Home Aktuelles
Multimedia
Service
Themenarchiv
Community
Home>Wirtschaft Schriftgröße: klein mittel groß
17. 01. 2012 Druckversion | Artikel versenden| Kontakt

Blick über den Tellerrand

Schlagwörter: Social-Media-Seiten

Wer die Berichterstattung ausländischer Medien verfolgen will, stößt schnell an sprachliche Grenzen. Artikel in der eigenen Muttersprache sind meist Mangelware, auch im Internet. Eine neue Armada von Social-Media-Seiten hat dieses Problem erkannt und bietet Übersetzungen ausländischer Medienbeiträge für die chinesische Netzgemeinde an. Dabei setzen die meisten Portale auf Potential und Eigeninitiative der Nutzer selbst. Sie übertragen die Artikel meist unentgeltlich ins Chinesische.



In den Weiten des World Wide Web den Überblick zu behalten, ist an sich schon kein leichtes Unterfangen. Wenn dann noch sprachliche Barrieren hinzukommen, kann die Recherche im Netz schnell zu einer zeitraubenden und nervenaufreibenden Herausforderung werden. Findige chinesische Internetpioniere haben das Problem erkannt und eine neue Form von Social-Media-Portalen an den Start geschickt: Wer es sich trotz mäßiger Fremdsprachenkenntnisse nicht nehmen lassen will, die neuesten Artikel aus der "New York Times", dem "Economist" oder anderen führenden internationalen Medien zu lesen oder spannende Blogs und Internetforen zu verfolgen, für den schaffen Seiten wie Yeeyan, Dongxiwang, Hupu, GoalHi oder Guoke Abhilfe. Sie sammeln aktuelle Übersetzungen von ausländischen Medienartikeln, Blogs und Internetforen.

Angesichts einer wachsenden Schar wissensdurstiger chinesischer Internetnutzer, die danach trachten, über den Tellerrand hinauszuschauen, blicken die Anbieter optimistisch in die Zukunft. Als Betriebsmodell setzen die Portale bisher auf das so genannte Crowdsourcing (dt. "Schwarmauslagerung"), bei dem das Potential der Webgemeinde genutzt wird.

Nicht die festangestellten Redakteure und Übersetzer der jeweiligen Website übertragen die Texte ins Chinesische, wie dies bei klassischen Medien der Fall ist, sondern interessierte und sprachlich befähigte Internetnutzer. Und das weitestgehend unentgeltlich. Was die emsige Schar von Freizeitübersetzern für ihre Arbeit erntet, sind lediglich ein bisschen Ruhm, Bonuspunkte der Seite sowie das Feedback der übrigen Nutzer; nur selten gibt es ein kleines Honorar.

Intelligenz der Massen nutzen

Wer einen Faible für aktuelle Entwicklungen hat, kann so zum Beispiel die Sicht internationaler Medien auf aktuelle Geschehnisse in China mit Gleichgesinnten teilen. Und das in der Regel authentisch und unbearbeitet, als direkte Übersetzung der Originaltexte. Fußballfans erhalten brandaktuelle und detaillierte Informationen zu aufstrebenden Talenten, die meist auf keiner der herkömmlichen Sportseiten zu finden sind. Und auch wer Interesse an Wissenschaft und Technik hat, kann sich auf den Übersetzungsportalen über die weltweit neusten Entwicklungen auf dem Laufenden halten.

Crowdsourcing funktioniert über die Eigeninitiative der Massen. Ein Unternehmen lagert bei diesem Betriebsmodell seine Arbeit auf ein flexibles und variables Heer von freiwilligen und meist ehrenamtlichen Mitarbeitern aus. Der Begriff wurde von der amerikanischen IT-Zeitschrift "Wired" geprägt. In der Industrie ist das Konzept als die "Long-Tail-Theorie" bekannt, die Theorie des langen Schwanzes.

Dabei ist das Auslagern bestimmter Dienstleistungen längst kein neues Phänomen. Schon im 18. Jahrhundert setzte die britische Regierung einen Preis zur Lösung des Problems der exakten Bestimmung der geografischen Länge auf hoher See aus, um sich die "Schwarmintelligenz" einer breiten Öffentlichkeit dienstbar zu machen: eine Frühform von Crowdsourcing also. Heute, in Zeiten einer zunehmenden Verbreitung des Internets, dringt das Geschäftsmodell in immer mehr Bereiche vor. Linux, Wikipedia oder YouTube sind nur die bekanntesten Beispiele für klassische "Schwarmauslagerung". Nun hält das Konzept auch im Bereich Übersetzung Einzug.

