Chu Yibing: Man muss Musik kosten | |
(von Luo Xu) In diesem Jahr wird der 250. Geburtstag des weltberühmten österreichischen Musikers Wolfgang Amadeus Mozart gefeiert. Was für eine Position hat Mozart im chinesischen Musikbildungswesen? Wie wird der westliche Musikmeister in der chinesischen Musikbranche beurteilt? Dazu führte ein Journalist der Webseite www.china.org.cn ein Exklusivinterview mit Chu Yibing, einem Professor der Zentralen Musikhochschule Chinas und Vermittler klassischer Musik. Mozart ist eine ewige Sonne in der Geschichte der westlichen klassischen Musik "Ist Musik nur Schall? Nein. Musik hat Farben und Temperatur. Man kann die Musik auch riechen." Das ist das Verständnis von Chu Yibing, der sich seit mehr als 30 Jahren mit Musik beschäftigt. In seinen Augen besitzt Mozarts Musik die Farbe, die sich dem Leben erwartungsvoll entgegensehnt. Sie zeigt, dass sich ein junger Mann nach dem Leben sehnt. "Mozart war ein ‚zügelloser junger Mann unter dem Deckmantel eines Adligen’. Wenn man Mozart für einen ruhigen, stillen und kultivierten Jungen hält, fühlt man die Glut seiner Musik nicht. Ihre Hitze ist nicht an der Oberfläche. Seine Musik verfügt über den prächtigsten, geschmackvollsten und elegantesten Mantel, klingt aber auch wie die moderne Musik, ganz ungewöhnlich, eine Ungewöhnlichkeit ohne Begleitung. Denn die Menschen waren früher auch romantisch. Seit jeher existieren die Sehnsucht der Menschen nach den Farben des Lebens und das Streben der Menschen nach der Schönheit der Natur und der verschiedenen Welten. Das ist Romantik, die man aber mit verschiedenen Methoden präsentiert. Mozart präsentierte sie mit Akkorden, Modulation sowie der Tonart. Er war ein Lebewesen, das unerschöpfliche Energie besaß, wie die Sonne. Mozart ist eine Sonne in der Geschichte der Musik, er steht hoch über den Massen und sieht genau so schön aus. Es ist fast unvorstellbar, wie stark seine Strahlen und seine Energie sind. Er ist eine kleine Sonne, eine zu früh untergegangene Sonne, aber auch eine ewige Sonne. Seine Musik ist voller Sehnsucht nach dem Leben und voller Leidenschaft. Man kann seine Kinder- und Jugendzeit, sein Erwachsenenalter, seinen Lebensstil, seine Liebe und Verachtung gegenüber den Menschen sowie die verschiedensten Possen in seiner Musik finden." "Mozart war vor 250 Jahren der großartigste Komponist von Popmusik. Seine Musik ist so großartig und bis heute weit verbreitet. Sie ist die von der Geschichte ausgewählte Elite. Ganz gleich wie die Zeit voranschreitet, ist Mozarts Musik eine kleine, glänzende und ewige Sonne, weil seine Musik von den meisten Leuten gemocht wird. Sogar S.H.E. [ein beliebtes taiwanesisches Gesangstrio] hat Mozart gesungen", sagte Professor Chu scherzhaft. [S.H.E. hat in einem ihrer Hits die Melodie von Mozarts Symphonie Nr. 40 verwendet.] Nach Meinung von Chu Yibing ist die schönklingende, klassische Musik wie ein leckeres Gericht. Nur wenn man es probiert hat, kann man es anerkennen und dann mögen. "Mozarts Musik ist nicht einfach irgendein regionales Gericht – salzig oder scharf. Die klassische Musik, natürlich einschließlich Mozarts Musik, ist wie die Delikatessen in einem Restaurant. Man muss sie probieren. Ich gehe mit meinen Studenten oft in die verschiedenen Hochschulen, um dort Kammerkonzerte zu spielen. Das Programm eines Kammerkonzerts ist wie eine Speisekarte in einem Restaurant. Man kann auswählen, was man will. Diese Form ist lebendig, und anders als ein altmodisches Konzert. Wenn so ein Monstrum an Orchester vor einem steht, hat man