China: Fragen und Antworten

Frage: China verfolgt seit Einführung der Reform- und Öffnungspolitik im Jahre 1978 den Kurs, einen Teil der Chinesen anzuspornen, als erste reich zu werden. Steht dieser Kurs nicht im Widerspruch zu dem sozialistischen Prinzip der Gerechtigkeit?

Antwort: Es ist allgemein bekannt, dass die VR China nach ihrer Gründung 1949 den Weg der Gleichheit für alle beschritt. Oft führte das zu primitiver Gleichmacherei. Die Folge war allgemeine Armut und eine ungenügende Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft für lange Zeit. Aus diesem Grund wurde bereits zu Beginn der Reform- und Öffnungspolitik mit dem Grundsatz der Gleichmacherei gebrochen und einigen Gebieten und Personen gestattet, früher als andere reich zu werden. So wurden die Produktionsaktivitäten der Volksmassen geweckt.

Diese Politik spiegelt den jeweils aktuellen Stand der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse des chinesischen Sozialismus auf der unteren Stufe wider. Dies steht nicht im Widerspruch zum sozialistischen Prinzip der Gerechtigkeit, denn Sozialismus bedeutet nicht Armut. Vielmehr besteht ja die Aufgabe des Sozialismus darin, die Armut zu beseitigen. Auch von einer Polarisierung innerhalb der Gesellschaft kann keine Rede sein, wenn einige Gebiete und Personen zuerst reich werden. Jeder weiß, dass China mit seiner Bevölkerung von mehr als einer Milliarde auch heute noch relativ rückständig ist. Würden wir Polarisierungen zulassen, könnte möglicherweise eine Minderheit von Chinesen in manchen Regionen noch schneller reich werden. Es würde sich wahrscheinlich eine neue Bourgeoisie bilden, die aber weniger als 1% der Gesamtbevölkerung Chinas ausmachen dürfte. Die Kehrseite wäre jedoch, dass viele Chinesen sich nicht aus der Armut befreien könnten und sogar unter das Existenzminimum fielen, wonach jeder ausreichend Kleidung, um nicht zu frieren, und genügend Nahrung, um nicht zu hungern, haben sollte. Wenn eine Politik zur Polarisierung unserer Gesellschaft führen sollte, werden wir scheitern. Darum muss bei dem Programm, nach dem ein Teil von Gebieten und Personen angespornt wird, als erste reich zu werden, vorsichtig und ausgewogen vorgegangen werden. Es ist von großer Bedeutung, wie sorgsam und angemessen die Beziehungen zwischen den zuerst reich Werdenden und den später reich Werdenden ausgestaltet werden. Die Politik zielt darauf ab, dass die durch ehrliche Arbeit und legale Wirtschaftsführung zuerst zu Reichtum Kommenden die übrigen Bürger mitreißen und anspornen, auch Reichtümer zu erwerben. Gemeinsam zu Reichtum zu kommen ist das Ziel und zugleich das Wesen des Sozialismus, wie wir ihn verstehen.

Bis heute sind in China schon einige Gebiete und einzelne Personen zu Reichtum gelangt. Während sich der Lebensstandard der Bevölkerung allgemein erhöht hat, sind allerdings auch Probleme wie die unfaire Verteilung des Gewinns und zunehmende Unterschiede zwischen arm und reich aufgetaucht. Wir meinen, dass gewisse, begrenzte Unterschiede beim Einkommen und dem Erwerb von Reichtum innerhalb der Gesellschaft auf einer niederen Stufe des Sozialismus und im Prozess des gemeinsamen Reichwerdens zwangsläufig sind und erlaubt werden müssen. Aber wenn der Unterschied zwischen arm und reich immer stärker hervortritt und diese Tendenz über lange Zeit nicht gestoppt wird, dürfte das den Enthusiasmus der meisten Chinesen dämpfen und das Vorantreiben der Reform beeinträchtigen. Darum ist unser politischer Kurs darauf gerichtet, legale Einkommen zu schützen, zu hohe Einnahmen zu regulieren, illegale Einkommen zu unterbinden, die Zahl der Menschen mit mittlerem Einkommen zu vergrößern und die Einkommen der Geringverdiener zu erhöhen. Es gilt, schnell ein soziales Sicherungssystem für alle Teile der Gesellschaft zu gründen und es nach den Erfordernissen eines wissenschaftlichen Konzeptes mit aufeinander abgestimmter Entwicklung von Stadt und Land, aller Regionen des Landes sowie von Wirtschaft und Gesellschaft einheitlich und umfassend zu planen.

Unser Ziel ist es, gemeinsam zu Reichtum zu kommen. Einige Gebiete und Personen zuerst reich werden zu lassen, ist der aktuelle Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Das hat die mehr als 20-jährige Entwicklung praktisch bewiesen. Dem Prozess der Reform und Öffnung Chinas liegt dieses Prinzip zugrunde. Es wurden zuerst die Provinzen und Städte an der östlichen Küste angespornt und unterstützt. Danach folgen als zweiter Schritt der Entwicklungsstrategie die groß angelegte Erschließung Westchinas und die Belebung der traditionellen Industriebasis im Nordosten. Die zu Reichtum gekommenen Gebiete sollen die anderen Gebiete mitreißen und deren Entwicklung fördern, um so in China eine allseitig entwickelte Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand allmählich entstehen zu lassen.

Das Dorf Nangong in einer Beijinger Vorstadt hat Landwirtschaft in Verbindung mit Hochtechnologie entwickelt und ist darum reich geworden. So sehen die neuen Bauernhäuser aus.