In vier Jahrzehnten auf Weltniveau – 40 Jahre Wintersport in China
Von Wang Jing*
Mitte Oktober 1978 waren die damals 14-jährige Eisschnellläuferin Ye Qiaobo und ihr Team noch auf einer Trainingsreise durch Orte wie Heihe, Nenjiang, Hailar und Qiqihar unterwegs. Rund 14 Jahre später sollte die Athletin olympisches Edelmetall in den Händen halten. Den Grundstein für diesen Erfolg legte eine folgenreiche Entscheidung: Im Dezember 1978 gab die dritte Plenartagung des XI. Zentralkomitees der KP Chinas den Startschuss zur Reform und Öffnung des Landes. Es war ein Meilenstein, der auch neue Entwicklungsmöglichkeiten für den Eis- und Schneesport in China schaffen sollte.
Debüt bei den Olympischen Winterspielen
1979 wurde der rechtliche Status des Chinesischen Olympischen Komitees innerhalb des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wiederhergestellt. Im Februar 1980 reiste die chinesische Wintersportdelegation erstmals ins Ausland, um an den 13. Olympischen Winterspielen im US-amerikanischen Lake Placid teilzunehmen.
In den 1980er Jahren waren Eislaufen und Skifahren eindeutig Nischensportarten in China. Beim olympischen Wintersportdebüt der Volksrepublik konnten die heimischen Athleten erwartungsgemäß dann auch noch keine Lorbeeren einheimsen. Mangelnde Erfahrung und schlechte Ausrüstung führten letztlich zu bescheidenen Ergebnissen. Doch die Spiele in Lake Placid hatten dennoch historischen Charakter. In ihrem Rahmen betraten Chinas Wintersportler erstmals öffentlichkeitswirksam die internationale Wintersportbühne.
Vier Jahre später stand im Februar 1984 die 14. Winterolympiade an, diesmal im jugoslawischen Sarajevo. Es waren Spiele beispiellosen Ausmaßes, denen über 1400 Athleten aus 49 Ländern und Regionen beiwohnten. Chinas Sportler konnten sich zwar im Vergleich zu 1980 schon merklich steigern, hinkten der Weltelite aber immer noch hinterher. Bei den 15. Olympischen Winterspielen 1988 in Calgary, Kanada, kamen neue Disziplinen hinzu. Zudem wurde die Dauer der Wettbewerbe auf 16 Tage ausgedehnt. China verpasste damals die erhoffte Qualifikation im Eishockey. Auch im Alpinen Skilauf, dem Skispringen und dem modernen Biathlon blieben die Ergebnisse bei Olympia mager, gleiches galt für das Gesamtergebnis. Das lag unter anderem auch daran, dass China noch keine Athleten im Rennrodeln und Bobfahren an den Start schicken konnte. Die Volksrepublik reiste damals mit einer Delegation von gerade einmal 20 Personen nach Kanada, um in drei Wettkampfdisziplinen anzutreten. Obwohl sich Li Yan im Shorttrack der Frauen über 1000 Meter den Sieg sicherte sowie über die 500 und die 1500 Meter den dritten Rang belegte, konnte die chinesische Delegation im offiziellen Wettbewerb keine Medaillen gewinnen.
Nach zwölf Jahren harter Arbeit nahmen bei den 16. Olympischen Winterspielen 1992 im französischen Albertville schon 34 chinesische Athleten an 34 Wettkämpfen teil, darunter Skifahren, Eislaufen und Biathlon. Es sollte die große Stunde von Ye Qiaobo werden. Sie gewann mit einer Zeit von 40,51 Sekunden Silber im 500-Meter-Eisschnelllauf der Frauen und sicherte sich damit Chinas erste Medaille überhaupt in der Geschichte der Olympischen Winterspiele. Im Rückblick auf die Szenen vor 30 Jahren sagt die Sportlerin etwas wehmütig: „Es war Chinas erste Medaille bei Winterspielen überhaupt und ich hätte sie natürlich gerne vergoldet. Doch eine Kollision beim Spurwechsel kostete mich leider den Titel. Ich war damals hin- und hergerissen zwischen Freude und Enttäuschung!“ Hinzu kam für die Sportlerin später auch noch Verletzungspech, sodass es letztlich auch über die 1000 Meter nur zu Silber reichte. Die Bilder der Zweitplatzierten Ye, die im Rollstuhl zum Siegertreppchen fuhr – ihre Schlittschuhe über die Schulter gehängt, sollten in die Geschichte eingehen. Bei den Spielen in Albertville konnte sich zudem Shorttrackstar Li Yan eine Silbermedaille für die chinesische Mannschaft sichern, nämlich im 500-Meter-Lauf der Frauen. Chen Lu glänzte derweil mit dem sechstbesten Olympia-Ergebnis für China im Eiskunstlauf.
