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02. 02. 2012 | Druckversion | Artikel versenden| Kontakt |
Jahrzehntelang stellte der Westen das politische System Chinas in Frage und zweifelte daran, dass es dem chinesischen Volk sozioökonomischen Fortschritt bringen könne. Die Finanzkrise von 2008 hat westliche Hybris entlarvt. In einer erstaunlichen Umkehrung versuchen chinesische Beobachter nun den Charakter und die Bedeutung der Occupy Wall Street Bewegung oder die der Indignados in Spanien zu ergründen. Chinesische Medien, Wissenschaftler und Think Tanks haben im Jahr 2011 ihre ernste Sorge über die Funktionsfähigkeit des Projekts Europa und die Leistungsfähigkeit der EU-Politik formuliert.
Mindestens zwei neue Elemente charakterisieren die gegenwärtige Phase der europäischen Einigung: Innerhalb der EU das relativ große Gewicht Deutschlands als Folge der Wiedervereinigung und der positiven Auswirkung des Euro auf die deutsche Wirtschaft, außerhalb der EU hingegen der "Chinafaktor". Wenn die chinesische Führung entschieden für eine strategische und zielgerichtete Politik der Unterstützung der gegenwärtigen und künftigen Rolle des Euro in der Welt optiert, wenn sie chinesische Unternehmen dazu anregt, in der EU zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen, leistet sie einen wichtigen Beitrag zum Projekt Europa.
Die Verteidigung des Euro durch China ist auch ein Mittel zur Stärkung der Multipolarität und dient dazu, dem Renminbi den Weg zur Internationalisierung zu ebnen. Es geht – mit anderen Worten – darum, die Vorherrschaft des Dollars im Weltfinanzsystem zu brechen. Im März 2010 sagte der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, in Shanghai in einer Rede vor dem Lujiazui International Finance Research Center zum Thema "Die Rolle der EU und Chinas in der Architektur des Weltfinanzsystems im 21. Jahrhundert":
"Als wir mit dem Projekt einer gemeinsamen europäischen Währung an den Start gingen, zeigte sich die chinesische Führung sehr interessiert. Als ich den damaligen Staatspräsidenten Jiang Zemin unter Hinweis nicht nur auf die wirtschaftliche, sondern auch auf die politische Dimension des Vorhabens fragte, warum das Thema für China so wichtig sei, erhielt ich zur Antwort: 'Ich möchte in einer multipolaren Welt leben.'"
Paradigmenwechsel
In dieser neuen Phase sind die sino-europäischen Beziehungen nicht nur von gegenseitigem Nutzen, sondern tragen zur wechselseitigen Veränderung bei. Während die entschlossene und greifbare Unterstützung der europäischen Integration durch China den Europäern dabei helfen würde, ihre Angst vor der Globalisierung zu überwinden, könnte die Öffnung Europas gegenüber dem Wiederaufstieg Chinas Beijings sinozentrische Reflexe schwächen. Solidarität und sino-europäischer Dialog können Nationalismus und Populismus nicht restlos aus der öffentlichen Diskussion verbannen, aber sie können dafür sorgen, ihn auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.
Deutschlands zentrale Bedeutung innerhalb Europas und die neue Rolle Beijings in europäischen Angelegenheiten ergänzen sich gegenseitig. Im Jahr 2010 haben Berlin and Beijing ein gemeinsames Kommuniqué zum "umfassenden Ausbau der strategischen Partnerschaft zwischen China und Deutschland" veröffentlicht. Bereits fünf Prozent der deutschen Exporte gehen nach China. Der Umfang des deutsch-chinesischen Handels hat 2010 bereits 130 Milliarden Euro betragen. Gegenüber dem Vorjahr bedeutete dies ein Wachstum von 35 Prozent. Das Handelsvolumen zwischen China und Deutschland deckt dreißig Prozent des gesamten Handels zwischen China und der EU ab, und man geht davon aus, dass der Wert der zwischen diesen beiden Ländern verhandelten Waren und Dienstleistungen innerhalb der nächsten fünf Jahre auf über 200 Milliarden Euro anwachsen wird.
In europaskeptischer Haltung hat der britische Premierminister David Cameron bereits zu verstehen gegeben, dass sein Land nicht die Bemühungen der EU-Staaten unterstützen wird, mehr Macht an Brüssel abzutreten. Während sich die Eurozone in Richtung größerer Integration entwickelt, wird sich die Distanz zwischen Großbritannien und Kerneuropa vergrößern. Unter diesen Bedingungen wird die Sonderbeziehung zwischen Großbritannien und den USA, die in der Vergangenheit dazu beigetragen hat, die sino-europäische Synergie zu begrenzen, in gewissem Umfang ihre Fähigkeit verlieren, Einfluss auf den Gang der Beziehungen zwischen China und Europa zu nehmen.
Unter den Bedingungen des Kalten Krieges war die amerikanische Hilfe für Westeuropa auch ein Mittel zur Eindämmung der Sowjetunion und der Ausbreitung einer als feindlich wahrgenommenen Ideologie. Im 21. Jahrhundert sollte die Rolle Chinas als Katalysator der Europäischen Integration nicht als Versuch der Eindämmung der USA gewertet werden. Es geht dabei vielmehr um eine Langzeitstrategie zur Schaffung eines Gleichgewichts in einer multipolaren und globalisierten Welt. In diesem Sinne kann Chinas Bereitschaft, zur Konsolidierung des europäischen Projekts beizutragen, die angemessenste Antwort auf die "Rückkehr der USA nach Asien" sein. Laut Washington verfolgt diese "Rückkehr" nicht das Ziel der Eindämmung irgendeiner Nation, sondern markiert das erneuerte amerikanische Engagement in einer Region von höchster Bedeutung.
Quelle: Beijing Rundschau
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