Ein Tamarisken-Forscher

Auf den öden, versalzten und Sandböden im Nordwesten Chinas ist eine Art Pflanze weit verbreitet, die etwas Grün in die Wüste bringt und die Oasen schützt: Die Rede ist von einer Pflanze mit dem lateinischen Namen Tamarix, die auch als Gardesoldat der Wüste bezeichnet wird. Im Deutschen wird diese Pflanze oft auch als Tamariske bezeichnet. Es handelt sich um einen Strauch, der einen bis drei Meter hoch wird, und der auch in den Trockengebieten Südspaniens und Nordafrikas verbreitet ist.

Vor gut 45 Jahren ging der Biologie-Student Liu Mingting zu einem Praktikums - Einsatz ins Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang. In den unendlichen Weiten sah er zum ersten Mal die gegen Sandstürme resistente und auch auf Salz- oder Kalkböden gedeihenden Tamarisken - und war tief beeindruckt. Er fasste den Entschluss, ebenso wie diese Pflanze allen Widrigkeiten zu trotzen und nach seinem Hochschulabschluss in Xinjiang zu arbeiten, dem riesigen Gebiet im Westen Chinas, das zwar reich an Bodenschätzen, wirtschaftlich aber kaum erschlossen war.

Ein Jahr später ging der Wunsch von Liu Mingting in Erfüllung, eine Expedition der Naturressourcen führte ihn nach Xinjiang. So begann sein Forscherleben in der Wüste. Dazu sagt er:

"Die Mitglieder der Expedition musste in der Wüste unter schwierigen Lebensbedingungen arbeiten. Deshalb meldeten sich dafür auch nur wenige Leute. Ich dachte mir aber, da ich sowieso hier in Xinjiang war, warum sollte ich von hier wieder weggehen und in der Stadt ein gemütliches Leben führen. Also habe ich mich kurzentschlossen der Expedition angeschlossen und bin seitdem zeitlebens mit der Wüste verbunden."

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Wüste waren hart. Im Sommer ist es extrem heiß, im Winter eiskalt. Noch schlimmer war die unerträgliche Einsamkeit. Öfters sah man – bis auf die anderen Expeditionsmitglieder - monatelang niemanden. Aber gerade in dieser Zeit entdeckte Liu Mingting in langfristigen Beobachtungen, dass Tamarisken in der öden Landschaft weit verbreitet waren und den häufigen Sandstürmen widerstanden. Er wusste auch, dass es im Lande Niemanden gab, der sich speziell mit dieser Pflanzenart befasste. So machte er sich daran, die Tamarisken zu erforschen.

Zeit und Mühe trugen schließlich Früchte: Nach Duzenden Jahren hatten Liu Mingting und seine Kollegen das Geheimnis der wundersamen Pflanzen gelüftet. Nach ihren Forschungsergebnissen gibt es im Lande 20 Tamarixarten, von denen 5 international bislang unbekannt waren. 3 hat Liu Mingting selbst entdeckt, die anderen Beiden fand er gemeinsam mit Kollegen. Die erste neu entdeckte Tamarix-Art wurde ihm zu Ehren "Liu – Tamariske" genannt.

Die Haut des heute 69-jährigen und schlanken Liu Mingting ist von Wind und Wetter gegerbt und dunkel gebrannt. Dies, und auch seine vom Alltag in der Wüste gezeichnete Kleidung lässt ihn wie einen gewöhnlichen Bauern in Xinjiang aussehen. Über seine Tamarix-Forschung spricht er voller Stolz:

"Tamarix werden 100 Jahre alt und gehören damit zu den langlebigsten Pflanzen in der Wüste in Xinjiang. Die Funktion der Tamarisken liegt hauptsächlich darin, den Flugsand aufzufangen und Sandstürme zu bremsen. Der Wind wird in einem Tamarix-Wald deutlich gebremst, der mitgetragene Sand bleibt in den Pflanzen hängen. Und im Herbst fallen dann Blätter auf die Sandschicht. Bei Regenfall wird der Sandstaub befestigt, und über die Jahre backen so die einzelnen Sandschichten zusammen und werden allmählich fixiert."