Nach den Spielen in Albertville startete das IOC einen neuen Ausrichtungsturnus, um die Winter- zeitlich von den Sommerspielen abzusetzen. Bereits zwei Jahre später fanden deshalb die 17. Olympischen Winterspiele statt, im norwegischen Lillehammer. Im zarten Alter von 17 Jahren glänzte dabei Chen Lu, die gerade erst durch das gute Abschneiden bei den Spielen in Frankreich ihren internationalen Durchbruch gefeiert hatte, mit einer fünfteiligen Kombination höchster Schwierigkeit, darunter sieben Sprünge mit dreifachem Axel. Damit sicherte sie sich fulminant Platz 3 im Eiskunstlauf-Einzel der Damen. Es war die erste olympische Medaille für China im Eiskunstlauf überhaupt. Chens Bronzemedaille war letztlich das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit von Generationen chinesischer Eiskunstläufer. Platz 3 in Lillehammer markierte zudem eindrucksvoll, dass der chinesische Eiskunstlauf den Anschluss an die Weltspitze gefunden hatte.
In Lillehammer glänzte außerdem erneut Ye Qiaobo im 1000-Meter-Eisschnelllauf, wo sie sich in 80,22 Sekunden die Bronzemedaille sicherte. Derweil hatte Shorttrack-Eisschnellläuferin Zhang Yanmei den Titel über die 500 Meter der Frauen schon vor Augen, als sie in einer umstrittenen Entscheidung mit einer Zeitstrafe belegt wurde. Letztlich reichte es mit 46,44 Sekunden nur für Platz 2. Darüber hinaus gelang insgesamt acht chinesischen Athleten in 5 Disziplinen der Sprung unter die Top 8. Zwar blieb die Zahl der Silbermedaillen hinter den vorherigen Spielen zurück, insgesamt aber erreichte China sportlich einen umfassenden Durchbruch.
Mit mittlerweile reichlich Olympiaerfahrung und der bisher größten Delegation startete das chinesische Team dann 1998 in die Wettbewerbe der 18. Winterspiele im japanischen Nagano. Insgesamt 60 Athleten gingen in 40 Wettbewerben an den Start, darunter Shorttrack, Eisschnelllauf, Dameneishockey, Eiskunstlauf, Freestyle-Skifahren, Biathlon und Langlauf. Mit sechs Silber- und zwei Bronzemedaillen landete die Volksrepublik am Schluss auf Platz 16 des Medaillenspiegels, ein neuer Rekord für China in Sachen olympisches Winteredelmetall. Besonders glänzte unter anderem die junge Xu Nannan. Sie wurde mit 186,97 Punkten Zweite im Freestyle-Ski-Aerial-Skills der Frauen und erzielte damit den Durchbruch für die chinesische Delegation bei den olympischen Schneewettbewerben. Zudem sicherte sich Chen Lu im Einzeleiskunstlauf der Damen mit anspruchsvoller Technik und einer hervorragenden Leistung in einem hartumkämpften Finale gegenüber der favorisierten Konkurrentin aus Russland die Bronzemedaille.
Shorttrack wurde zur wichtigsten Disziplin des chinesischen Teams bei den Spielen in Nagano. China konnte sich letztlich Edelmetall in jedem der sechs Männer- und Frauenwettbewerbe sichern. In der 3000-Meter-Staffel der Frauen behauptete sich Yang Yang gemeinsam mit ihren Teamkolleginnen erfolgreich gegen die starke Konkurrenz und gewannen die Silbermedaille. Anschließend heimste Yang Yang zwei weitere Silbermedaillen ein, jeweils über die 500 Meter und die 1000 Meter der Frauen, und wurde damit zur erfolgreichsten chinesischen Athletin der Spiele. Für die Männer erkämpfte Li Jiajun über 1000 Meter ebenfalls eine Silbermedaille. Er war der erste Chinese in der Geschichte der Winterolympiade, der eine Medaille im Eisschnelllauf der Männer nach Hause bringen konnte. Auch der 17-jährige An Yulong ging mit Silber nach Hause, und zwar über die 500 Meter der Männer. Er und seine Teamkollegen forderten zum Abschluss außerdem unerschrocken die hoch favorisierten Teams aus Kanada und Italien in der 5000-Meter-Staffel heraus und gewannen letztlich Bronze. Die Spiele in Nagano sollten für China in Sachen Edelmetall die erfolgreichsten seit der Olympiapremiere 1980 in den USA werden. Einziger Wehrmutstropfen war, dass das chinesische Team trotz sichtbarer Fortschritte noch immer auf seine erste Goldmedaille warten musste.