vielleicht Angst. Aber wenn eine kleine Gruppe von Musikern dasteht, traut man sich eher, sich ihr zu nähern. Ich hoffe immer, dass die Jugendlichen diese Gerichte probieren und gemeinsam diskutieren, was sie gefühlt haben", führte Chu aus. "Die Zeit entwickelt sich weiter. Wir können die Aufführung klassischer Musik noch verbessern." Dazu führte er ein Beispiel an: "Einmal habe ich in der Zhongshan-Konzerthalle gespielt. Eine Melodie sollte mit dem Klavichord gespielt werden. Aber in der Zhongshan-Konzerthalle gab es kein Klavichord. Dann sagte ein Mann scherzhaft, ob man nicht die chinesische Zither (Guqin) anstatt des Klavichords benutzen könnte. Ich glaube, dieser Vorschlag war sehr gut. Vielleicht wird man an einem Tag in der Zukunft mit traditionellen chinesischen Instrumenten klassische westliche Musik spielen, weil die Kunst sich entwickeln muss. " In China werden vor allem Mozarts Symphonien gespielt Über die Position von Mozart im chinesischen Musikbildungswesen sagte Chu: "Mozarts Symphonien werden in China viel häufiger gespielt als seine anderen Werke. Aber bei der Musikausbildung soll man über seine Kammermusik Verbindung mit Mozart und seiner Seele aufnehmen. In der Musikausbildung verstehen wir Mozart falsch. Beispielweise ist es im Rahmen der Klavierausbildung allgemein anerkannt, dass Mozarts kleine Sonaten am einfachsten und deutlichsten sind. Natürlich ist die Form von Mozarts Musik einfach und klar, aber erst ein Mann, der sich sein ganzes Leben mit Musik beschäftigt hat, wird zum Meister und Experten und kann auch Mozart spielen. Denn nur Mozart kann die Schönheit der Kunst und die Anziehungskraft der Musik in der einfachsten Form zum Ausdruck bringen. Dieses Missverständnis zeigt, unsere Musikausbildung hat zu wenige Kontakte mit Mozart." Über Musik und die Musikausbildung hat Chu Yibing seine eigenen Ansichten: "Die Haltung der Chinesen gegenüber der Kunst ist, dass man über perfekte Kunstfertigkeit verfügen muss. Das ist aber falsch. Das Wesentliche an der Musik Mozarts sowie an sämtlicher klassischer Musik ist, dass man sie mit dem Herzen fühlen muss. Wir Chinesen sind zu fleißig, so dass unser technisches Niveau schon lange das der westlichen Spieler übersteigt. Aber vergleichen mit den westlichen Orchestern haben wir noch einen weiten Weg vor uns, weil wir zu viel Wert auf die Fertigkeit, die Technik und die Form legen und das Gefühl für die Musik vernachlässigen." Zur Musikausbildung meint Chu, dass man die Musik mit dem Herzen fühlen müsse. "Wenn man nicht mit dem Herzen fühlt, kann man Mozart nicht verstehen", sagte er. Informationen zu Chu Yibing 1966 wurde Chu Yibing in Beijing geboren. 1978 bis 1983 lernte Chu an der der Zentralen Musikhochschule angegliederten Mittelschule Cello. 1984 bis 1987 studierte er an der staatlichen französischen Musikhochschule in Paris Cello und Kammermusik. 1986 gewann Chu im internationalen Cello-Wettbewerb in Genf in der Schweiz einen Preis und war somit der erste Chinese, der einen wichtigen internationalen Cello-Wettbewerb gewonnen hat. 1989 bis 2004 arbeitete er als Chefcellist im schweizerischen Basel-Sinfonieorchester und im Sinfonieorchester des Bayrischen Rundfunks in Deutschland. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Chu als Dirigent mit vielen deutschen Sinfonieorchestern auf höchster Ebene zusammen. Er ist der einzige Chinese, der in der Jury wichtiger internationaler Cello-Wettbewerbe gearbeitet hat. Zurzeit ist er Professor an der Zentralen Musikhochschule in Beijing. (China.org.cn, 28. August 2006) |