrestag für die Sonderwirtschaftszone

Shenzhen – ein hart erarbeiteter Erfolg Exklusiv

08.09.2020

von Gunter Schöch


Die Stadt Shenzhen (Foto von VCG)


Shenzhen ist eine Stadt, von der nur wenige Deutsche gehört haben, und die noch weniger richtig aussprechen können, und aus der doch praktisch jeder Produkte bei sich zu Hause hat.


Shenzhen ist Chinas Silicon Valley. In Deutschland mittlerweile bekannte Namen wie z.B. Huawei und ZTE aus dem Mobilfunk, Tencent, der Betreiber des beliebten Message-Diensts WeChat, oder Drohnen Weltmarktführer DJI stammen aus der Metropole in Südchina. Dazu kommt Foxconn aus Taiwan mit einem Werk in Shenzhen, wo 200.000 Menschen arbeiten. (Zum Vergleich: Der gesamte Daimler Konzern kommt auf knapp 300.000, und zwar weltweit.) Dort werden die iPhones gebaut, aber auch für Sony, Nintendo, Dell oder HP gefertigt.  


Manche Experten gehen davon aus, dass bis zu 90 Prozent der weltweit verkauften Smartphones, Laptops oder Flachbildschirme zumindest teilweise aus Shenzhen stammen. Wir alle verwenden also täglich Produkte „Made in Shenzhen“.


Verschifft wird im Containerhafen von Shenzhen, Nr. 3 weltweit, mit dem dreifachen Volumen des Hamburger Hafens.


Shenzhen ist ein Sinnbild für das moderne China.


Im Süden der Provinz Guangdong am Perlflussdelta gelegen war Shenzhen um 1950 ein Fischerdorf mit ca. 30.000 Einwohnern, zur Einführung der Sonderwirtschaftszone (SEZ) waren es auch nur ca. 300.000. Bis 2000 waren es schon ca. sieben Millionen Menschen, und damit laut UN die am schnellsten wachsende Stadt der Menschheitsgeschichte. Heute sind es 13,4 Millionen, im Ballungsraum Perlflussdelta mehr als 63 Millionen.


1980 bestimmte Deng Xiaoping Shenzhen als eine der ersten SEZ. Der Reformer war Pragmatiker. Er wird oft zitiert mit „Es ist egal ob eine Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache ist, die fängt Mäuse“. In Bezug auf die Wirtschaft sagte er z.B.: „Armut ist nicht sozialistisch, sondern der gemeinsame Wohlstand“ und „Es gibt keinen fundamentalen Widerspruch zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft“. Ob ein anderes Wirtschaftssystem erfolgreich und kompatibel wäre, konnte im für Deutsche riesigen, aber für China doch begrenzten Maßstab in der SEZ ausprobiert werden.

Der Erfolg gab ihm Recht. Weitere SEZ entstanden, Shenzhen wurde erweitert. „Werkbank der Welt“ wurde als erstes für das Perlflussdelta gebraucht.


Shenzhen grenzt an Hongkong und hat heute ein höheres absolutes BIP, und das höchste BIP pro Kopf in China mit Ausnahmen von Hongkong und Macao. Während es zunächst von der Nähe und dem Kapital aus Hongkong profitierte, hat Shenzhen heute selbst die zweitwichtigste Börse Chinas.


Auch sonst ist die Stadt ein Blick in die Zukunft. Die Skyline mit 130 Gebäuden zwischen 200 und 600 Metern stellt New York oder Chicago in den Schatten. Die Busflotte ist 100 Prozent elektrisch, gebaut vom lokalen Automobilhersteller BYD.


Aber wie konnte dieses Wirtschaftswunder entstehen? 


Sicher, die SEZ erhielten weitgehende Freizügigkeiten für Investitionen und Handel, auch mit dem Ausland. Steuererleichterungen und andere Anreize zogen Kapital und Technologie an. Aber das gibt es auch anderswo.


Besonders ist an China die große Mobilität und der Wille, durch harte Arbeit über lange Zeit eine bessere Existenz aufzubauen. Gemeint sind vor allem die Wanderarbeiter. Laut offiziellen Statistiken waren es 2018 allein in Shenzhen rund 8,5 Millionen, und stellten damit über 65 Prozent der lokalen Beschäftigten. 


Zunächst kamen Millionen von meist männlichen Arbeitern aus ländlichen Gebieten, um in der boomenden Bauindustrie zu arbeiten. Mit der Fertigungsindustrie, insbesondere der Elektronik, kamen Millionen von überwiegend weiblichen Arbeitern, ebenfalls vom Land, hinzu.


2018 arbeiteten mehr als ein Drittel der Erwerbstätigen in Shenzhen in der Fertigungsindustrie. Aus heutiger deutscher Sicht mögen die Bedingungen hart sein: Oft getrennt von der Familie, außer zum chinesischen Neujahrsfest, mit oft monotoner und manchmal auch gefährlicher Arbeit. Viele landen in der Nacht in Schlafsälen der Firma, wo sie mit anderen Kollegen ein Zimmer teilen, ähnlich wie in einer Bundeswehr-Kaserne.


Aber man darf nicht vergessen: Das ländliche Leben ist nur aus der Ferne betrachtet romantisch. Unsere Vorfahren kamen in der Industriellen Revolution aus ganz ähnlichen Gründen auch von alleine in die Städte. Gemessen daran, sind die Verbesserungen in China auch wieder sehr schnell geschehen:


Der Mindestlohn in Shenzhen stieg zwischen 2008 und 2020 um mehr als das Zweifache. Das durchschnittliche Gehalt in Shenzhen stieg von 1980 bis 2018 um mehr als das 113-fache. Durchschnittlich wächst das Einkommen der Wanderarbeiter in Shenzhen über drei Prozent mehr als landesweit.


Fast alle sparen für die Ausbildung der nächsten Generation, für die Chinesen anteilig viel mehr ausgeben. Die Arbeiter der Bauindustrie gehen oft irgendwann nach Hause zurück, für die Arbeiter in der Elektronikfertigung ist öfter der Fall. Einerseits folgt die Automatisierung auf die steigenden Löhne. Andererseits entstehen auch neue Aufgaben, anders als bei der Infrastruktur, bei der der jährliche Bedarf abnimmt.


Unter so vielen Angestellten gibt es auch eine große Zahl sehr fähiger Menschen. Fleißig und leidensfähig sind sie alle. Ständig die Möglichkeiten fast grenzenlosen Erfolgs vor Augen träumen sehr viele von einer eigenen Firma, und manch einer von ihnen setzt das um.


Kein Wunder gibt es heute in Shenzhen die lebendigste Startup-Szene in China, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.


Das alles erinnert mich als Deutschen an die Gründerzeit 1871 herum in diesem Land. Mit Firmen wie Daimler, Siemens, BASF, Bayer, Conti, Henkel, Linde, RWE und anderen ist fast der halbe DAX in dieser Zeit gegründet worden, daneben Bosch und unzählige Mittelständler.


Man muss anerkennen, dass viele Firmen aus Shenzhen mittlerweile auch technologisch führend sind. Die Debatte um 5G wäre nicht so schwierig, wäre Huawei die zweite Wahl. Der Blick vor Ort zeigt: Der Erfolg ist hart erarbeitet. 


Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: Shenzhen,Perlflussdelta,Sonderwirtschaftszone,