Triumph in Vancouver: China gewinnt 2010 im Vancouver Pacific Stadium das Finale der 3000-Meter-Shorttrack-Staffel der Frauen.
24 Jahre harter Anstrengungen tragen endlich Früchte
24 Jahre nach Einführung der Reform- und Öffnungspolitik und der damit verbundenen Öffnung des Wintersports war es dann endlich soweit: 2002 in Salt Lake City gewann Yang Yang die erste Goldmedaille für die chinesische Mannschaft, und zwar im 500-Meter-Shorttrack der Frauen mit einer Zeit von 44,187 Sekunden. Sie verwirklichte damit den Traum mehrerer Generationen chinesischer Wintersportler.
Vier Jahre später, bei den Winterspielen 2006 in Turin, übertraf die Zahl der chinesischen Athleten im Schneewettbewerb erstmals die der Eiswettbewerbe. Für das meiste Aufsehen sorgte dabei die Freestyle-Skiing-Mannschaft. Han Xiaopeng, der in den vorangegangenen Spielen nur den 24. Platz belegt hatte, zeigte eine außergewöhnliche Leistung und holte unerwartet Gold. Es war das erste Mal, dass ein asiatischer Freestyle-Skifahrer bei einer Winterolympiade ganz oben auf dem Treppchen stand und auch ein entscheidender Durchbruch für Chinas Schneesport.
Chinas Frauen-Freestyle-Skiing-Mannschaft glänzte ebenfalls mit einem neuen Star. Li Nina war heiße Anwärterin auf eine Goldmedaille, zusammen mit Guo Xinxin, Xu Nannan und Wang Jiao, die ebenfalls sehr gute Leistungen bei der Weltmeisterschaft gezeigt hatten. Am Ende reichte es für Silber. Doch Li Nina und all ihren Teamkolleginnen gelang der Sprung ins Finale der Top 12, womit das Team eine durchweg starke Leistung zeigte.
Obwohl auch Chinas Eiskunstlaufpaaren die erhoffte Goldmedaille in Turin verwehrt blieb, schafften es alle drei Paare unter die letzten vier. Die 21-jährige Zhang Dan und ihr Partner Zhang Hao sicherten sich trotz Verletzungspech die Silbermedaille. Shen Xue und Zhao Hongbo überzeugten die Kampfrichter mit ihrer Entschlossenheit und ihrem künstlerischen Ausdruck und landeten letztlich mit Bronze auf dem Treppchen. Pang Qing und Tong Jian wurden mit persönlicher Bestnote Vierte.
Der größte Medaillengarant des chinesischen Teams war aber auch in Turin wieder das Shorttrack-Eisschnelllaufteam. Die Mannschaft heimste eine Gold-, eine Silber- und drei Bronzemedaillen ein. Im 500-Meter-Rennen der Frauen, Chinas Paradedisziplin, gewannen die überragende Wang Meng und ihre Teamkolleginnen die Goldmedaille vor der starken Bulgarin Evgenia Radanova. Wang sicherte sich zudem die Silbermedaille im 1000-Meter-Lauf der Frauen sowie Bronze über 1500-Meter und wurde damit die einzige chinesische Athletin, die drei Medaillen abstauben konnte. Der 31-Jährige Li Jiajun gewann eine Bronzemedaille für China im 1500-Meter-Finale der Männer.
Von den Spielen 2010 in Vancouver kehrte die chinesische Delegation mit einer Medaillenausbeute – fünf Gold-, zwei Silber- und vier Bronzemedaillen – nach Hause. Yang Yang und Wang Meng wirbelten wie ein Sturm durch die Wettbewerbe und heimsten alle vier Einzelgoldmedaillen im Shorttrack-Eisschnelllauf der Frauen ein. Wang Meng verteidigte nicht nur erfolgreich ihren 500-Meter-Titel aus Turin, sondern landete auch über die 1000 Meter ganz oben auf dem Siegerpodest. Zusammen mit Zhou Yang, Sun Linlin und Zhang Hui triumphierte sie zudem bei der Frauenstaffel in vier Minuten und sechs Sekunden und stellte damit einen neuen Weltrekord auf.
Auch Chinas Eiskunstlaufteam schrieb in Vancouver Geschichte. Dabei kehrten die Eheleute Zhao Hongbo und Shen Xue als pensioniertes Eiskunstläuferpaar noch einmal aufs Eis zurück. Es war die vierte Olympiateilnahme des Paares. Ihre hypnotisierende Leistung brachte ihnen langanhaltende Ovationen vom Publikum ein. Mit 139,91 Punkten in der Kür stellten sie einen neuen internationalen Rekord auf, der sie zu verdienten Champions machte. Pang Qing und Tong Jian konnten sich eine Silbermedaille sichern, Zhang Dan und Zhang Hao wurden Fünfte.