Liu Mingting fügte hinzu, bei seinen Forschungen habe er entdeckt, dass Tamarisken auch Salz und Kalk auf Nutzflächen absorbieren, sodass die Pflanzen wirksam zum Abbau der Boden-Versalzung eingesetzt werden könnten – damit werde auch die landwirtschaftliche Nutzung von Böden möglich, die bisher eigentlich als unfruchtbar galten. Deshalb hilft der Anbau von Tamarix auch ganz direkt der Landwirtschaft.

Nachdem sich Prof. Liu zunächst mit dem bekannten Wissen über die Gattung Tamarisken vertraut gemacht hatte, orientierte er seine Arbeit Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts auf die Züchtung von Tamarix - Edelsetzlingen und den gezielten Anbau der Wüstenpflanze. So gelang es ihm, die Chancen auf ein tatsächliches Anwachsen von Tamarix-Edelsetzlingen um das 10-fache zu erhöhen, was einen weltweiten Spitzenwert bedeutete.

Zugleich leitete er auf Bitte der Regierung in Xinjiang den Anbau von Tamarix - Sträuchern auf 100.000 Hektar versalzten und Sandböden. Dies trug zur Verbesserung der Umwelt und zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region bei.

So hat der Kreis Kashgar, auch als Kashi bekannt, vom Tamarix - Anbau auf großen Flächen profitiert. Vor dem gezielten Tamarix-Anbau gab es in diesem Kreis vor allem unfruchtbares Gebiet, das landwirtschaftlich nicht genutzt werden konnte. Inzwischen hat es sich in fruchtbares Land verwandelt, wo Mais und Baumwolle angebaut werden können und sich die Landwirtschaft schnell entwickelt.

In den letzten 10 Jahren hat sich Kashi, einst einer der bekanntesten armen Kreise in Xinjiang, zu einem der 10 führenden und relativ reichen Kreisen des autonomen Gebietes entwickelt. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich im Durchschnitt vervierfacht.

Für seine Erfolge bei der Tamarix-Forschung und -Verbreitung wurde Liu Mingting mehrmals vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen und der chinesischen Regierung ausgezeichnet. Inzwischen hat sich der Tamarix-Anbau auf dem weitausgedehnten Ödland in Xinjiang verbreitet.

Inzwischen mag Liu sowohl im Dienst, als auch in der Freizeit die Tamarisken nicht mehr missen, wie er selbst sagt:

"Am Sonntag besuche ich oft Basare und zeige den Einwohnern dort Fotos und tausche Erfahrungen über den Tamarix-Anbau und den Nutzen dieser Sträucher aus. In den vergangenen Jahren habe ich siebenmal Rundreisen durch alle Landesteile Xinjiangs gemacht. In jedem Kreis stellte ich einige Tage meine Tamarix-Fotos zur Schau, und inzwischen haben schon Hunderttausende meine Fotoausstellungen gesehen. Die Leute müssen erst mal sehen, was die Tamarisken alles bewirken können – und dann wird es auch leicht, den Anbau von Tamarisken zu verbreiten."

Dabei stört Liu Mingtings Hinwendung zu den Tamarisken keinesfalls die Liebe zu seiner Frau Chu Huifang. Tamarisken sind inzwischen nämlich eine gemeinsame Leidenschaft geworden, wie die Ehefrau Chu Huifang bestätigt:

"Ich bin immer wieder selbst erstaunt, wie sehr auch ich die Wüste Gobi mag und die Tamarisken liebe. Tamarix - Sträucher sind wirklich schön, weil sie anspruchslos sind und gleichzeitig unheimlich viel leisten."

Liu Mingting befindet sich nun im Ruhestand und lebt mit seiner Familie nicht mehr in Ürümqi, der Hauptstadt des Autonomen Gebietes Xinjiang, sondern im armen Wüstenkreis Yutian. Nicht nur seine Frau ist mitgekommen nach Yutian, auch sein Sohn, die Schwiegertochter und der Enkel kamen mit. Sein Sohn hat dafür einen Job in der ostchinesischen Metropole Shanghai aufgegeben.

Und was zog Liu Mingting nach Yutian mitten in der Wüste? Nun, er plant hier, versuchsweise eine Begleitpflanze für die Tamarisken nämlich die Dayun, eine Art offizinale Pflanze, zu züchten und später großflächig anbauen zu lassen. Der siebzigjährige Liu erklärte, durch den Dayu - Anbau könnten die in der Wüste lebenden Menschen ihr Einkommen erhöhen. Und eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in der Wüste sei schließlich sein größter Wunsch.

(China.org.cn, 24. Januar 2002)