Yeeyan ist eines dieser typischen Übersetzungsportale, die auf Crowdsourcing setzen. Drei chinesische IT-Ingenieure, allesamt Absolventen der Tsinghua Universität in Beijing, riefen die Seite im amerikanischen Silicon Valley, dem internationalen Mekka für Social-Media-Innovationen, ins Leben. Zhao Jiamin, Zhang Lei und Zhao Kai, die es zum Auslandsstudium in die USA gezogen hatte, schufen zunächst einen Blog, auf dem sie zunächst nur Übersetzungen von Artikeln aus Wissenschaft und Technik veröffentlichten. Heute, gut fünf Jahre später, ist daraus die Social-Media-Seite zum Austausch von Übersetzungen aus allen möglichen Bereichen entstanden, die sich auf die Initiative der Netzgemeinde stützt.

Und das Interesse der chinesischen Internetuser an Beiträgen aus ausländischen Medien ist groß, vor allem wenn sie sich um Themen handelt, die mit China zu tun haben. Das verdeutlicht etwa der Fall von Luo Yonghao, der am 20. November 2011 vor der Beijinger Siemens-Zentrale einen Kühlschrank des Unternehmens mit einem Metallhammer demolierte, um so medienwirksam auf die Rechte der Verbraucher aufmerksam zu machen. Damit löste Luo heftige Debatten im chinesischen Internet aus. Obwohl Chinas Medien schon in allen Details über das Ereignis berichtet hatten, erhielt die Übersetzung eines Artikels, der einen Tag nach dem Vorfall im "Handelsblatt" erschienen war und kurze Zeit später als Übersetzung bei Yeeyan erschien, über 10 000 Klicks und mehr als 100 Kommentare innerhalb nur eines Tages. Chinas Internetnutzer wollten wissen, wie deutsche Medien die öffentliche Demontage des Geräts des einheimischen Unternehmens kommentierten.

Außer Yeeyan sind in China vor allem die Übersetzungsportale Dongxiwang, Hupu, GoalHi und Guoke beliebt. Sie begeistern vor allem junge Internetnutzer durch Frische und Originalität ihrer Themenauswahl.

Problemfelder: Finanzen und Copyright

Derzeit experimentieren fast alle Übersetzungsportale mit Honorarsystemen zur Entlohnung der bisher ehrenamtlichen Mitarbeiter. Die Gelder hierfür können aus unterschiedlichen Quellen fließen, wie Zhao Jiamin von Yeeyan erklärt: "Wir haben bereits 2009 damit begonnen, teilweise Honorare zu zahlen. Die Gelder hierfür stammen vor allem aus unserem Angebot an Übersetzungen vom Englischen ins Chinesische. Hier gibt es Kooperationen etwa mit dem 'Guardian' oder dem 'Forbes Magazine'. Durch das Mitwirken im Rahmen einer Kooperation oder je nach genereller Auftragslage können die Internetnutzer bei uns für ihre Übersetzungen ein Honorar erhalten", so Zhao.

Momentan denke das Internetportal auch über ein Angebot chinesisch-englischer Übersetzungen als Einnahmequelle nach, erzählt Zhao. Diese Idee sei jedoch schwieriger zu verwirklichen. "Wir haben hier bereits erste Gespräche mit chinesischen Medien über eine Zusammenarbeit geführt", so Zhao.

Auch im Buchgeschäft möchte Yeeyan zukünftig kräftig mitmischen. Dass auch Verlage vom Potential der Freizeitübersetzer profitieren können, zeigte sich jüngst bei der Biographie von Apple-Gründer Steven Jobs. Das Buch avancierte in China schnell zum Bestseller, nachdem Internetnutzer die englische Ausgabe innerhalb von nur zwanzig Tagen ins Chinesische übertragen hatten. In Zusammenarbeit mit zahlreichen chinesischen Verlagen hat Yeeyan auf diese Weise bereits die Übersetzungen für zwanzig Bücher geliefert. Außerdem hofft das Portal in Zukunft mit digitalen Veröffentlichungen punkten zu können. Vor vier Monaten habe man mit der Entwicklung eines eigenen Apps begonnen, das im offiziellen Apple-Store kostenpflichtig herunterzuladen sein soll.

Obwohl die Portale immer mehr Profitkanäle erschließen, fahren allerdings weder Yeeyan noch Dongxiwang, der zweite Riese der Branche, unterm Strich Gewinne ein, gibt Zhao zu.

1   2   vorwärts  


Quelle: Beijing Rundschau

Druckversion | Artikel versenden | Kommentar | Leserbrief | zu Favoriten hinzufügen | Korrektur

Kommentar schreiben
Kommentar
Ihr Name
Kommentare
Keine Kommentare.
mehr