Auch 2014 im russischen Sotschi ging die chinesische Erfolgsstory weiter. Zhang Hong schrieb Eisschnelllaufgeschichte, indem sie sich die Goldmedaille im 1000-Meter-Lauf sicherte. Shorttrack-Eisschnellläufer Wu Dajing holte 2018 im südkoreanischen Pyeongchang die einzige Goldmedaille für China, trotz unfairer Strafen gegen chinesische Athleten.
Erfolgspaare: Shen Xue und Zhao Hongbo sowie Pang Qing und Tong Jian hissen Chinas Nationalflagge, um die Gold- und Silbermedaillen zu feiern, die sie bei den 21. Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver gewonnen haben.
Große Erwartungen an Beijing 2022
Parallel zum Wirtschaftswunder, das China seit 1978 vollbracht hat, ist also auch der Wintersport des Landes zunehmend konkurrenzfähig geworden. 2015 gewann China den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2022 in Beijing und eröffnete damit eine historische Gelegenheit für weitere Fortschritte.
Mittlerweile verfügt China über rund 700 Skigebiete, 250 Eishallen und 15,7 Millionen Skifahrer. Zhao Yinggang, ehemaliger Direktor des Winter Sports Administration Center der General Administration of Sport of China (GASC), sagt: „Da China dem Schnee- und Eissport nun mehr Aufmerksamkeit schenkt, fließen auch mehr Gelder in diesen Bereich. Infolgedessen treten unsere Athleten häufiger im Ausland an, was ihre Fähigkeiten stärkt. Und das bringt ihnen wiederum weltweite Anerkennung und Akzeptanz ein.“
Nach fast 100 Jahren Wartezeit sind die Olympischen Winterspiele 2022 also endlich in China angekommen. Das weckt nicht nur große Erwartungen in der chinesischen Bevölkerung, sondern beweist auch, dass sich China allmählich zur Eis- und Schneesportnation mausert. Das wird zum Beispiel bei einem Blick in den Kreis Zhangbei in der nordchinesischen Provinz Hebei deutlich. Einst war die Gegend ein trostloses Gebiet, heute erlebt sie einen Boom im Skipistenbau, beflügelt von den bevorstehenden Winterspielen. Heute gilt der Kreis als Weltklasse-Eis- und Schneesportort Asiens.
2015, als Beijing den Olympiazuschlag erhielt, fehlte es in China vielen Disziplinen noch an Talenten. Nach dreijähriger Vorbereitung nahm die chinesische Delegation bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang an 55 Wettbewerben teil, ein Rekord in Chinas Wintersporthistorie.
Um Xi Jinpings Losung für die Winterspiele 2022 umzusetzen, nämlich an so vielen Veranstaltungen wie möglich teilzunehmen, hat die GASC im Vorfeld der Spiele einen detaillierten Plan ausgearbeitet, um die Teilnahme chinesischer Sportler an jeder der 109 Wettbewerbe zu fördern und im ganzen Land Talente aufzuspüren. Mit großen Anstrengungen wurden 31 nationale Trainingsteams für alle 109 Wettbewerbe gebildet.
Um sich optimal auf die Spiele vorzubereiten, erarbeitete die GASC zudem einen strategischen Plan. Durch interne Vorausscheidungen wurden aus 4000 Delegationskandidaten die 1153 Besten ausgewählt und so ein wettbewerbsfähiges Team geformt. Die nationalen Trainingsteams konnten in den vergangenen Saisons mehr Medaillen bei internationalen Wettbewerben einfahren als je zuvor.
Mittlerweile zieht es immer mehr Chinesen auf die Eisbahnen und Skipisten des Landes. Chinas selbstgestecktes Ziel ist es, 300 Millionen Menschen aktiv für den Eis- und Schneesport zu begeistern. Gleichzeitig haben Chinas Athleten ihr Training auch in Zeiten der Pandemie kontinuierlich fortgesetzt. Im Februar wollen sie nun in Beijing bei spannenden Wettbewerben der Weltelite die Stirn bieten und zum Stolz der Nation werden. Die Chancen dafür stehen gut.
Die Chinesin Ye Qiaobo (links) gewinnt 1992 Silbermedaille im 500-Meter-Finale der Frauen im französischen Albertville.
*Wang Jing ist Reporter von „China Sports Daily“.